Vorwort
Die meisten Menschen wissen aus eigener Erfahrung, wie wichtig Arbeit für die Lebensqualität ist. Arbeit zu haben, hat deutlich positive Auswirkungen auf Selbstbestimmung, Selbstbewusstsein, Einkommen und gesellschaftliche Teilhabe. Wenn Krankheit, Unfall oder Behinderungen zu einer dauerhaften Einschränkung führen, kann die Teilhabe am Arbeitsleben gefährdet sein.
Gut informierte Unternehmen können durch die Schaffung passender Rahmenbedingungen Beschäftigte stärkenorientiert einsetzen und qualifizierte Fachkräfte halten oder neu einstellen. Eine Behinderung oder chronische Erkrankung im Arbeitsleben und erfolgreiche berufliche Teilhabe schließen sich nicht gegenseitig aus.
Die Reihe REHADAT-Wissen gibt praxisnahe Tipps und konkrete Handlungsempfehlungen zum Umgang mit einzelnen Behinderungen und chronischen Erkrankungen im Berufsleben. Dazu gehört sowohl Basiswissen zu Behinderungen und chronischen Erkrankungen als auch die Darstellung von Lösungen für die individuelle Arbeitsgestaltung in Unternehmen.
REHADAT-Wissen richtet sich an alle im Unternehmen Beteiligten und legt den Fokus auf schnelle verständliche Orientierung und engen Praxisbezug.
Ziel des Projektes EMPLOY an der Universität zu Köln ist die Analyse der Arbeitssituation von hörsehbehinderten und taubblinden Menschen und die Entwicklung von Lösungen zur Verbesserung der beruflichen Teilhabe betroffener Personen. Es freut uns daher sehr, dass wir die Ergebnisse des Projektes EMPLOY im Rahmen der REHADAT-Reihe veröffentlichen können.
Die Kapitel der nachfolgenden Broschüre zum Thema Taubblindheit und Hörsehbehinderung im Arbeitsleben sind zusätzlich in einer Kompaktversion abrufbar. In dieser Version werden die wichtigsten Informationen der Broschüre zusammengefasst. Alle Inhalte der Kompaktversion sind in Deutscher Gebärdensprache (DGS) abrufbar.
Wir hoffen, dass unsere Hinweise nützlich sind und dabei unterstützen, einen inklusiven Arbeitsalltag zu gestalten.
Ihre
Andrea Kurtenacker
Projektleiterin REHADAT
Ihr
Prof. Dr. Thomas Kaul
Projektleiter EMPLOY
Zusammenfassung
- Die Broschüre „Taubblindheit und Hörsehbehinderung“ ist eine umfangreiche Veröffentlichung, die sich auf Menschen mit Taubblindheit und Hörsehbehinderung und deren Arbeitsleben bezieht. Sie beschreibt verschiedene Auswirkungen der doppelten Sinnesbehinderung und ihren Einfluss auf das Arbeitsleben.
- Die Broschüre richtet sich sowohl an Personen mit Taubblindheit und Hörsehbehinderung als auch an ihre Vorgesetzten und Kolleginnen und Kollegen, an Fachberaterinnen und Fachberater im Kontext Arbeitsleben oder Arbeitsmedizinerinnen und Arbeitsmediziner. Sie bietet praktische Unterstützung, um die berufliche Teilhabe taubblinder oder hörsehbehinderter Menschen zu erleichtern.
- Die Broschüre bezieht sich unter anderem auf die Ergebnisse des EMPLOY Projekts der Universität zu Köln. Im Projekt wurden umfassende Interviews sowie eine Online-Umfrage durchgeführt, um die Situation und Bedarfe von taubblinden und hörsehbehinderten Menschen im Arbeitsleben auf wissenschaftlicher Basis einschätzen zu können. Das Projekt verfolgte das Ziel, Möglichkeiten für den Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit dieser Gruppe zu erforschen. Die Ergebnisse beschreiben die vielfältigen Bedarfe und Herausforderungen, mit denen Menschen mit Taubblindheit und Hörsehbehinderung im Berufsleben konfrontiert sind, und bieten Einblicke in Möglichkeiten, die Arbeitsumgebung entsprechend ihren Bedürfnissen anzupassen.
- Zusätzlich zu den Ergebnissen stellt die Broschüre praktische Lösungen und unterstützende Maßnahmen für die Arbeitsorganisation vor, um die berufliche Teilhabe von taubblinden und hörsehbehinderten Menschen zu verbessern und deren Arbeitsplätze zu erhalten. Dazu gehören unter anderem barrierefreie Technologien, Kommunikation, Assistenz, Anpassungen am Arbeitsplatz, flexible Arbeitsgestaltung und individuelle Unterstützungsmaßnahmen. Es können technische Lösungen wie Bildschirmleseprogramme oder Vergrößerungssoftware sowie Gebärdensprachdolmetschende oder Taubblindenassistenz zum Einsatz kommen.
- Die Broschüre enthält zudem Aussagen über Erfahrungen von taubblinden und hörsehbehinderten Personen, sowie von Fachberaterinnen und Fachberatern, als auch von Personen aus dem Arbeitsumfeld, die auf den Ergebnissen des EMPLOY Projekts basieren. Diese bieten wertvolle Einblicke in den Arbeitsalltag von Menschen mit Taubblindheit und Hörsehbehinderung, Berichte über erlebte Barrieren im Arbeitsleben und zeigen Wege auf, wie der berufliche Wiedereinstieg und eine nachhaltige Teilhabe am Arbeitsleben für diese Personengruppe erfolgreich umgesetzt werden können.
1 »Das Projekt EMPLOY«
Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit hörsehbehinderter und taubblinder Menschen im Arbeitsleben
Inhalte und Vorgehensweise
Die Auswirkungen einer Taubblindheit oder Hörsehbehinderung können sehr vielfältig sein und sich im Laufe des Lebens verändern. Im Arbeitsleben sind die individuellen Bedürfnisse taubblinder oder hörsehbehinderter Menschen häufig nicht bekannt und werden daher nicht ausreichend berücksichtigt.
Die Ergebnisse des Projekts EMPLOY sollen die Beschäftigungsfähigkeit von Menschen mit Taubblindheit und Hörsehbehinderung fördern. Unter anderem soll damit einer ungewollten frühzeitigen Verrentung entgegengewirkt werden.
Das Projekt wurde von April 2021 bis März 2025 an der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln durchgeführt und durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) finanziert.
In das Projekt wurden die folgenden unterschiedlichen Personengruppen miteinbezogen:
- hörsehbehinderte und taubblinde Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
- Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sowie Kolleginnen und Kollegen aus dem Arbeitsumfeld
- Fachberaterinnen und Fachberater sowie Gutachterinnen und Gutachter der Träger der Rehabilitation, wie z. B. der Agentur für Arbeit und der Integrations- bzw. Inklusionsämter sowie deren Fachdienste, z. B. Integrationsfachdienste
- Vertreterinnen und Vertreter aus der Selbsthilfe
Das Projekt EMPLOY hat die aktuelle Situation von taubblinden und hörsehbehinderten Menschen im Arbeitsleben untersucht, um Bedarfe und Empfehlungen für eine verbesserte Teilhabe zu ermitteln. Dazu wurde zunächst recherchiert, welche Institutionen im Bereich Arbeitsleben und Taubblindheit sowie Hörsehbehinderung wichtig sind. Außerdem wurde erfasst, welche Beratungs- und Unterstützungsmaßnahmen bereits vorhanden sind und welche Strukturen noch fehlen. Durch Online-Befragungen und Interviews wurden gute Rahmenbedingungen, Barrieren, Herausforderungen und spezifische Informations- und Unterstützungsbedarfe identifiziert.
Aus den Ergebnissen wurden im nächsten Schritt Entwürfe für Informationsmaterialien und Dokumente zur Ermittlung individueller Teilhabebedarfe erarbeitet. Dabei geht es zum Beispiel um die Frage, was eine taubblinde oder hörsehbehinderte Person braucht, um gut arbeiten zu können.
Die Entwürfe wurden in Gesprächsrunden (Fokusgruppen) mit den beteiligten Zielgruppen diskutiert. Dieser erste Praxistest hat dabei geholfen, die Entwürfe verständlicher zu gestalten. Zudem bestand über den Projektzeitraum hinweg eine Zusammenarbeit mit dem Projekt „Wege in den Beruf“. Gemeinsam wurden die Ergebnisse und Inhalte der Materialien besprochen und kritisch reflektiert.
Durch die Kooperation mit REHADAT sind die Projektergebnisse nun nachhaltig und barrierearm in Form dieser REHADAT-Wissen Broschüre festgehalten und für alle Interessierten verfügbar.
Das EMPLOY Team bedankt sich bei allen Projekt-Beteiligten, insbesondere bei den Personen mit Taubblindheit und Hörsehbehinderung sowie dem Projekt-Beirat für ihr Engagement.
Ein herzlicher Dank geht zudem an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Projekts „Wege in den Beruf“ und an die Verantwortlichen von REHADAT für die gelungene Zusammenarbeit.
Projektleitung:
Prof. Dr. Thomas Kaul
Mitarbeitende:
Anne Gelhardt, Anne Witte, Antoinette Brücher, Bastian Hardt, Benno Hermes, Carolin Gravel, Lisa Stockleben, Nele Büchler, Uwe Zelle
2 »Keine bloße Addition von Hörbehinderung und Sehbehinderung «
Erkrankung und Behinderung
2.1 Was ist Taubblindheit und Hörsehbehinderung?
Bei einer gleichzeitigen (hochgradigen) Einschränkung des Sehens und Hörens spricht man von einer Taubblindheit oder Hörsehbehinderung. In den meisten Fällen haben taubblinde und hörsehbehinderte Menschen noch einen gewissen Grad an Hör- und/oder Sehvermögen. Diese verbleibenden Sinne reichen jedoch nicht aus, um den jeweils anderen Sinn auszugleichen. Daher ist Taubblindheit oder Hörsehbehinderung eine eigenständige Behinderung.
Zu den Begriffen Hörsehbehinderung und Taubblindheit gibt es mehrere Definitionen. Die Einschränkungen durch die kombinierte Sinnesbehinderung führen zu Schwierigkeiten „beim Zugang zur Information, Kommunikation und Mobilität“ und haben somit Auswirkungen auf die Möglichkeiten zur Teilhabe . Dabei werden die Begriffe Hörsehbehinderung und Taubblindheit unterschiedlich verwendet: Teilweise wird der Begriff Taubblindheit als Oberbegriff für das ganze Spektrum der doppelten Sinnesbehinderung genutzt . In anderen Definitionen wird zwischen den Begriffen Taubblindheit und Hörsehbehinderung unterschieden .
Die Begriffe werden jedoch teilweise auch synonym verwendet oder von betroffenen Personen individuell interpretiert. Um die gesamte Zielgruppe einzuschließen, wird in dieser Broschüre die Bezeichnung „Taubblindheit und Hörsehbehinderung“ verwendet.
Taubblindheit und Hörsehbehinderung können ganz unterschiedlich ausgeprägt sein. Von sehbehindert bis blind und schwerhörig bis taub können viele Kombinationen vorkommen (siehe Abbildung 1).
Eine kleine Minderheit innerhalb des Personenkreises sind Menschen, die taubblind oder hochgradig hörsehbehindert geboren werden. Bei dieser Gruppe spricht man von einer angeborenen (kongenitalen) Taubblindheit oder Hörsehbehinderung. Ihr Zugang zur Welt gestaltet sich vorwiegend über den Tastsinn, aber auch über andere Sinneseindrücke, wie Riechen und Schmecken.
Die andere Gruppe bilden Personen mit einer erworbenen Taubblindheit oder Hörsehbehinderung. Dazu gehören Menschen, bei denen zunächst nur eine Sinnesbehinderung vorliegt. Die jeweils andere Sinnesbehinderung kommt im Laufe des Lebens dazu. Also zum Beispiel eine seit der Geburt taube Person, bei der sich im späteren Lebensverlauf eine Sehbehinderung entwickelt. Außerdem zählen zu dieser Gruppe Menschen, bei denen eine hochgradige Einschränkung des Hörens und Sehens erst im höheren Alter auftritt. Da es immer mehr alte Menschen gibt, ist davon auszugehen, dass die Anzahl in diesem Personenkreis weiter ansteigt.
Zu den Begriffen „taub” und „gehörlos“
Menschen, die seit früher Kindheit taub sind und Deutsche Gebärdensprache nutzen, bezeichnen sich selbst als taub oder gehörlos. In dieser Broschüre werden die Begriffe „taub“ und „Taubheit“ verwendet, da hier im Vergleich zu „gehörlos“ nicht der Fokus auf einen Verlust (-„los“) gerichtet ist. Auch in der deutschen Fassung der Klassifikation von Hörverlusten der Weltgesundheitsorganisation (englische Abkürzung WHO) hat sich die Arbeitsgruppe auf den Begriff „Taubheit“ für einen Hörverlust ab 95 dB geeinigt .
Insgesamt unterscheidet sich die Gruppe der taubblinden und hörsehbehinderten Menschen auch nach der verwendeten Sprache, ob sie die Deutsche Gebärdensprache und/oder Deutsch nutzen. Dabei ist entscheidend, wann und mit welchem Grad die jeweilige Sinnesbehinderung eingetreten ist, sowie welche Sprache beim Aufwachsen gelernt wird. Werden Hören und Sehen schlechter, kann sich die genutzte Sprache verändern. Neben den beiden Sprachen sind einige weitere Kommunikationsformen und -techniken möglich.
Die folgende Grafik verdeutlicht, wie unterschiedlich die kombinierte Einschränkung des Sehens und Hörens sein kann. Während auf der X-Achse eine zunehmende Einschränkung des Sehens abgebildet ist, ist es auf der Y-Achse eine zunehmende Einschränkung des Hörens. Aus der Kombination ergibt sich die Lage der Punkte, die für jeweils einen individuellen Fall stehen.
Abbildung 1: Unterschiedliche kombinierte Einschränkung des Sehens und Hörens
Definition von Behinderung
Im Sozialrecht versteht man unter „Behinderungen“ die Auswirkungen gesundheitlicher Beeinträchtigungen auf die soziale Teilhabe.
Es werden drei Kategorien von Behinderungen (beziehungsweise leistungsberechtigte Personengruppen) unterschieden:
- „von Behinderung bedroht“ (bei länger andauernden gesundheitlichen Problemen, wie nach Arbeitsunfall oder bei chronischer Erkrankung),
- (amtlich anerkannt) „behindert“,
- amtlich anerkannt „schwerbehindert“ und „schwerbehinderten Menschen gleichgestellt“.
Je nach Ausmaß der Beeinträchtigungen haben Menschen einen Anspruch auf
- Rehabilitationsleistungen und/oder präventiv wirkende Leistungen,
- behinderungsausgleichende oder aber
- besondere unterstützende Leistungen und Hilfen im Arbeitsleben.
Ziel aller Leistungen ist es, eine „Verbesserung der Teilhabe“ zu erreichen. Das bedeutet zum Beispiel, die Arbeit so zu gestalten, wie es für die volle berufliche Teilhabe erforderlich ist.
Grundlage für dieses Verständnis von „Behinderung“ sind die Begriffsbestimmungen im Neunten Buch Sozialgesetzbuch SGB IX (§ 2 SGB IX).
2.2 Zahlen und Fakten
Wie viele taubblinde und hörsehbehinderte Menschen in Deutschland leben, ist unklar. In Fachkreisen geht man schätzungsweise von 8.000 bis 10.000 Personen aus . In dieser Berechnung wird jedoch der Personenkreis, der erst im höheren Alter eine Hörsehbehinderung oder Taubblindheit erwirbt, nicht mitgezählt. Die tatsächliche Anzahl dürfte demnach deutlich über der Schätzung liegen. Die World Federation of the Deafblind geht davon aus, dass Menschen mit Taubblindheit oder Hörsehbehinderung ca. 0,2 bis 2 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen . Wenn man diese Schätzung auf Deutschland mit ca. 85 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern überträgt, steigt die Anzahl von taubblinden oder hörsehbehinderten Menschen aller Altersstufen auf ca. 170.000 bis 1,7 Millionen Personen an.
2.3 Ursachen
Die Ursachen einer Taubblindheit oder Hörsehbehinderung können vielfältig sein. Die doppelte Sinnesbehinderung kann über den gesamten Lebensverlauf auftreten.
Eine angeborene Taubblindheit oder Hörsehbehinderung ist oft durch ein Syndrom (z. B. CHARGE-Syndrom, Down-Syndrom) oder Komplikationen während der Schwangerschaft oder Geburt bedingt (z. B. Alkohol- und Drogenmissbrauch oder Infektionen). In vielen Fällen bleibt die Ursache jedoch auch ungeklärt. Neben der angeborenen Taubblindheit oder Hörsehbehinderung liegen häufig noch weitere Beeinträchtigungen oder Behinderungen vor .
Eine Ursache für eine erworbene Taubblindheit oder Hörsehbehinderung kann eine genetische Vererbung sein. An dieser Stelle ist insbesondere das Usher-Syndrom zu nennen. Es ist die häufigste Ursache für eine Hörsehbehinderung oder Taubblindheit. Dabei handelt es sich um eine Kombination aus einer angeborenen Innenohrschwerhörigkeit (Schallempfindungsstörung) oder Taubheit und einer später einsetzenden Netzhautdegeneration (Retinopathia pigmentosa (RP)). Die Hör- und Sehbeeinträchtigung kann jeweils fortschreitend sein (progredienter Verlauf). Zusätzlich können auch Gleichgewichtsstörungen auftreten.
Meine Grunderkrankung ist das Usher-Syndrom Typ 2. Früher habe ich das noch als zwei getrennte Behinderungen oder Erkrankungen betrachtet. Bei mir ist es von Anfang an mit einer Hörschädigung verbunden. Deswegen war ich auch auf einer Schwerhörigenschule. Die Sehbehinderung kam erst im Jugendalter dazu. Aber es ist eindeutig das Usher-Syndrom.
Zitat einer taubblinden oder hörsehbehinderten Person (Quelle: EMPLOY Interviews, 2023)
Das Usher-Syndrom wird in drei Typen eingeteilt
- Usher-Syndrom Typ I (USH1): Angeborene Taubheit mit einer im Kindesalter (erstes Lebensjahrzehnt) einsetzenden Sehbehinderung. Zusätzlich können Gleichgewichtsprobleme bestehen.
- Usher-Syndrom Typ II (USH2): Angeborene (hochgradige) Schwerhörigkeit mit einer meist im Jugendalter einsetzenden Sehbehinderung. Dieser Typ tritt am häufigsten auf.
- Usher-Syndrom Typ III (USH3): Angeborene Schwerhörigkeit, die im Lebenslauf bis zur Taubheit fortschreiten kann. Die Sehbehinderung setzt, ähnlich wie bei Typ II, im Jugendalter ein. Gleichgewichtsprobleme können teilweise auch auftreten, aber weniger häufig und ausgeprägt als bei Typ I.
Eine Taubblindheit oder Hörsehbehinderung kann auch nach einem Unfall auftreten (z. B. Hirnverletzungen) oder durch unterschiedliche Krankheiten ausgelöst werden. Dazu zählen unter anderem entzündliche Krankheiten des Gehirns (Enzephalitis oder Meningitis), aber auch Schlaganfälle .
Eine im späteren Lebensverlauf erworbene Taubblindheit oder Hörsehbehinderung kann zum Beispiel durch eine Kombination aus einer im Alter voranschreitenden Innenohrschwerhörigkeit (Presbyakusis) mit einer altersbedingten Makuladegeneration (AMD) auftreten. Daneben können unter anderem auch eine Lärmschwerhörigkeit, Auswirkungen einer Diabeteserkrankung oder Augenerkrankungen (z. B. Glaukom/Grüner Star) ursächlich für eine spät erworbene Taubblindheit oder Hörsehbehinderung sein.
2.4 Sprachen und Kommunikationsformen
Das Hauptthema ist eigentlich immer das Thema Kommunikation.
Zitat einer taubblinden oder hörsehbehinderten Person (Quelle: EMPLOY Interviews, 2023)
Menschen mit einer Taubblindheit oder Hörsehbehinderung nutzen sehr unterschiedliche Möglichkeiten, mit anderen Menschen zu kommunizieren. Welche Sprache oder Kommunikationsform bevorzugt wird, hängt vor allem davon ab, ob und wie stark das Hören beziehungsweise das Sehen vor dem Erlernen einer Sprache beeinträchtigt ist. Ein weiterer Aspekt ist, welche Form der Kommunikation im familiären Umfeld einer Person genutzt wird. Die meisten Menschen mit einer erworbenen Taubblindheit oder Hörsehbehinderung wachsen entweder mit einer Lautsprache, also zum Beispiel Deutsch, oder einer Gebärdensprache, zum Beispiel Deutsche Gebärdensprache (DGS), auf. Deutsche Gebärdensprache ist so wie Lautsprachen eine natürliche Sprache mit eigener Grammatik und Dialekten. Sie wurde 2002 im Behindertengleichstellungsgesetz als eigenständige Sprache anerkannt . Es gibt darüber hinaus auch die Möglichkeit, während des Sprechens einzelne Gebärden einzusetzen. Darunter fallen zum Beispiel Lautsprachbegleitende Gebärden (LBG). Diese sind jedoch nicht mit Deutscher Gebärdensprache gleichzusetzen. Weiter unten im Glossar werden einige Kommunikationsformen näher erläutert.
Personen mit einer angeborenen Sehbehinderung oder Blindheit wachsen meist hörend auf. Sie haben daher einen guten Zugang zur Laut- und damit auch zur Schriftsprache. Zum Schreiben oder Lesen werden in dieser Personengruppe zum Beispiel Sprachausgaben, Großdruck bzw. Vergrößerungssoftware oder die Brailleschrift genutzt. Bei einer hinzukommenden Hörbehinderung kann die Kommunikation über das Lormen unterstützt werden.
Personen mit einer angeborenen leicht- bis mittelgradigen Schwerhörigkeit, die im Laufe ihres Lebens eine zusätzliche Einschränkung des Sehens erwerben, sind ebenfalls eher lautsprachlich orientiert. Unter Umständen nutzen sie auch LBG. Außerdem ist in vielen Fällen das Absehen vom Mundbild der Gesprächspartnerinnen und -partner ein entscheidender Faktor für eine gelingende Kommunikation. Das Nutzen von Hörhilfen, wie Hörgeräten und Übertragungsanlagen, kann das Sprachverstehen ebenso verbessern oder unterstützen (siehe Kapitel 4.2 Hilfen im Arbeitsleben).
Personen mit einer angeborenen hochgradigen Schwerhörigkeit oder Taubheit haben einen erschwerten Zugang zur Lautsprache. Bei einer frühzeitigen Versorgung mit Hörgeräten oder Cochlea Implantaten kann die Wahrnehmung von Umweltgeräuschen bis hin zu einem Sprachverständnis gefördert werden. Gleichzeitig gibt es auch Personen dieser Gruppe, die gebärdensprachlich orientiert sind. Da sich Deutsche Gebärdensprache unter anderem in der Grammatik von Deutsch unterscheidet, kann auch das Erlernen und Verstehen der Schriftsprache eine Herausforderung für diese Personengruppe darstellen. Kommt eine Sehbehinderung hinzu, wird die visuelle Wahrnehmung von Gebärdensprache erschwert oder ist gar nicht mehr möglich. In diesen Fällen kann die Art zu Gebärden an ein verkleinertes Gesichtsfeld angepasst werden (Kleinraumgebärden). Eine weitere Möglichkeit ist die Kommunikation über taktile Gebärden.
Die meisten Menschen mit einer Hörsehbehinderung oder Taubblindheit nutzen Mischformen in der Kommunikation: zum Beispiel Lautsprache und Lormen die einen, Gebärdensprache, taktile Gebärden und das Fingeralphabet die anderen. Es können auch sogenannte haptische Zeichen bzw. Body Signs oder technische Hilfsmittel wie Tablets unterstützend bei der Kommunikation eingesetzt werden.
Glossar Kommunikation
- Brailleschrift
- Die Brailleschrift wird auch Punktschrift genannt. Sie ist ein taktiles, also tastbares Sprachsystem. Aus sechs Punkten werden Buchstaben gebildet, die aneinandergereiht ein Wort ergeben. Es wird zwischen Vollschrift (alle Buchstaben einzeln ausgeschrieben) und Kurzschrift (Wörter werden abgekürzt) unterschieden. Für die Arbeit am PC wurde die Computerbraille/Eurobraille mit acht Punkten entwickelt, um neuere Schrift- und Sonderzeichen abbilden zu können (z. B. das @-Zeichen).
- Fingeralphabet
- Mithilfe des Fingeralphabets können unbekannte Wörter visuell buchstabiert werden. Das Fingeralphabet kann auch abgetastet werden. Dann spricht man vom Daktylieren.
- Großdruck
- Text, der in großer und leicht zu lesender Schrift abgedruckt bzw. dargestellt ist. Teilweise wird auch der Zeilenabstand angepasst. Eine vergrößerte Kopie eines Dokuments, z. B. von A4 auf A3, ist damit nicht gemeint. Die Vergrößerung ist in dem Fall nicht unbedingt ausreichend.
- Haptische Zeichen oder Body Signs
- Sogenannte haptische Zeichen oder Body Signs werden direkt am Körper (z. B. Rücken oder Oberarm) ausgeführt. Durch bestimmte Berührungen, Zeichen oder Gebärden können kurze oder ergänzende Hinweise parallel zur stattfindenden Kommunikation in Laut- oder Gebärdensprache gegeben werden.
- Kleinraumgebärden
- Die Gebärden werden in einem kleineren Sichtfeld (in Gesichts- und Halshöhe) ausgeführt, damit die taubblinde oder hörsehbehinderte Person den Bewegungen gut folgen kann. Ausschweifende Gebärden werden vermieden.
- Lautsprachbegleitende Gebärden, LBG
- Bei Lautsprachbegleitenden Gebärden oder LBG werden gleichzeitig zum Sprechen für jedes Wort Gebärden eingesetzt. Sie folgen also der Grammatik der Lautsprache und sind als Hilfsmittel für ein besseres Verständnis von lautsprachlicher Kommunikation zu verstehen. LBG ist im Gegensatz zu Deutscher Gebärdensprache keine natürliche, eigenständige Sprache.
- Lormen
- Lormen ist ein taktiles Alphabet. Es wird auch als Tastalphabet bezeichnet. Dabei werden durch Tippen und Streichen an verschiedenen Stellen der Handfläche und Finger Buchstaben angezeigt. Dieses „Schreiben in die Hand“ folgt denselben Regeln wie die Laut- bzw. Schriftsprache. Das Lormen wird insbesondere in deutschsprachigen Ländern von taubblinden und hörsehbehinderten Personen genutzt.
- Taktiles Gebärden
- Beim taktilen Gebärden legt der/die Kommunikationspartner/in seine/ihre Hände auf die Hände der gebärdenden Person. Die Gebärden werden auf diese Weise abgetastet. Visuelle Komponenten der Gebärdensprache (z. B. Mimik, Kopfhaltungen und Mundbild) werden durch zusätzliche Erklärungen taktil umgesetzt.
Das Kompetenzzentrum Selbstbestimmt Leben für Menschen mit Sinnesbehinderung hat Informationsmaterialien, unter anderem zum Braille-Alphabet, Lormen und taktilen Gebärden erstellt. Sie stehen auf der Website kostenlos zum Download zur Verfügung.
2.5 Symptome
Ich war mit einer mittel- bis hochgradigen Hörschädigung auf einer Schwerhörigenschule. Im Jugendalter begann das mit der Nachtblindheit. Und dann haben die Eltern mich zum Augenarzt geschickt und dort wurde eben festgestellt, dass auch eine Netzhautdegeneration vorliegt.
Zitat einer lautsprachlich kommunizierenden Person (Quelle: EMPLOY Interviews, 2023)
Bis dato konnte ich dann am PC auch ganz normal lesen, mit der Brille weiterhin. Aber ab einem bestimmten Zeitpunkt ging das dann mit dem Sehen schlechter. Da kam dann ein Makulaödem dazu, das heißt also, eine Flüssigkeitsansammlung unter der Makula, der Stelle des schärfsten Sehens, was dann eben zu einer rapiden Sehverschlechterung führte.
Zitat einer taubblinden oder hörsehbehinderten Person (Quelle: EMPLOY Interviews, 2023)
Je nach Ausprägung von Taubblindheit und Hörsehbehinderung können die Symptome individuell unterschiedlich sein. Die gleiche Diagnose bedeutet nicht, dass die Personen im gleichen Maße bestimmte Symptome und Auswirkungen erfahren. Je nach Umweltfaktoren und Tagesform kann sich die Ausprägung der Symptome auch über den Tagesverlauf unterscheiden. Zum Beispiel durch Dunkelheit am Morgen und helle Lichtverhältnisse am Nachmittag oder viel Energie am Tagesbeginn und Erschöpfungserscheinungen am Abend. Aufgrund eines fortschreitenden Verlaufs (progredient) oder Behandlungen (z. B. Einsetzen eines Cochlear Implantats) kann sich die Symptomatik im Laufe des Lebens verändern.
Anzeichen und Folgen einer Taubblindheit und Hörsehbehinderung können folgende sein:
- Eingeschränktes Sprachverständnis, insbesondere in Gruppensituationen und lauten Umgebungen: Das Hören einer taubblinden oder hörsehbehinderten Person ist nicht mit dem hörender Menschen zu vergleichen. Auch mit technischen Hilfen wie Hörgeräten sind die wahrgenommenen Sprachanteile häufig verzerrt oder es fehlen Teile. Dies macht das Verstehen insbesondere in Gruppensituationen oder in lauter Umgebung schwierig.
- Gleichgewichtsstörungen, Schwindel und Unsicherheiten in der Mobilität: Durch eine Schädigung des Gleichgewichtsorgans können Gleichgewichtsstörungen und Schwindel auftreten. Infolge einer Taubblindheit und Hörsehbehinderung kann die Umwelt meist nur eingeschränkt wahrgenommen werden. Dies kann zu Unsicherheiten in der Mobilität führen. Außerdem besteht eine erhöhte Gefahr zu stolpern und zu stürzen.
- Probleme bei der räumlichen Orientierung: Durch Beeinträchtigungen des Sehvermögens sowie Einschränkungen des Gesichtsfelds kann die räumliche Orientierung erschwert sein. Bei der Bewältigung des Arbeitsweges betrifft dies zum Beispiel das Überqueren von befahrenen Straßen oder das Nutzen von Bus und Bahn. Auch die Orientierung innerhalb von Gebäuden kann schwierig sein, wie beispielsweise ohne Vorkenntnisse einen Raum zu finden oder sich in einem fremden Raum zurechtzufinden.
- Tinnitus oder andere Ohrgeräusche: Bei einem Tinnitus oder anderen Ohrgeräuschen kann es sich um ein Pfeifen, Rauschen oder auch Klingeln handeln. Diese Geräusche können ständig vorhanden sein oder situationsabhängig auftreten. Betroffene Personen können die Geräusche teilweise nur schwer ausblenden. Dies kann sehr belastend sein.
- Nachlassendes Sehvermögen und Störungen der Farbwahrnehmung: Mit nachlassendem Sehvermögen können kleingedruckte Texte nicht mehr gut gelesen werden und/oder man sieht verschwommen. Die Schriftgröße und der Kontrast müssen (zunehmend) erhöht werden. Es kann auch vorkommen, dass Personen Farben nicht (mehr) unterscheiden können.
- Nachtblindheit: Bei Nachtblindheit können sich die Augen nicht gut bzw. nicht mehr an die Dunkelheit anpassen (Adaption). Dadurch besteht ein eingeschränktes Sehvermögen in der Dämmerung und bei zunehmender Dunkelheit. Nachtblindheit kann ein erstes Symptom für eine Netzhautdegeneration (Retinopathia pigmentosa) sein. Im Fall von Taubblindheit oder Hörsehbehinderung kann dies auf das Usher-Syndrom hindeuten.
- Schwierigkeiten bei der Anpassung an wechselnde Lichtverhältnisse: Das Auge benötigt mehr Zeit, um sich an geänderte Lichtverhältnisse anzupassen (Adaption), zum Beispiel beim Übergang aus einer schlecht beleuchteten U-Bahnstation (dunkel) auf eine Straße bei Sonnenschein (hell).
- Sichtfeldeinschränkung: Dazu zählen eine Verengung des Gesichtsfelds („Tunnelblick“) bei einer Retinopathia Pigmentosa oder Ausfälle im Sehzentrum bei einer Makuladegeneration. Dies kann dazu führen, dass man die Umwelt nicht vollständig wahrnehmen kann, also z. B. Personen nicht direkt erkennt, daher nicht grüßt, sich an Tischkanten oder Regalen stößt. Außerdem wird es schwieriger, Dinge in Bewegung rechtzeitig zu bemerken, z. B. einen geworfenen Ball.
- Erhöhter Lichtbedarf und Blendempfindlichkeit: Um die Umwelt gut wahrzunehmen, ist eine angepasste Beleuchtung notwendig. Zusätzlich zu einem erhöhten Lichtbedarf kann auch eine erhöhte Blendempfindlichkeit vorliegen. Hier kommt es darauf an, aus welcher Richtung das Licht kommt und ob es zum Beispiel durch glänzende Flächen reflektiert wird. Eine indirekte Beleuchtung mit Dimmfunktion kann für optimale Lichtverhältnisse sorgen. Es ist nicht unüblich, dass Personen mit Taubblindheit oder Hörsehbehinderung auch in Innenräumen eine gefärbte Brille tragen.
2.6 Diagnose
Im Jugendalter hatte ich eine einseitige Netzhautablösung auf dem linken Auge. Das rechte Auge war nicht betroffen. Nach einer Untersuchung wurde die Diagnose Usher-Typ 1 gestellt. Die Seheinschränkung auf dem linken Auge blieb über die Jahre hinweg unverändert. Und mittlerweile im Alter von Mitte 30 merke ich auch eine Seheinschränkung auf dem rechten Auge, sodass beide Augen betroffen sind. Aber allgemein bezeichne ich mich als taubblind.
Zitat einer taubblinden oder hörsehbehinderten Person (Quelle: EMPLOY Interviews, 2023)
Es ist oft nicht einfach, Taubblindheit oder Hörsehbehinderung frühzeitig zu erkennen und richtig zu diagnostizieren. Wenn zunächst nur eine Sinnesbehinderung offensichtlich ist (z. B. die Schwerhörigkeit bzw. Taubheit beim Usher-Syndrom), kann es zu Verzögerungen in der Diagnosestellung kommen. Trotz gleicher Diagnose können das Eintrittsalter und der Verlauf der jeweiligen Sinnesbeeinträchtigung individuell unterschiedlich sein. Insbesondere bei einem fortschreitenden Verlauf sind eine kontinuierliche Überprüfung und Anpassung notwendig.
Die Interviews und Online-Befragung des EMPLOY Projektes ergaben, dass die vollständige Diagnose einer Taubblindheit oder Hörsehbehinderung für den Großteil der Personengruppe erst im Jugend- oder Erwachsenenalter gestellt wurde. Die Personen befanden sich zu diesem Zeitpunkt oftmals in einer Berufsausbildung, einem Studium oder waren bereits in einem erlernten Beruf tätig. Die Diagnose wurde zum Teil als großer Schock sowohl für die Personen selbst als auch für Angehörige sowie das Arbeitsumfeld beschrieben. Teilweise müssen sich die Personen beruflich neu orientieren. Dies ist insbesondere bei einer absehbaren oder akuten Verschlechterung der Fall. Durch eine Versorgung mit geeigneten Hilfsmitteln und eine Anpassung des Arbeitsplatzes ist in einigen Fällen aber auch eine Weiterbeschäftigung im selben Beruf möglich (siehe Kapitel 4.2 Hilfen im Arbeitsleben).
Molekulargenetische Analyse bei Verdacht auf Usher-Syndrom
Zur Sicherstellung der Diagnose Usher-Syndrom kann eine molekulargenetische Analyse vorgenommen werden. Dafür wird der Person eine Blutprobe abgenommen. Die Probe wird anschließend in ein Labor zur Untersuchung geschickt. Da das Usher-Syndrom vererbt wird, kann es sein, dass mehrere Personen in einer Familie betroffen sind. Wenn bereits ein Fall in einer Familie bekannt ist, kann eine Analyse bei Geschwistern sinnvoll sein.
Projekt GaViD-Sinne
Um die bestehende medizinische und diagnostische Versorgungslücke für Menschen mit Taubblindheit und Hörsehbehinderung zu schließen, haben sich das Deutsche Taubblindenwerk, die Blindeninstitutsstiftung und die Nikolauspflege zusammen mit den Universitätskliniken in Hannover, Berlin, Würzburg und Tübingen sowie der AOK Baden-Württemberg zusammengeschlossen und das Projekt „GaViD-Sinne: Ganzheitliche Versorgung und interdisziplinäre Diagnostik für Menschen mit Sinnesbehinderungen“ konzipiert.
Mit dem Projekt sollen erstmals vier Diagnostik- und Versorgungszentren für Menschen mit (Verdacht auf) Taubblindheit und Hörsehbehinderung an den Standorten Hannover, Berlin, Würzburg und Stuttgart aufgebaut werden. Diese Zentren dienen als Schnittstelle verschiedener Professionen aus den Bereichen Medizin, Versorgung, Psychologie und Pädagogik, um Betroffene sowie Personen aus deren persönlichen Umfeld ganzheitlich zu beraten und zu begleiten. Hier werden Sehen und Hören im diagnostischen Prozess fortan grundsätzlich zusammen und sich gegenseitig beeinflussend gedacht – im Sinne von Taubblindheit und Hörsehbehinderung als eigenständige Behinderung. Es geht darum, bestehende Befunde und die daraus abgeleiteten Maßnahmen zu überprüfen, neue zu generieren und Antworten auf offene, alltagsrelevante sinnesspezifische Fragestellungen zu finden.
Das Projekt wird vom Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses für eine Laufzeit von drei Jahren von September 2024 bis August 2027 gefördert. Ziel ist es, nach Ablauf der Projektförderung, eine sich über die Regelversorgung tragende Versorgungsleistung langfristig im deutschen Gesundheitswesen zu etablieren.
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Deutsches Taubblindenwerk: Projekt GaViD-Sinne
rehadat.link/tbltbwerk -
Zentrum für seltene Augenerkrankungen Bonn
rehadat.link/tblselteneaugenkr -
Universitätsklinikum Heidelberg: Augenklinik
rehadat.link/tblaugenklinikhb -
Universitäts Augenklinik Tübingen: Sprechstunde für erbliche Netzhautdegenerationen
rehadat.link/tbltuebingen
2.7 Körperliche und psychische Belastungen
Ja, stimmt. Also ich wollte nicht in Rente gehen, ich wollte immer weiterarbeiten und auch länger weiterarbeiten, aber ich habe gemerkt, dass ich immer schlechter sehe, dass ich die Maße nicht mehr richtig lesen kann, dass es für mich körperlich auch anstrengender ist, und ich konnte auch nachher die Kollegen nicht mehr gut verstehen. Schlechter von den Lippen absehen, schlechter sehen, was sie gesagt haben, konnte auch Geschriebenes nicht mehr gut lesen.
Zitat einer gebärdensprachlich kommunizierenden Person (Quelle: EMPLOY Interviews, 2023)
Einmal die psychischen Auswirkungen der ganzen Schwierigkeiten, die man hat, die Enttäuschungen, dass Dinge nicht klappen. Auch der Einfluss anderer Menschen, wie sie mit einem umgehen, dass man Probleme hat, negative Einflüsse wahrnimmt, dass man viele Dinge einfach aufstaut und mitnimmt, Belastungen dadurch erfährt. Belastungen, die einen begleiten und das darf nicht sein.
Zitat einer taubblinden oder hörsehbehinderten Person (Quelle: EMPLOY Interviews, 2023)
Menschen mit Taubblindheit und Hörsehbehinderung stehen vor vielfältigen körperlichen und psychischen Herausforderungen. Diese Belastungen können sich auf verschiedene Bereiche ihres alltäglichen Lebens und Wohlbefindens auswirken.
Menschen mit Taubblindheit und Hörsehbehinderung können eine Vielzahl körperlicher Auswirkungen erleben. Insbesondere die Bereiche Informationsaufnahme und Mobilität spielen hierbei eine Rolle. Um Informationen wahrzunehmen und zu verarbeiten, müssen sich die Personen teilweise stark konzentrieren. Im Arbeitsalltag kann diese ständige Anstrengung zu schnelleren Ermüdungs- und Überlastungserscheinungen führen. In der Folge treten Konzentrationsschwierigkeiten und Erschöpfung auf. In diesem Zusammenhang wird zum Beispiel von häufigen Kopfschmerzen oder Augenschmerzen berichtet.
Um besser sehen oder hören zu können, wird außerdem vermehrt eine anstrengende Körperhaltung eingenommen. Zum Beispiel wird der Nacken nach vorne überstreckt, um besser lesen oder den Gesprächspartner leichter verstehen zu können. Dies kann zu Verspannungen in Nacken und Rücken führen. Auch das Gleichgewicht ist oft beeinträchtigt, was zu Unsicherheiten in der Mobilität und erhöhtem Risiko für Stürze sowie Verletzungen führen kann. Für viele Personen mit Taubblindheit oder Hörsehbehinderung ist es insbesondere in unübersichtlichen Umgebungen notwendig, sich durch Abtasten zu orientieren. Dies kann die Muskeln und Gelenke belasten, insbesondere in den Händen und Armen. Um den körperlichen Belastungen entgegenzuwirken, sollten sogenannte Sehpausen und Hörpausen eingelegt werden.
Dies bedeutet für den Arbeitsalltag, dass die Bearbeitung von Aufgaben unter Umständen länger dauern kann (siehe Kapitel 3.1 Auswirkungen auf das Arbeitsleben). Für eine weniger belastende Körperhaltung sind ein angepasster Arbeitsplatz und geeignete Hilfsmittel sehr wichtig (siehe Kapitel 4.2 Hilfen im Arbeitsleben). Außerdem können Rehasport und Physiotherapie dabei helfen, Fehlhaltungen vorzubeugen oder entgegenzuwirken.
Menschen mit Taubblindheit und Hörsehbehinderung stehen oft vor großen psychischen Herausforderungen, die sowohl sie selbst als auch ihr Umfeld betreffen. Die emotionale Belastung nach der Diagnose ist in vielen Fällen enorm und kann für die Betroffenen und ihr Umfeld ein Schock sein. Für einige taubblinde und hörsehbehinderte Personen ist die notwendige Anpassung an den Alltag und die Akzeptanz der Behinderung mit Stress und Frustration verbunden. Besonders die fortschreitende Verschlechterung des Hörvermögens und Sehvermögens kann Ängste und Niedergeschlagenheit verursachen. Zusätzlich entsteht Druck durch die ständige Notwendigkeit, neue Wege zu finden, um mit der Behinderung umzugehen. Auch das kann kräftezehrend sein. Darüber hinaus kann vor allem durch Kommunikationsbarrieren ein Gefühl von Isolation und Einsamkeit bis hin zur Depression entstehen.
Um mit psychischen Belastungen umzugehen, kann der Austausch mit anderen taubblinden und hörsehbehinderten Menschen (zum Beispiel in der Selbsthilfe oder Austausch mit Peers) hilfreich sein. Bei anhaltenden Problemen kann es ratsam sein, psychotherapeutische und beratende Angebote in Anspruch zu nehmen.
Eine Liste an Unterstützungsmöglichkeiten bei körperlichen und psychischen Belastungen finden Sie im nächsten Kapitel.
2.8 Therapie und medizinische Rehabilitation
Also aktuell würde ich mich schon dafür interessieren, mal eine medizinische Reha machen zu wollen. Und ich weiß schon, das muss ich ja erstmal wieder rauskriegen bei meiner eigenen Krankenkasse. Wird das finanziert? Und wenn es nicht finanziert wird, muss ich dann tatsächlich die Hälfte selber bezahlen? Und wenn das der Fall ist, kann ich das schon wieder knicken. Dann würde ich das schon wieder sein lassen. Also das ist vielleicht ein Thema, wo ich irgendwie denke: Boah, das kann doch nicht sein, wenn man auf dem Zahnfleisch geht, dass man sich dann um alles selber kümmern muss.
Zitat einer taubblinden oder hörsehbehinderten Person (Quelle: EMPLOY Interviews, 2023)
Therapie- und Rehabilitationsmöglichkeiten hängen stark von der Art der Taubblindheit oder Hörsehbehinderung ab. So kann bei einer (hochgradigen) Schwerhörigkeit die Versorgung mit Hörsystemen dabei helfen, das Sprachverstehen zu verbessern oder aber zumindest eine Geräuschwahrnehmung zu ermöglichen. Dazu gehören unter anderem Hörgeräte, Cochlea Implantate und Übertragungsanlagen. Brillen und Kontaktlinsen sowie optisch und elektronisch vergrößernde Sehhilfen können dabei helfen, das Sehvermögen optimal auszunutzen (siehe Kapitel 4.2 Hilfen im Arbeitsleben). Begleiterkrankungen des Auges, zum Beispiel ein Katarakt (Grauer Star), Glaukom (Grüner Star) oder ein Makulaödem können teilweise operiert oder behandelt werden. Die Grunderkrankung ist bei vielen jedoch nicht heilbar. Bei akuten Schüben, die bei einer fortschreitenden Taubblindheit und Hörsehbehinderung auftreten können, sollte eine schnelle ärztliche Abklärung erfolgen.
Aktuell (2024) gibt es in Deutschland nur sehr wenige medizinische und therapeutische Angebote, die die Bedürfnisse und Anforderungen taubblinder und hörsehbehinderter Menschen erfüllen. Zum Teil müssen taubblinde und hörsehbehinderte Menschen lange Fahrtwege auf sich nehmen und in andere Bundesländer reisen, um geeignete Anlaufstellen sowie kompetente Ansprechpersonen aufzusuchen. Das stellt einen großen Aufwand dar und ist in der Regel sehr anstrengend. Dabei benötigen die taubblinden und hörsehbehinderten Personen oft Unterstützung aus ihrem sozialen Umfeld. Bislang gibt es keine medizinische Rehabilitation, die spezifisch auf Taubblindheit oder Hörsehbehinderung ausgerichtet ist. Einige Kliniken bieten aber eine Usher-Sprechstunde an. Außerdem ist in Fachkliniken eine Rehabilitation für die einzelnen Bereiche Sehen oder Hören möglich.
Therapeutische Unterstützung
Die psychischen und auch körperlichen Belastungen durch eine Hörsehbehinderung oder Taubblindheit sind sehr hoch. Beratung und Behandlung durch Fachleute, der Austausch mit Peers und die Unterstützung durch Hilfsmittel sind von zentraler Bedeutung.
Unterstützungsmöglichkeiten für Menschen mit Taubblindheit oder Hörsehbehinderung sind zum Beispiel:
- Medizinische Unterstützung und Behandlung durch Fachärztinnen und Fachärzte
- Psychosoziale Beratung oder Psychotherapie
- Weitere begleitende oder präventive Angebote, z. B. Physiotherapie, Ergotherapie, Rehasport, Entspannungstherapie
- Hilfsmittel für den alltäglichen Gebrauch wie zum Beispiel Hörgeräte, Cochlea-Implantate, Brillen, Kontaktlinsen, Bildschirmlese- und Vorlesegeräte oder Geräte mit Braille-Unterstützung
- Kommunikationstrainings: Zum Beispiel Schulungen in Gebärdensprache oder taktile Kommunikationsformen wie Brailleschrift und Lormen.
- Training in Orientierung und Mobilität (O & M): Mit Hilfe von Blindenlangstock und/oder Blindenführhund die Umgebung erkunden und Wege eigenständig bewältigen.
- Soziale Unterstützung und Peer-Austausch: Selbsthilfegruppen und Netzwerke, um Isolation zu vermeiden und den Austausch von Erfahrungen zu ermöglichen und zu erfahren, wie andere Personen mit ähnlichen Einschränkungen damit umgehen.
Beratungs- und Therapieangebote finden Sie unter folgenden Adressen:
-
Deutscher Gehörlosen-Bund e. V.: Psychotherapie – Ansprechpersonen
rehadat.link/tbldeutscherghbund -
PRO RETINA: Liste von Therapeutinnen und Therapeuten
rehadat.link/tblproretina -
DBSV e. V.: Beratungs- und Reha-Angebote
rehadat.link/tblberatung -
NETZWERKBÜRO: Liste von Therapeutinnen und Therapeuten, die DGS können
rehadat.link/tblnetzwerk
Medizinische Rehabilitation
Die medizinische Rehabilitation, kurz „medizinische Reha“, umfasst verschiedene medizinische Leistungen, die darauf abzielen, Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu unterstützen. Dazu gehören ärztliche Behandlungen, Psychotherapie, Krankengymnastik, Ergotherapie, stationäre Reha, Hilfsmittel und auch Maßnahmen zur Wiedereingliederung ins Arbeitsleben. Das Ziel dieser Leistungen ist es, eine dauerhafte Beeinträchtigung oder Pflegebedürftigkeit zu verhindern oder der betroffenen Person zu helfen, besser mit den Folgen ihrer Erkrankung oder Behinderung umzugehen. Außerdem zielt sie darauf ab, die Arbeitsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern oder wiederherzustellen. Auch bei einer (zeitlich befristeten) Erwerbsminderungsrente (siehe Kapitel 5.3 Erwerbsminderungsrente), kann eine Reha sinnvoll sein.
Die Kosten für eine medizinische Reha können von verschiedenen Trägern übernommen werden. Der Antrag muss vor Beginn der Reha gestellt und genehmigt werden. Welcher Träger zuständig ist, hängt vom Ziel der Reha-Maßnahme ab:
- Rentenversicherung: Zuständig für Berufstätige.
- Krankenversicherung: Zuständig für Menschen, die eine Altersrente oder eine Erwerbsminderungsrente erhalten.
- Unfallversicherung: Zuständig bei Berufskrankheiten oder Arbeitsunfällen.
-
Deutsche Rentenversicherung: Reha-Antragstellung
rehadat.link/tbldrvrehaantrag -
MEDICLIN Kliniken Bad Wildungen: Psychosomatische Rehabilitation bei bei Sehbehinderung oder Erblindung
rehadat.link/tblmediclin (PDF) -
DSB e. V.: Reha-Einrichtungen für Menschen mit Hörbehinderung
rehadat.link/tblrehahoerbehinderung
2.9 Anerkennungsverfahren
Ja, ich habe das Merkzeichen TBl, weil ich da einfach schwarz auf weiß vorzeigen kann, dass ich taubblind bin. Ich habe das Merkzeichen und dann ist dieser Sachverhalt geklärt. Was ich nicht wirklich verstehe ist, dass man das Merkzeichen TBl erst ab einer Sehbehinderung mit einem Restsehvermögen von fünf Prozent bekommt. Das finde ich für den Bereich Taubblindheit nicht nachvollziehbar.
Zitat einer taubblinden oder hörsehbehinderten Person (Quelle: EMPLOY Interviews, 2023)
Bis zur Usher-Sprechstunde hatte ich in meinem Schwerbehindertenausweis nur einen GdB von 50; stehen, ohne irgendwelche Merkzeichen. Nachdem ich dann die Diagnose Usher schwarz auf weiß hatte, habe ich dann jedes Jahr den Antrag gestellt. Und heute ist mein Schwerbehindertenausweis voll. Also da steht jetzt ein GdB von 100.
Zitat einer taubblinden oder hörsehbehinderten Person (Quelle: EMPLOY Interviews, 2023)
In den folgenden Abschnitten erhalten Sie einen Überblick über das Anerkennungsverfahren für Behinderungen, insbesondere für Taubblindheit oder Hörsehbehinderung im Rahmen des Schwerbehindertenausweises. Der Schwerbehindertenausweis ist ein sozialrechtliches Dokument. Dieser kann ab einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 ausgestellt werden und enthält u. a. sogenannte Merkzeichen. Diese Merkzeichen stehen im Zusammenhang mit einzelnen Behinderungen oder behinderungsbedingten Bedarfen. Außerdem sind sie mit besonderen Rechten und Vergünstigungen verbunden. Das Merkzeichen „TBl“ kann seit 2016 bei einer Taubblindheit vergeben werden. Andere Merkzeichen sind zum Beispiel das Merkzeichen „B“, wenn die Person mit Behinderung eine Begleitung benötigt, oder das Merkzeichen „G“, wenn eine Gehbehinderung vorliegt. Falls bei einer Person mehrere Behinderungen vorliegen, können auch mehrere Merkzeichen in den Schwerbehindertenausweis aufgenommen werden.
Die amtlich festgestellte Behinderung / Grad der Behinderung (GdB)
Menschen mit Behinderungen oder Erkrankungen können einen Antrag auf Feststellung der Behinderung nach dem Schwerbehindertenrecht stellen. Der amtlich festgestellte Grad der Behinderung (GdB) sagt nichts aus über die Leistungsfähigkeit in Arbeit und Beruf, sondern bezieht sich grundsätzlich auf die Auswirkungen von Funktionseinschränkungen auf die Teilhabe an allen wichtigen Lebensbereichen.
Auch bei chronischen Erkrankungen wie Asthma, Diabetes mellitus, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Rheuma, Schlaganfall, Multipler Sklerose, Chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED), starken Rückenleiden oder Krebserkrankungen kann ein GdB anerkannt werden. Faustregel: Als schwer chronisch krank gilt, wer mindestens einmal im Vierteljahr auf eine ärztliche Behandlung angewiesen ist.
Das Amt bestimmt den GdB anhand medizinischer Gutachten und anhand der GdS-Tabelle* der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VMG).
Der GdB reicht auf einer zehnstufigen Skala von 20 bis 100.
- Ab einem GdB von 50 gelten Menschen als „schwerbehindert“; sie erhalten einen Schwerbehindertenausweis sowie bestimmte Merkzeichen.
- Mit einem GdB von 30 bis 40 ist es möglich, die Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen bei der Agentur für Arbeit zu beantragen.
Tipp
Antragsformulare sind beim zuständigen Amt der Versorgungsverwaltung oder online erhältlich.
*In den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VMG) wird die GdB-Tabelle als „GdS-Tabelle“ bezeichnet. In der täglichen Praxis besteht zwischen beiden Bezeichnungen kein wesentlicher Unterschied. Im Schwerbehindertenrecht spricht man vom Grad der Behinderung (GdB), daher auch von „GdB-Tabelle“, im sozialen Entschädigungsrecht dagegen vom Grad der Schädigungsfolgen (GdS), daher von „GdS-Tabelle“. Sowohl der GdB als auch der GdS werden faktisch anhand derselben Tabelle ermittelt.
Ein feiner Unterschied besteht darin, dass sich der ermittelte GdS ausschließlich auf die Schädigungsfolgen bezieht (also „kausal“ betrachtet wird), während sich der GdB auf alle Gesundheitsstörungen, unabhängig von ihrer Ursache, bezieht (also „final“ betrachtet wird).
GdB-abhängige Nachteilsausgleiche
Menschen mit anerkannter (Schwer-)Behinderung und ihren Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern stehen soziale Vergünstigungen und Nachteilsausgleiche im Arbeitsleben zu: beispielsweise die Betreuung durch spezielle Fachdienste, Hilfen zur behinderungsgerechten Arbeitsplatzausstattung oder Lohnkostenzuschüsse.
Gleichgestellte behinderte Menschen und ihre Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber haben ebenfalls Anspruch auf bestimmte GdB-abhängige Nachteilsausgleiche im Arbeitsleben.
GdB-abhängige Nachteilsausgleiche auf einen Blick
sb=schwerbehindert; gl=gleichgestellt; AG=Arbeitgebende
Leistung | sb | gl | AG |
---|---|---|---|
Finanzielle Leistungen / Begleitende Hilfe im Arbeitsleben | Ja✔ | Ja✔ | Ja✔ |
Betreuung durch spezielle Fachdienste | Ja✔ | Ja✔ | Ja✔ |
Hilfen zur Arbeitsplatzausstattung | Ja✔ | Ja✔ | Ja✔ |
Lohnkostenzuschüsse | Ja✔ | Ja✔ | Ja✔ |
Anrechnung auf Pflichtarbeitsplätze | Ja✔ | Ja✔ | Ja✔ |
Besonderer Kündigungsschutz | Ja✔ | Ja✔ | Nein |
Freistellung von Mehrarbeit | Ja✔ | Ja✔ | Nein |
Kraftfahrzeughilfe für den Arbeitsweg | Ja✔ | Ja✔ | Nein |
Teilnahme an der Wahl der SBV | Ja✔ | Ja✔ | Nein |
Zusatzurlaub | Ja✔ | Nein | Nein |
Schwerbehindertenausweis & Merkzeichen | Ja✔ | Nein | Nein |
Unentgeltliche Beförderung mit Bus & Bahn | Mit Merkzeichen(✔)* | Nein | Nein |
Vorgezogene Altersrente | Ja✔ | Nein | Nein |
* Unentgeltliche Beförderung im ÖPNV mit Merkzeichen G, aG, H, Gl, Bl oder TBl im Schwerbehindertenausweis.
Voraussetzung dafür ist, dass sie ohne die Gleichstellung keinen geeigneten Arbeitsplatz erlangen können oder Gefahr laufen, ihren Arbeitsplatz zu verlieren (§ 2 Absatz 3 SGB IX).
Schon gewusst?
Auszubildende mit Behinderungen werden während einer betrieblichen Ausbildung auch dann gleichgestellt, wenn ihr GdB unter 30 liegt oder kein GdB festgestellt ist. So können Unternehmen Prämien und Zuschüsse zu den Kosten der Berufsausbildung erhalten, wenn sie junge Menschen mit Behinderungen ausbilden (§ 185 Absatz 3 Nummer 2c SGB IX). Darüber hinaus kann der ausbildende Betrieb schwerbehinderte oder gleichgestellte Auszubildende zur Erfüllung seiner Beschäftigungspflicht auf zwei Pflichtarbeitsplätze anrechnen.
GdB bei Taubblindheit und Hörsehbehinderung
Das Merkzeichen „TBl“ (taubblind) wurde in Deutschland im Jahr 2016 mit der Verabschiedung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) eingeführt. In der Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV) § 3 Abs. 1 Nr. 8 ist festgehalten, dass das Merkzeichen ausgestellt werden kann, „wenn der schwerbehinderte Mensch wegen einer Störung der Hörfunktion mindestens einen Grad der Behinderung von 70 und wegen einer Störung des Sehvermögens einen Grad der Behinderung von 100 hat“. Was genau bedeutet das? Zum einen muss mindestens eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit oder Taubheit auf beiden Ohren festgestellt werden. Dies ist bei einem Hörverlust mit Beeinträchtigungen des Sprachverstehens und -vermögens ab 80 Prozent der Fall. Im Kapitel 5 der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) wird die Ermittlung des prozentualen Hörverlustes anhand bestimmter Tabellen genauer beschrieben.
Zum anderen muss eine hochgradige Sehbehinderung oder Blindheit vorliegen. Dies ist bei einer Sehschärfe (Visus) auf dem besseren Auge von 0,05 (1/20 oder 5 Prozent) oder darunter der Fall. Auch bei einer starken, allseitigen Einschränkung des Gesichtsfelds („Tunnelblick") auf fünf Grad wird ein GdB von 100 vergeben.
Mit dem Merkzeichen „TBl” besteht der Anspruch auf Befreiung vom Rundfunkbeitrag. Außerdem können steuerpflichtige Personen mit dem Merkzeichen seit 2021 unter bestimmten Bedingungen einen Behinderten-Pauschbetrag absetzen. Darüber hinaus besteht in momentan acht Bundesländern (nach Antrag) ein Anspruch auf einen finanziellen Ausgleich, wobei sich die Begriffe und die Höhe der Zahlung oft unterscheiden. In Bayern, Berlin, Brandenburg, Hessen, Niedersachsen, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt, Saarland, Schleswig-Holstein und in Thüringen gibt es bisher keine spezifischen finanziellen Ausgleiche für taubblinde Menschen .
Sind die Merkzeichen „Bl” (blind) und „Gl” (gehörlos) bereits vorhanden, bleiben diese auch mit der Aufnahme des Merkzeichens „TBl” weiterhin im Schwerbehindertenausweis. Das Merkzeichen „TBl” wird dann hinzugefügt. Sollte noch kein Schwerbehindertenausweis vorliegen, ist es ratsam, alle drei Merkzeichen zu beantragen, da nicht automatisch dieselben Nachteilsausgleiche gelten. Mit den Merkzeichen „Bl” und „Gl” sind in den meisten Bundesländern Nachteilsausgleiche, wie z. B. Blinden- oder Gehörlosengeld verbunden. Je nach Bundesland werden die finanziellen Leistungen zusammengefasst.
Forderungen und Kritik bezüglich des Merkzeichens „TBl” und der daran anschließenden Leistungen
Selbsthilfeverbände und Organisationen, die im Bereich Taubblindheit und Hörsehbehinderung tätig sind, kritisieren die Unübersichtlichkeit der Nachteilsausgleiche in den Bundesländern. Sie fordern eine bundeseinheitliche Regelung mit einem Taubblindengeld . Weiter fordern die Interessenverbände, dass mit dem Merkzeichen „TBl” ein Mindestmaß an Taubblindenassistenz in Höhe von 20 Stunden pro Woche ohne weitere Begründung gewährt werden sollte . Gleichzeitig wird darauf hingewiesen, dass auch taubblinde und hörsehbehinderte Personen ohne das Merkzeichen „TBl” hohen Assistenzbedarf haben können .
Weitere Quellen zu Kapitel 2: , ,
2.10 Zusammenfassung Kapitel 2
Was ist Taubblindheit und Hörsehbehinderung?
Bei einer Taubblindheit oder Hörsehbehinderung sind sowohl das Sehen als auch das Hören stark eingeschränkt. In den meisten Fällen haben taubblinde und hörsehbehinderte Menschen noch einen gewissen Grad an Hörvermögen und/oder Sehvermögen. Diese verbleibenden Sinne reichen jedoch nicht aus, um den jeweils anderen Sinn auszugleichen.
Dadurch entstehen besondere Schwierigkeiten
- beim Zugang zu Informationen,
- in der Kommunikation
- und bei der Orientierung und Mobilität.
Zahlen und Fakten
Die Anzahl taubblinder und hörsehbehinderter Menschen in Deutschland ist nicht genau bekannt, wird aber auf etwa 8.000 bis 10.000 Personen geschätzt. Da in dieser Berechnung Menschen, die erst im höheren Alter eine Hörsehbehinderung oder Taubblindheit erwerben, nicht mitgezählt werden, dürfte die tatsächliche Zahl deutlich höher sein. Auf internationaler Ebene geht man davon aus, dass ca. 0,2 bis 2 Prozent der Weltbevölkerung taubblind oder hörsehbehindert sind. Überträgt man diese Schätzung auf die Einwohnerzahl von Deutschland, würde die Anzahl von Personen mit Taubblindheit oder Hörsehbehinderung aller Altersstufen auf ca. 170.000 bis 1,7 Millionen Personen ansteigen.
Ursachen
Die Ursachen einer Taubblindheit oder Hörsehbehinderung können vielfältig sein. Die doppelte Sinnesbehinderung kann von Geburt an vorliegen oder im Laufe des Lebens auftreten. Von Geburt an vorliegende Formen sind oft mit Syndromen wie dem CHARGE-Syndrom verbunden. Eine im Laufe des Lebens auftretende Taubblindheit oder Hörsehbehinderung kann erblich bedingt sein. Hier ist insbesondere das Usher-Syndrom zu nennen. Das Usher-Syndrom ist eine Kombination aus einer angeborenen Innenohrschwerhörigkeit (Schallempfindungsstörung) oder Taubheit und einer später einsetzenden Netzhautdegeneration (Retinopathia pigmentosa (RP)). Es wird in drei Typen unterteilt, die sich in ihrer Ausprägung unterscheiden. Sowohl die Hörbeeinträchtigung als auch die Sehbeeinträchtigung können fortschreiten. Darüber hinaus kann eine Taubblindheit oder Hörsehbehinderung infolge von Krankheiten (z. B. Hirnhautentzündung oder Schlaganfall), Unfällen (z. B. Hirnverletzungen) oder altersbedingten Veränderungen wie Makuladegeneration und Innenohrschwerhörigkeit auftreten.
Sprachen und Kommunikationsformen
Manche taubblinden und hörsehbehinderten Menschen verwenden Deutsch, gesprochen oder geschrieben, z. B. auch in Brailleschrift (Blindenschrift). Für andere ist die Kommunikation in Deutscher Gebärdensprache am sichersten, teilweise auch als taktiles Gebärden, wenn die Gebärden nicht gesehen werden können. Eine weitere Form der Verständigung ist Lormen (taktiles Buchstabieren in die Hand). Entscheidend ist hier, in welchem Alter die Hörbehinderung und die Sehbehinderung eingetreten sind und wie stark diese ausgeprägt sind.
Symptome
Auch die Symptome einer Taubblindheit oder Hörsehbehinderung sind sehr individuell. Eine vergleichbare Diagnose bedeutet nicht unbedingt, dass die Personen die gleichen Symptome und Auswirkungen haben. Die Symptome können sich im Laufe des Lebens auch verändern. Mit einer Hörschädigung wird das Verstehen von gesprochener Sprache schwieriger oder gar unmöglich. Daneben können Gleichgewichtsstörungen oder Tinnitus auftreten. Gleichzeitig können eine eingeschränkte Farbwahrnehmung, Nachtblindheit, Tunnelblick und eine erhöhte Blendempfindlichkeit zu den Anzeichen gehören.
Diagnose
Taubblindheit oder Hörsehbehinderung als kombinierte Behinderung wird oft erst zeitlich verzögert diagnostiziert. Zum Beispiel wird zunächst nur eine Sinnesbehinderung bemerkt, wie eine Hörbehinderung oder eine Sehbehinderung. Viele Menschen erhalten ihre vollständige Diagnose erst im Jugend- oder Erwachsenenalter, oft während der Ausbildung oder im Berufsleben. Dies ist für die Betroffenen und ihr Umfeld oft ein großer Schock. Zum Teil müssen sich die Menschen im Alltag sowie auch im Beruf neu orientieren. Dies gilt insbesondere bei einer absehbaren oder akuten Verschlechterung.
Körperliche und psychische Belastungen
Die Auswirkungen einer Taubblindheit oder Hörsehbehinderung sind für die betroffenen Menschen oft körperlich und psychisch belastend. Insbesondere die stetige Sorge vor einer Verschlechterung ist verunsichernd. Sowohl die Kommunikation als auch die Orientierung sind anstrengend und kräftezehrend. Hier können unter anderem sogenannte Hörpausen und Sehpausen oder ein ergonomisch angepasster Arbeitsplatz Entlastung bringen. Viele taubblinde und hörsehbehinderte Personen berichten, dass sie schneller erschöpft und müde sind und Kopfschmerzen sowie Nacken- und Rückenschmerzen haben. Die ständige Anspannung durch das Bemühen, alles mitzubekommen und zu verstehen und den Alltag zu bewältigen, führt zu Stresserleben und häufig auch frustrierenden Erlebnissen. Um sich davor zu schützen, ziehen sich manche taubblinde und hörsehbehinderte Menschen zurück. Dies kann zu sozialer Isolation und Vereinsamung führen. Viele taubblinde und hörsehbehinderte Personen erleben den Austausch mit anderen gleich betroffenen Personen (Peers) als sehr entlastend, besonders auch den Austausch zum Umgang mit der Behinderung.
Therapie und medizinische Rehabilitation
Mit Blick auf körperliche Beschwerden können z. B. die Behandlung durch Fachärzte oder auch Physiotherapie und Rehasport hilfreich sein.
Bei psychischen Problemen können Beratung und Psychotherapie unterstützen. Auch gut an die Bedürfnisse angepasste Hilfsmittel wie Hörsysteme und Sehhilfen können Entlastung schaffen.
Eine medizinische Rehabilitation kann ebenfalls sinnvoll sein. Aktuell gibt es jedoch keine spezifische medizinische Rehabilitation, die sich an taubblinde und hörsehbehinderte Menschen richtet und deren Bedürfnisse erfüllt. Eine Möglichkeit kann sein, eine medizinische Rehabilitation (manchmal auch „Kur” genannt) in einer Einrichtung zu machen, die sich an Menschen mit Hörbehinderung oder Sehbehinderung wendet. Dort sind zumindest die Auswirkungen einer Sinnesbehinderung bekannt.
Grad der Behinderung, Schwerbehindertenausweis und Merkzeichen
Der Grad der Behinderung (GdB) gibt an, wie stark eine Behinderung das Leben beeinträchtigt und wird auf einer Skala von 20 bis 100 eingestuft. Ab einem GdB von 50 gilt eine Person als schwerbehindert. Dies ist mit bestimmten Rechten und Nachteilsausgleichen auch im Bereich Arbeitsleben verbunden.
Antragsformulare für einen Schwerbehindertenausweis sind beim zuständigen Amt der Versorgungsverwaltung oder online erhältlich.
Für Taubblindheit und Hörsehbehinderung gibt es das Merkzeichen „TBl“, das in den Schwerbehindertenausweis bei hochgradiger Hörbehinderung (GdB von 80) und Sehbeeinträchtigung (GdB von 100) vergeben wird. Mit dem Merkzeichen kann man z. B. in einigen Bundesländern finanzielle Hilfen bekommen.
Adressen und Links zum Thema finden Sie im Kapitel 6 Ich hätte noch Fragen – Weiterführende Informationen.
3 »Herausforderungen im Arbeitsleben«
Mit Taubblindheit und Hörsehbehinderung im Job
3.1 Auswirkungen auf das Arbeitsleben
Mögliche Herausforderungen im Arbeitsalltag mit Taubblindheit oder Hörsehbehinderung
- Fahrtätigkeiten
- Tätigkeiten mit viel Kommunikation zum Beispiel Telefonieren
- viele Außenreize (zum Beispiel Großraumbüros)
- hohe Lärmbelastung (besonders bei Schwerhörigkeit)
- wechselnde Arbeits- oder Einsatzorte
- Schichtdienst
- Tätigkeiten in der Höhe
- unübersichtliche Arbeitsplätze und „Stolperfallen”
- Warnsignale, die nicht ausreichend wahrgenommen werden können
- lange Sitzungen
- zu wenige oder nicht individuell einrichtbare Pausen
Kommunikation und Zusammenarbeit
Kommunikation spielt in fast allen Arbeitsbereichen eine wichtige Rolle. Sie ist von zentraler Bedeutung für eine funktionierende Zusammenarbeit. Gleichzeitig stellt eine gelingende Kommunikation viele taubblinde und hörsehbehinderte Menschen und ihr Arbeitsumfeld vor vielfältige Herausforderungen. Um Frust und Missverständnisse auf beiden Seiten zu vermeiden, ist es wichtig zu wissen, wie die Kollegin oder der Kollege mit Taubblindheit oder Hörsehbehinderung sich am sichersten verständigt (siehe Kapitel 2.4 Sprachen und Kommunikationsformen).
Dabei ist wichtig!
Auch wenn sich alle miteinander um eine gute Verständigung bemühen, kann es zu Missverständnissen und wechselseitiger Unsicherheit kommen. Hilfreich ist es, möglichst bald das Gespräch zu suchen.
Praxistipp für Kolleginnen und Kollegen
Menschen mit Taubblindheit oder Hörsehbehinderung selbst sind Expertinnen und Experten ihrer Behinderung und wissen genau, auf welche Weise die Kommunikation gelingen kann. Fragen Sie Ihre hörsehbehinderte Kollegin oder den taubblinden Kollegen, wie die Kommunikation am besten gelingen kann.
Praxistipp für taubblinde und hörsehbehinderte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
Ihren Kolleginnen und Kollegen hilft es, wenn Sie Probleme offen ansprechen und konkrete Hinweise geben, wie die Kommunikation am Arbeitsplatz gut gelingen kann.
Tipps und Möglichkeiten für eine gesicherte Kommunikation am Arbeitsplatz finden Sie im Kapitel 4.5 Arbeit im Team – Arbeit kommunikativ gestalten.
Kommunikation in gesprochener Sprache
Bei der Kommunikation in gesprochener Sprache (Lautsprache) ergeben sich durch die kombinierte Sinnesbehinderung besondere Herausforderungen: Die Möglichkeit, das Verstehen durch das Absehen vom Mundbild zu unterstützen, kann durch die Sehbehinderung erschwert oder gar unmöglich sein. Auch die akustische Orientierung, die einem sehbehinderten Menschen hilft zu wissen, aus welcher Richtung eine Person spricht, ist durch die Hörbehinderung beeinträchtigt.
Wichtige Anpassungen in der Umgebung und im Kommunikationsverhalten im Arbeitsleben
- Aufmerksamkeit der taubblinden oder hörsehbehinderten Person sichern, zum Beispiel durch Antippen an Schulter, und erst bei Blickkontakt sprechen
- sich gegenüber und auf ähnlicher Stand- oder Sitzhöhe positionieren
- deutliche und langsame Aussprache, aber bei normaler Lautstärke bleiben
- auf gute Beleuchtung achten (zum Beispiel Licht anmachen) und sich nicht vor ein Fenster oder eine Lampe stellen, um Blendungen zu vermeiden
- auf ruhige Umgebung achten (zum Beispiel in einen Nebenraum gehen)
- technische Hilfen konsequent nutzen
Telefonieren bedeutet für die meisten Menschen mit einer Taubblindheit oder Hörsehbehinderung eine große Herausforderung. Mit technischen Hilfen und angepasster Umgebung kann es funktionieren:
Beim Telefonieren kopple ich das Telefon mit meinen Hörgeräten, das klappt so weit auch ganz gut. Aber ich brauche dafür komplette Ruhe. Ich sitze allerdings in einem Dreierbüro und wenn alle sprechen, tippen oder der Drucker läuft, dann geht das halt nicht.
Zitat einer taubblinden oder hörsehbehinderten Person (Quelle: EMPLOY Interviews, 2023)
Taubblinde und hörsehbehinderte Menschen können aufgrund ihrer Hörbehinderung ihre eigene Stimme schlechter wahrnehmen. Dadurch können die Aussprache und Betonung ungewohnt klingen und schwer verständlich sein. Auch Lautstärke und Tonfall werden von anderen nicht immer als angemessen empfunden.
Kommunikation in Gebärdensprache
Trotz der Bemühungen, sich in gesprochener oder schriftlicher Sprache verständlich auszudrücken, kann es sein, dass Inhalte nicht verstanden werden. Wichtige und komplexe Inhalte müssen daher für Personen, die Gebärdensprache nutzen, in Deutscher Gebärdensprache vermittelt werden. Dies kann zum Beispiel durch Dolmetscherinnen und Dolmetscher für Deutsche Gebärdensprache erfolgen. Die Kosten für Dolmetscheinsätze am Arbeitsplatz können z. B. durch das Integrationsamt/Inklusionsamt übernommen werden. Sie müssen nicht vom Arbeitgeber oder privat finanziert werden. Weitere Infos in Kapitel 4.5 Arbeit im Team – Arbeit kommunikativ gestalten.
Schriftliche Kommunikation
Für Menschen mit Taubblindheit oder Hörsehbehinderung kann schriftliche Kommunikation herausfordernd sein. Die Grundlage für das Schreibenlernen und den Erwerb der Schriftsprache ist bei hörenden Kindern in der Regel die Kenntnis der gesprochenen Sprache (Lautsprache), zum Beispiel Deutsch. Bei einer Hörbehinderung kann das Verstehen von Lautsprache jedoch erschwert sein. Beispielsweise ist es bei einer hochgradigen Schwerhörigkeit nicht einfach, Wortendungen wahrzunehmen. Dies hat dann wiederum Auswirkungen auf die Schriftsprache. Für Personen, die Gebärdensprache nutzen, kann die schriftliche Kommunikation in Deutsch ebenso herausfordernd sein, da die Deutsche Gebärdensprache eine natürliche Sprache unter anderem mit eigener Grammatik ist. Es ist also ähnlich wie das Lesen und Schreiben in einer Fremdsprache. Dies gilt auch, wenn die Personen im Ausdruck und im Verstehen der visuellen Deutschen Gebärdensprache sehr sicher sind. Gerade bei komplizierten Texten werden eventuell nicht alle Informationen verstanden. Und wenn eine gebärdensprachlich orientierte Person einen Text schreibt, können Wortwahl und der Satzbau ungewöhnlich und daher schwer verständlich sein. Dadurch kann es leicht zu Missverständnissen kommen. Hinzu kommen Schwierigkeiten beim Lesen durch die individuelle Sehbehinderung. Beispielsweise sind handschriftliche Texte oft nicht gut lesbar. Gleiches gilt für kleine Schriftgrößen oder wenig Kontrast (z. B. hellgrauer Hintergrund und dunkelgraue Schrift).
Praxistipp
Nutzen Sie in E-Mails und Texten Alltagssprache und kurze, prägnante Sätze. Strukturieren Sie Ihre Texte durch Aufzählungszeichen und klare Absätze.
Übliche Formulierung | Besser verständlich |
Sehr geehrter Herr Müller, ich danke Ihnen recht herzlich für Ihre Rückmeldung. Bitte geben Sie mir noch Auskunft, ob Sie Frau Müller schon bezüglich des Sommerfests kontaktiert haben und ob die Buchung des Getränkewagens bereits erfolgt ist. Es wäre schön, wenn Sie nächsten Montag, wie besprochen, an der Besprechung teilnehmen könnten. Freundliche Grüße Lisa Jansen |
Sehr geehrter Herr Müller, danke für Ihre Antwort. Ich habe noch folgende Fragen:
Bitte kommen Sie nächsten Montag zur Besprechung. Freundliche Grüße Lisa Jansen |
Hier gibt es weitere Tipps, wie man E-Mails barrierefrei gestalten kann:
Kommunikation in der Gruppe
Gerade in Gruppen (z. B. Teamsitzungen) kann die Kommunikation unübersichtlich werden. Schnell wechselnde Beiträge oder durcheinander Sprechen bzw. Gebärden machen es der taubblinden oder hörsehbehinderten Person schwer, dem Gespräch zu folgen. Der ständige Versuch, alles mitzubekommen, kostet viel Konzentration und löst Stress aus. Vor allem sehr lange Sitzungen sind anstrengend. Pausen zwischendurch und klare Kommunikationsregeln sind für alle hilfreich! Technische Hilfen oder Gebärdensprachdolmetschende können notwendig sein, um ein gegenseitiges Verstehen in Gruppen zu sichern (siehe Kapitel 4.5 Arbeit im Team – Arbeit kommunikativ gestalten).
Wenn Infos nicht ankommen
Für taubblinde oder hörsehbehinderte Menschen ist es oft schwierig, Informationen (ausreichend) mitzubekommen. In manchen Gesprächssituationen können Informationen schnell untergehen. Dazu gehört zum Beispiel der kurze Austausch unter Kolleginnen und Kollegen, der sogenannte „Flurfunk”, über Neuigkeiten, anstehende Termine oder Ähnliches. Für die taubblinde oder hörsehbehinderte Person sind diese Gespräche zwischen „Tür und Angel” sehr herausfordernd: Vielleicht ist es im Flur zu dunkel, um das Mundbild des Gegenübers gut sehen zu können oder es passiert gerade so viel auf einmal, dass das eigentliche Gespräch inmitten der anderen Eindrücke untergeht. Gleichzeitig können Barrieren und Unsicherheiten in der Kommunikation dazu führen, dass Gespräche möglichst kurzgehalten werden und nur die vermeintlich wichtigsten Informationen weitergegeben werden. Informationen, die als weniger wichtig bewertet werden, gehen unter. Visuelle Informationen, wie zum Beispiel Aushänge, werden leicht übersehen. So kann es sein, dass der Kollege nicht mitbekommt, dass der Aufzug defekt ist. Oder die Kollegin nur zufällig von der geplanten Überraschung für die Chefin erfährt.
Soziales Miteinander
Ein gut funktionierendes soziales Miteinander am Arbeitsplatz schafft Vertrauen und ist ein wichtiges Fundament für eine gelingende Zusammenarbeit. Fehlt das Wissen um mögliche Auswirkungen einer Taubblindheit oder Hörsehbehinderung, kann es zu falschen Einschätzungen kommen. Daher ist es sehr wichtig, dass alle Beteiligten entsprechend informiert sind.
Mögliche Auswirkungen im Arbeitsleben
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Das war mit den alten Kollegen noch etwas anderes, ne, wir kannten uns auch sehr gut und haben uns auch privat ausgetauscht. Aber mit den neuen Kollegen, da bin ich eher distanziert, da suche ich nicht so den privaten Kontakt. Die schriftliche Kommunikation ist für beide Seiten einfach sehr anstrengend. Also sowohl für mich als auch für die anderen Kollegen.
Zitat einer taubblinden oder hörsehbehinderten Person (Quelle: EMPLOY Interviews, 2023)
Gespräche werden oft auf wichtige Themen begrenzt. Für Smalltalk oder persönliche Gespräche fehlt häufig einfach die Energie – insbesondere dann, wenn keine Sprache da ist, die von allen Beteiligten sicher genutzt werden kann.
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Und ja, es gibt noch die einen, die haben da ein bisschen Probleme mit mir. Manchmal laufe ich halt an ihnen vorbei, weil ich sie nicht gesehen habe und dann werde ich als unhöflich dargestellt.
Zitat einer taubblinden oder hörsehbehinderten Person (Quelle: EMPLOY Interviews, 2023)
Die taubblinde oder hörsehbehinderte Person reagiert nicht, weil er die andere Person nicht gehört und/oder gesehen hat.
-
Und andere beobachten mich und denken dann schnell: Die geht aber komisch, die geht ja so, als ob sie betrunken ist.
Zitat einer taubblinden oder hörsehbehinderten Person (Quelle: EMPLOY Interviews, 2023)
Gleichgewichtsstörungen, die Teil einer Taubblindheit oder Hörsehbehinderung sein können, führen zu einem unsicheren und schwankenden Gang. Weiß das Arbeitsumfeld über diese Auswirkung nicht Bescheid, kann es zu falschen Schlussfolgerungen kommen.
Arbeitsweg und Orientierung am Arbeitsplatz
Aber es ist mühsam, von A nach B zu kommen. Weil einfach die Straßenlaternen im Wege sind, Poller sind oft da, manchmal sind die Mülltonnen im Weg oder Straßenschilder, Reklameschilder. Ja, und das sind Sachen, die einen aus dem Lot bringen, um von A nach B zur Arbeit zu kommen.
Zitat einer taubblinden oder hörsehbehinderten Person (Quelle: EMPLOY Interviews, 2023)
Lange oder unübersichtliche Arbeitswege sind für taubblinde und hörsehbehinderte Menschen anstrengend. Teilweise ist viel Konzentration notwendig, um den Arbeitsweg sicher zu schaffen. Am Arbeitsplatz angekommen ist dann ein Großteil der für den Arbeitstag benötigten Energie schon aufgebraucht. Auch gut bekannte Wege können je nach Tagesform und -zeit herausfordernd sein. Bei der Orientierung spielen Umweltfaktoren, wie zum Beispiel die Tageszeit, Wetterlage, Verkehrslage und das Verhalten der Mitmenschen eine entscheidende Rolle.
Die folgenden Bilder vermitteln einen Eindruck, wie eine belebte Straßenkreuzung mit und ohne Augenerkrankung wahrgenommen werden kann.
Abbildung 2: Blick auf eine Straßenkreuzung ohne Sehbehinderung
Abbildung 3: Blick auf eine Straßenkreuzung mit Retinopathia pigmentosa (RP)
Gerade bei fortgeschrittener Taubblindheit oder Hörsehbehinderung sind anstrengende Arbeitswege oft ein Grund, warum die Berufstätigkeit nicht mehr möglich erscheint oder aufgegeben wird. Eine gute Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes erleichtert es, taubblinden und hörsehbehinderten Menschen berufstätig zu sein.
Im Kapitel 4.3 Organisation und Rahmenbedingungen der Beschäftigung finden Sie Maßnahmen, die den Arbeitsweg erleichtern können.
Orientierung am Arbeitsplatz
Nicht nur der Weg zur Arbeit, sondern auch die Orientierung am Arbeitsplatz kann für taubblinde oder hörsehbehinderte Menschen durch verschiedene Barrieren erschwert werden.
Dazu gehören zum Beispiel:
- Stolperfallen durch herumliegende oder in den Raum ragende Gegenstände
- unübersichtliche oder schlecht beleuchtete Räume und Gebäude
- Einsätze an unbekannten Orten oder Dienstreisen
Die folgenden Bilder vermitteln einen Eindruck, wie ein Arbeitsplatz mit und ohne Augenerkrankung wahrgenommen werden kann.
Abbildung 4: Blick auf den Schreibtisch ohne Sehbehinderung
Abbildung 5: Blick auf den Schreibtisch mit Retinopathia pigmentosa (RP)
Abbildung 6: Blick auf den Schreibtisch mit Makuladegeneration
Das Abbauen von räumlichen Barrieren ist für taubblinde und hörsehbehinderte Menschen wichtig, um sich sicher am Arbeitsplatz bewegen zu können. So können Unfälle vermieden werden. Außerdem führt eine sichere Orientierung zu weniger Stress und Anstrengung. Dadurch bleibt mehr Energie für die Bearbeitung der eigentlichen beruflichen Aufgaben.
Im Kapitel 4.2 Hilfen im Arbeitsleben – Barrierefreie Gestaltung der Arbeitsumgebung finden Sie Maßnahmen, um räumliche Barrieren abzubauen und die Orientierung am Arbeitsplatz zu erleichtern.
Wenn der Akku schneller leer ist – Höherer Zeit- und Energieaufwand
Aber wie gesagt, ich kann noch am Bildschirm arbeiten. Das geht noch. Es ist einfach nur, der innere Akku ist einfach ein bisschen früher leer am späten Nachmittag.
Zitat einer taubblinden oder hörsehbehinderten Person (Quelle: EMPLOY Interviews, 2023)
Die Bewältigung von Arbeitsaufgaben kann mit einer Taubblindheit oder Hörsehbehinderung länger dauern, weil die Personengruppe für ihre Arbeit häufig ein hohes Maß an Konzentration benötigt. Der ständige Versuch, über das Hören und Sehen alles mitzubekommen, ist anstrengend. Dadurch können sie schneller erschöpft sein und häufiger Pausen benötigen (siehe Kapitel 2.7 Körperliche und psychische Belastungen).
Auch abseits des Arbeitsalltags kosten Aufgaben mehr Kraft, wie zum Beispiel die Erledigung des Haushalts. Dadurch bleibt weniger Zeit zum Ausruhen. Hinzu kommt ein hoher zeitlicher Aufwand für das Beantragen und Organisieren von Hilfen, wie z. B. Arbeitsassistenz, Dolmetscheinsätzen oder technischen Hilfsmitteln.
Der höhere Zeitbedarf bedeutet nicht, dass die Personen die Aufgaben generell nicht erledigen können. Durch das fokussierte Arbeiten und ein häufiges Überprüfen arbeiten taubblinde und hörsehbehinderte Personen in den meisten Fällen sehr gründlich. Es stellt sich nur die Frage, wie viele Aufgaben in welcher vorgegebenen Zeit bearbeitet werden können. Einige taubblinde und hörsehbehinderte Personen berichten auch von einem sogenannten “Bore Out”: Durch Unwissen des Arbeitsumfeldes wird den Personen dabei nur wenig zugemutet und der Aufgabenbereich eingeschränkt. Dadurch kann es zu einer Unterforderung kommen, die ebenfalls als Belastung erfahren wird. Um Überforderung oder Unterforderung zu vermeiden, sollten die Arbeitsinhalte und das Arbeitspensum gemeinsam abgestimmt werden. Das hilft, eine realistische Erwartungshaltung für alle Beteiligten zu klären. Auch ein gemeinsames Gespräch mit dem zuständigen Integrationsfachdienst (siehe Kapitel 5.2 Wer hilft?) kann unterstützen.
Umgang mit fortschreitender Taubblindheit oder Hörsehbehinderung
Häufig verstärken sich die Symptome einer Taubblindheit oder Hörsehbehinderung im Laufe der Zeit. Für viele ist dieser Umstand mit Unsicherheit verbunden. Insbesondere, wenn nicht abzusehen ist, wann genau eine Verschlechterung eintritt. Diese Unsicherheit kann dementsprechend auch ein stetiger Begleiter im Arbeitsleben sein und sich darauf auswirken.
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Mit der Zeit hat es sich immer mehr verschlechtert, auch das Lesen fiel mir immer schwerer. Da kam so langsam auch Druck von Kollegen, dass ich Sachen schneller lesen und bearbeiten muss. Und ich musste immer wieder sagen, dass ich mehr Zeit brauche. Da habe ich gemerkt, dass der Stress dann immer größer wurde, dass die Belastung immer größer wurde.
Zitat einer taubblinden oder hörsehbehinderten Person (Quelle: EMPLOY Interviews, 2023)
Es kann dazu kommen, dass bestimmte Aufgaben im Laufe des Arbeitslebens aufgrund einer Verschlechterung der Taubblindheit oder Hörsehbehinderung nicht mehr oder nur noch eingeschränkt übernommen werden können. Was zunächst noch problemlos erledigt werden konnte, bereitet später unter Umständen einen höheren Arbeitsaufwand. Wenn das Umfeld nicht informiert ist, kann dies am Arbeitsplatz zu Konflikten führen.
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Ich glaube, jetzt im Moment stehe ich eher vor der Herausforderung, den Arbeitsplatz tatsächlich blindengerecht hinzukriegen. Das wird glaube ich eine höhere Herausforderung werden als noch zu der Zeit, wo ich auf meinen Sehrest zurückgreifen konnte.
Zitat einer taubblinden oder hörsehbehinderten Person (Quelle: EMPLOY Interviews, 2023)
Bei einer fortschreitenden Taubblindheit oder Hörsehbehinderung ist es wichtig, dass der Arbeitsplatz im Laufe der Zeit entsprechend angepasst wird. Auch die benötigten Hilfsmittel können sich verändern und müssen dann neu beantragt werden.
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Ich merke, dass ich mir eigentlich eine Veränderung wünsche, ich würde gerne was anderes machen. Aber ich habe große Angst vor einem Arbeitsplatzwechsel. In einer anderen Firma kenne ich mich nicht gut aus, ich kenne das Gebäude und die Büroräume nicht, die Kollegen sind mir alle fremd und ich glaube, ich schaffe das nicht mehr mit der Verschlechterung meiner Sehfähigkeit. Ich glaube, dass ich da nicht mehr mitkäme. Und deswegen bleibe ich zur Sicherheit an meinem bekannten Arbeitsplatz.
Zitat einer taubblinden oder hörsehbehinderten Person (Quelle: EMPLOY Interviews, 2023)
Die Angst vor einer Verschlechterung kann dazu führen, dass die Personen bewusst keine Jobwechsel vornehmen und damit gegebenenfalls auf Möglichkeiten der beruflichen Weiterentwicklung verzichten.
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Ja, mit den Augen geht es nicht mehr. Also ja, ich bedaure das. Ich bin da auch traurig drüber, ne? Ich habe da auch geweint, ich habe das betrauert. Ich habe ungefähr fünf Jahre wirklich gekämpft und weitergearbeitet, immer weitergekämpft. Das hat mich total viel Kraft gekostet, und da war immer die Stimme im Kopf, die sagte: ‚Nein, hör auf, das ist genug jetzt.’ Es war für die Augen zu belastend, mir war dann teilweise schwindelig, ich musste immer aufpassen und war immer erschöpft.
Zitat einer taubblinden oder hörsehbehinderten Person (Quelle: EMPLOY Interviews, 2023)
Der fortschreitende Verlauf kann für die betroffenen Menschen einen Zwiespalt darstellen: Einerseits wollen sie gerne weiterarbeiten, andererseits bringt sie dies jedoch an ihre körperlichen und psychischen Grenzen. Die Erfahrungen und die veränderte Situation zu verarbeiten und zu akzeptieren, kann dabei auch mit Trauer verbunden sein.
3.2 Taubblindheit und Hörsehbehinderung am Arbeitsplatz mitteilen?
Im Allgemeinen gilt:
Wird bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im laufenden Arbeitsverhältnis ein Grad der Behinderung oder eine Schwerbehinderung festgestellt, besteht keine Pflicht, dies dem Arbeitgeber mitzuteilen.
Es gibt allerdings wichtige Ausnahmen:
- Gefährdet die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer sich selbst oder andere am Arbeitsplatz, muss sie oder er den Arbeitgeber über die Behinderung informieren. Dies betrifft vor allem Berufe, bei denen Sicherheit eine große Rolle spielt. Beispiele sind:
- Frau M. arbeitet in einer Tischlerei. In letzter Zeit verletzt sie sich immer häufiger beim Benutzen von Werkzeugen.
- Herr W. arbeitet als Lagerist und kann die Warnsignale im Lager nicht mehr wahrnehmen.
- Wenn die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer die im Arbeitsvertrag vereinbarte Leistung aufgrund der Behinderung nicht mehr erbringen kann, müssen sie oder er den Arbeitgeber ebenfalls informieren. Beispiele sind:
- Frau S. arbeitet als Bürokraft und kann Texte am Bildschirm nicht mehr lesen.
- Herr K. kann sich nicht mehr so lange konzentrieren und schafft immer weniger Aufgaben.
Wichtig zu beachten!
Wenn Beschäftigte einen Antrag auf Gleichstellung stellen, befragt die Agentur für Arbeit den Arbeitgeber und die betriebliche Interessenvertretung (Betriebsrat oder Personalrat und Schwerbehindertenvertretung) zur Arbeitssituation. So erfahren diese automatisch von dem Antrag – auch dann, wenn die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer es dem Arbeitgeber nicht sagen will. Zudem können nur bei einer mitgeteilten anerkannten Schwerbehinderung oder Gleichstellung die damit verbundenen Nachteilsausgleiche (z. B. besonderer Kündigungsschutz) in Anspruch genommen werden.
Wie kann ein offener Umgang mit Taubblindheit oder Hörsehbehinderung gelingen?
Ein offener Umgang kann zum Beispiel zu mehr Verständnis und Hilfsbereitschaft im Arbeitsumfeld führen und die Planung hilfreicher Maßnahmen in Unternehmen erleichtern. In vielen Fällen ist Eigeninitiative von den betroffenen Personen gefragt, um Veränderungen anzustoßen:
Ich habe mit der Zeit im neuen Team immer eine Rundmail geschrieben, wer ich bin, was ich gemacht habe, was für eine Behinderung ich habe, wie man damit umgeht, was ich brauche. Und es wurde halt immer sehr positiv angenommen. Also da wussten halt die Menschen so: Ja, auf die muss ich jetzt so und so zugehen und ich weiß auch, dass ich mal lauter reden muss. Und eine Kollegin in meinem jetzigen Team, die hat wirklich sich vor mir hingestellt, hat die Maske abgenommen und hat sich vorgestellt, sodass ich ein Gesicht habe, dass ich einen Namen habe und das war halt supertoll. Also es gibt halt eben auch noch die Kollegen, die halt auch wirklich mitdenken. Davon gibt es wenige, aber es gibt sie. Und ich habe eine sehr vertraute Kollegin, die auch bis heute immer noch nicht weiß, wie bringe ich ihr das bei, wie zeige ich ihr das und die kommt dann einfach nur auf mich zu und sagt: "Ich habe eine Aufgabe für dich, so und so und so, kannst du mir mal sagen, wie ich dir das erklären soll oder meinst du, du kannst das machen?" Und das finde ich halt auch supertoll, dass man halt dann auch wirklich den Betroffenen fragt: "Wie kann ich dir das beibringen", dass man halt selber so ein bisschen der Experte ist.
Zitat einer taubblinden oder hörsehbehinderten Person (Quelle: EMPLOY Interviews, 2023)
Bei fortschreitendem Verlauf der Taubblindheit oder Hörsehbehinderung stellt sich den betroffenen Personen die Frage, inwieweit sie die Verschlechterungen am Arbeitsplatz ansprechen. Häufig besteht Angst vor einer negativen Reaktion des Arbeitsumfeldes und im schlimmsten Falle sogar der Verlust des Arbeitsplatzes. Allerdings kann Unterstützung nur dann angepasst werden, wenn von der Verschlechterung berichtet wird.
Unterstützung und Beratung?
Durch Selbsthilfe: Oft hilft es, sich mit anderen betroffenen Menschen (“Peers”) über die eigenen Erfahrungen auszutauschen. Die Ergänzende Unabhängige Teilhabeberatung (EUTB) kann zu Fragen zum Thema “Behinderung am Arbeitsplatz mitteilen” beraten.
Weitere Beratungs- und Unterstützungsmöglichkeiten finden Sie in Kapitel 5.2 Wer hilft?
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REHADAT-Talentplus: Fragerecht nach Schwerbehinderung
rehadat.link/tpfragerecht -
Universität zu Köln – Lehrstuhl für Arbeit und berufliche Rehabilitation: Webseite „Sag ich’s? Chronisch krank im Job“
rehadat.link/sagichs -
EUTB: Beratungsangebote mit Filtermöglichkeit zur Beeinträchtigung
rehadat.link/tbleutb
3.3 Zusammenfassung Kapitel 3
Auswirkungen auf das Arbeitsleben
Für Menschen mit Taubblindheit oder Hörsehbehinderung ergeben sich im Arbeitsalltag individuelle Herausforderungen. Diese hängen von der Art und Ausprägung der Einschränkungen im Hören und Sehen ab, ebenso wie von dem jeweiligen Beruf und dem Arbeitsplatz. Auswirkungen können sich in den Bereichen Kommunikation, Orientierung und Mobilität, Zeitmanagement und Energieaufwand sowie in Bezug auf eine fortschreitende Taubblindheit oder Hörsehbehinderung zeigen.
Kommunikation
Kommunikation spielt in den meisten Arbeitsbereichen eine zentrale Rolle und ist gleichzeitig oft sehr anspruchsvoll.
Dies betrifft zum Beispiel schriftliche oder mündliche Absprachen, Diskussionen über Arbeitsinhalte, Abstimmungen zu Arbeitsabläufen und die Kommunikation im Team. Daher ist es besonders wichtig, zu Beginn der Zusammenarbeit abzustimmen, wie die Kommunikation am besten gelingen kann. Entscheidend ist, wie die taubblinde oder hörsehbehinderte Person sich am sichersten verständigen kann, in Deutscher Gebärdensprache oder eher mit gesprochenem oder geschriebenem Deutsch.
Bei der Kommunikation in gesprochener Sprache (Lautsprache) ergeben sich durch die kombinierte Sinnesbehinderung besondere Herausforderungen: Die Möglichkeit, das Verstehen durch das Absehen vom Mundbild zu unterstützen, kann durch die Sehbehinderung erschwert oder gar unmöglich sein. Auch die akustische Orientierung, die einem sehbehinderten Menschen hilft zu wissen, aus welcher Richtung eine Person spricht, ist durch die Hörbehinderung beeinträchtigt.
Trotz der Bemühungen, sich verständlich auszudrücken, kann es sein, dass Inhalte nicht immer klar verstanden werden. Wichtige und komplexe Inhalte müssen daher für Personen, die Gebärdensprache nutzen, in Deutscher Gebärdensprache vermittelt werden. Dies kann zum Beispiel durch Dolmetscherinnen und Dolmetscher für Deutsche Gebärdensprache erfolgen. Auch die schriftliche Kommunikation kann für Menschen mit Hörsehbehinderung und Taubblindheit herausfordernd sein, insbesondere für Menschen, die Deutsche Gebärdensprache nutzen. Die Grundlage für den Erwerb der Schriftsprache ist, üblicherweise bei hörenden Kindern Kenntnisse in der gesprochenen Sprache (Lautsprache), zum Beispiel Deutsch zu haben. Wenn infolge einer Hörbehinderung die gesprochene Sprache nicht in ihrer Ganzheit wahrgenommen werden kann, ist das Erlernen der Schriftsprache erschwert.
Gerade bei der Kommunikation in Gruppen wie zum Beispiel in Teamsitzungen kann die Verständigung schwierig sein und erfordert eine hohe Konzentration und Anstrengung. Aufgrund der herausfordernden Kommunikation ist es für taubblinde oder hörsehbehinderte Menschen darüber hinaus oft schwierig, Informationen (ausreichend) mitzubekommen. Weitere Herausforderungen können auch mit Blick auf den informellen Austausch von Informationen und den kollegialen Austausch in Pausen oder bei Betriebsfeiern entstehen. Die Gefahr ist groß, dass die taubblinde Kollegin oder der hörsehbehinderte Kollege unabsichtlich ausgeschlossen wird. Dies kann dazu führen, dass wichtige Informationen nicht ankommen und auch das Gefühl von sozialer Isolation verstärkt wird. Auch hier ist es hilfreich, gemeinsam zu überlegen, wie sichergestellt werden kann, dass die taubblinden und hörsehbehinderten Personen einbezogen werden.
Orientierung und Mobilität
Zwei weitere große Themen für Menschen mit Taubblindheit oder Hörsehbehinderung sind der Arbeitsweg und die Orientierung am Arbeitsplatz. Ein anstrengender und herausfordernder Arbeitsweg ist oft ein Grund, warum die Berufstätigkeit nicht mehr möglich erscheint oder aufgegeben wird. Stolperfallen, schlechte Beleuchtung oder unübersichtliche Arbeitsumgebungen können für die Personengruppe ein Risiko darstellen. Auch wechselnde Arbeitsorte oder Dienstreisen sind oft mit zusätzlichen Anstrengungen verbunden.
Zeitmanagement und Energieaufwand
Die Bewältigung von Arbeitsaufgaben kann mit einer Taubblindheit oder Hörsehbehinderung mehr Zeit in Anspruch nehmen, weil die Personengruppe für ihre Arbeit häufig ein hohes Maß an Konzentration benötigt. Durch die ständige Konzentration auf das Verstehen von Gesprächen oder das Erkennen von Hindernissen kann es schneller zur Erschöpfung kommen. Der Energieaufwand für taubblinde und hörsehbehinderte Menschen im Berufsleben ist daher oft höher als bei anderen. Hier können individuelle Vereinbarungen und flexible Arbeitszeiten und Pausenregelungen dafür sorgen, dass sie weiter gut ihre Aufgaben erfüllen können.
Fortschreitende Taubblindheit oder Hörsehbehinderung
Darüber hinaus kann eine fortschreitende Taubblindheit oder Hörsehbehinderung im Arbeitsumfeld bei allen Beteiligten auch Ängste und Unsicherheiten auslösen. Menschen mit Taubblindheit oder Hörsehbehinderung fragen sich oft, wie lange sie ihre Arbeit noch wie gewohnt ausführen können und welche Anpassungen erforderlich sind, um weiter berufstätig zu bleiben. Des Weiteren kann die Angst vor einer Verschlechterung auch dazu führen, dass die Personen zum Beispiel keine Jobwechsel vornehmen und damit gegebenenfalls auf Möglichkeiten der beruflichen Weiterentwicklung verzichten.
Um mit den beschriebenen Auswirkungen auf das Arbeitsleben umzugehen, sollten alle Beteiligten im Austausch miteinander Barrieren abbauen. Dazu gehört auch, Hilfsmittel bereitzustellen und das Arbeitsumfeld so zu gestalten, dass die Person weiterhin aktiv und selbstbestimmt arbeiten kann.
Taubblindheit und Hörsehbehinderung am Arbeitsplatz mitteilen?
Eine taubblinde oder hörsehbehinderte Person muss die Arbeitgeberin oder den Arbeitgeber nicht unbedingt über ihre Behinderung informieren. Eine Ausnahme ist, wenn die Behinderung die Arbeitssicherheit oder die Arbeitsleistung beeinträchtigt. Also wenn die Person wegen einer Behinderung Gefahr läuft, sich selbst oder andere zu verletzen, oder wenn die Person ihre Aufgaben nicht mehr vollständig erledigen kann. Nur bei einer mitgeteilten anerkannten Schwerbehinderung können die damit verbundenen Nachteilsausgleiche, wie mehr Urlaubstage oder besonderer Kündigungsschutz, genutzt werden. Bei einem Antragsverfahren zur Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen erfährt die Arbeitgeberin oder der Arbeitgeber automatisch von der Behinderung, weil sie oder er von der Agentur für Arbeit zur Situation am Arbeitsplatz befragt wird.
Es kann hilfreich sein, offen über die Behinderung zu sprechen, um Unterstützung und Verständnis am Arbeitsplatz zu bekommen.
Adressen und Links zum Thema finden Sie im Kapitel 6 Ich hätte noch Fragen – Weiterführende Informationen.
4 »Barrierefreiheit für die Sinne«
Lösungen für den Arbeitsalltag
4.1 Arbeit bedarfsgerecht gestalten
Da gibt es den, der leicht schwerhörig ist, aber dann doch relativ früh erblindet. Der hat ganz andere Bedarfe als der, der relativ früh gehörlos ist und spät erblindet, der immer mit Gebärden gelebt hat und auch Gebärden als seine Muttersprache empfindet. Der hat ganz andere Bedarfe als derjenige, der Mitte dreißig erblindet. Und diese Personen haben ganz unterschiedliche Lösungsstrategien für ihre Defizite, um die auszugleichen und deswegen ist immer die Einzelfallprüfung notwendig und das auch von einem qualifizierten Prüfer, der schaut: Welche Bedarfe sind in dem jeweiligen Beruf bei dem Betroffenen da? Und wie können wir die bedienen?
Zitat einer Person aus der Selbsthilfe (Quelle: EMPLOY Interviews, 2023)
Ziel der bedarfsgerechten Arbeitsgestaltung ist es, Beeinträchtigungen auszugleichen, die Arbeitsausführung zu unterstützen und Gesundheitsgefahren zu reduzieren. In der Praxis hat sich das Vorgehen nach bestimmten, sich ergänzenden Handlungsmaßnahmen nach dem tops-Prinzip bewährt. Im Mittelpunkt steht die selbstständige und unabhängige Teilhabe am Arbeitsleben.
Maßnahmen nach REHADAT-tops*
- technisch: Zunächst den Einsatz technischer Lösungen prüfen (z. B. von Hörgeräten und Sehhilfen oder einer Software zur Vergrößerung).
- organisatorisch: Falls erforderlich, dann begleitende, ergänzende oder rein organisatorische Maßnahmen auswählen (z. B. den Arbeitsbeginn flexibel gestalten, damit der Arbeitsweg im Hellen absolviert werden kann).
- personenzentriert: Sind für diese Maßnahmen zusätzliche Kompetenzen erforderlich, kann eine maßgeschneiderte Qualifizierung helfen (z. B. Schulungen in der Anwendung von Software zur Vergrößerung). Wenn alles nicht oder nur bedingt hilft, kommen Maßnahmen zur Unterstützung durch andere Personen zum Einsatz (z. B. Arbeitsassistenz für bestimmte Hilfstätigkeiten wie Kopieren oder Vorlesen).
- sozial: Alle Lösungsansätze werden von Beginn an durch soziale Maßnahmen begleitet, die zu einem unterstützenden, offenen und kommunikativen Team- und Betriebsklima beitragen (z. B. Seminare zur Sensibilisierung in der Zusammenarbeit in Teams aus Kolleginnen und Kollegen mit und ohne Taubblindheit bzw. Hörsehbehinderung).
* REHADAT-tops bezieht sich nur auf den Einsatz von Maßnahmen im Bereich der beruflichen Rehabilitation zur behinderungsgerechten Arbeitsgestaltung. Es sollte deshalb nicht mit dem von der Bezeichnung her ähnlichen TOP-Prinzip im Arbeitsschutz verwechselt werden.
Abbildung 7: REHADAT-tops
4.2 Hilfen im Arbeitsleben
Unterschiedliche Hilfen können die Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit Taubblindheit oder Hörsehbehinderung verbessern. In diesem Kapitel wird beschrieben, welche technischen Hilfsmittel dafür in Frage kommen und welche kommunikativen Unterstützungsmöglichkeiten es gibt. Außerdem wird darauf eingegangen, wie die Arbeitsumgebung barrierefrei und sicher gestaltet werden kann.
Technische Hilfsmittel bei Taubblindheit oder Hörsehbehinderung
Ich konnte mir dort verschiedene Hilfsmittel anschauen und ausprobieren, zum Beispiel einen größeren Bildschirm, eine Vergrößerungssoftware, spezielle Tastaturen. Also ich wurde da gut unterstützt und habe erzählt, was ich mir wünsche, was mein Ziel wäre und dann wurde da ein Antrag gestellt bei der zuständigen Stelle und ich habe alle Hilfsmittel, die ich beantragt hatte bekommen.
Zitat einer taubblinden oder hörsehbehinderten Person (Quelle: EMPLOY Interviews, 2023)
Hilfsmittel und technische Arbeitshilfen sind wichtige technische Komponenten einer behinderungsgerechten Arbeitsgestaltung.
Hilfsmittel und technische Arbeitshilfen – Was ist was?
Beruflich eingesetzte Hilfsmittel sind Medizinprodukte, die am Arbeitsplatz persönlich genutzt oder getragen werden. Dies können zum Beispiel Kommunikations- oder Mobilitätshilfen sein. Technische Arbeitshilfen decken dagegen ein breiteres Spektrum ab und umfassen grundsätzlich alle behinderungsgerechten Sonderanfertigungen oder handelsüblichen Produkte, sofern sie die Arbeitsfähigkeit unterstützen und für die Arbeitsausführung erforderlich sind. Beispiele sind Hard- und Software, Maschinen, Werkzeuge oder behinderungsgerechte Fahrzeugtechnik.
Hilfsmittel für taubblinde oder hörsehbehinderte Menschen sind spezielle Unterstützungsmaßnahmen, Geräte oder Technologien, die Sinneseinschränkungen des Hörens sowie des Sehens ausgleichen. Diese sollen dabei unterstützen, im Alltag besser zurechtzukommen. Oftmals ist auch die Kombination von mehreren Hilfsmitteln für Menschen mit Taubblindheit oder Hörsehbehinderung notwendig, um gleichzeitig ihr Hören, Tasten und Sehen zu unterstützen. Zum Beispiel durch die Kombination eines Hörgeräts und einer Brille. Für die Auswahl der Hilfsmittel sind Beratung und das Ausprobieren der Hilfsmittel vor dem Einsatz besonders wichtig. Dadurch soll das Hilfsmittel gefunden werden, das optimal zu den Wünschen und Anforderungen der Person passt. Gerade bei einer voranschreitenden Taubblindheit oder Hörsehbehinderung kann es über die Jahre hinweg immer wieder notwendig sein, neue Hilfsmittel auszuprobieren. War es für die Person zum Beispiel erst noch möglich, das Signal einer Lichtklingel wahrzunehmen, ist es mit einer fortschreitenden Einschränkung des Gesichtsfeldes nicht mehr so einfach. Daher würde sich in diesem Fall ein Vibrationssignal anbieten.
Die folgenden Hilfsmittel werden von taubblinden oder hörsehbehinderten Menschen in den Bereichen Kommunikation, Information sowie Orientierung und Mobilität genutzt. Es handelt sich hierbei lediglich um eine beispielhafte und keine vollständige Auswahl an Hilfsmitteln.
Eine ausführlichere Beschreibung von alltäglichen Hilfsmitteln, die sich entweder nur auf eine Hörbehinderung oder nur auf eine Sehbehinderung beziehen, finden Sie in den REHADAT-Wissen Ausgaben zu Hörbehinderung sowie zu Sehbehinderung und Blindheit.
Hilfsmittel für Kommunikation und Informationsverarbeitung
Für taubblinde und hörsehbehinderte Personen können verschiedene Kombinationen aus optischen, akustischen und taktilen Hilfsmitteln zur Kommunikation und Informationsverarbeitung sinnvoll sein. Dabei ist es oft auch entscheidend, inwiefern diese Hilfsmittel mit anderen Geräten direkt oder über ein Zusatzgerät koppelbar sind (z. B. Bluetooth-Hörgeräte mit einer Screenreaderausgabe).
Im Bereich des Hörens gehören dazu beispielsweise Hörsysteme wie Hinter-dem-Ohr-Hörgeräte (HdO) oder Hörimplantate wie das Cochlea-Implantat, um Geräusche zu verstärken oder das Hören überhaupt zu ermöglichen. Besondere berufliche Hörsituationen von Hörsystem-Trägerinnen und -Trägern wie Teamsitzungen oder Konferenzen (an denen mehrere Sprecherinnen und Sprecher über größere Distanzen hinweg beteiligt sind) erfordern in der Regel die zusätzliche Ausstattung von Besprechungsräumen mit Tonübertragungssystemen, die den Schall direkt ins Ohr leiten und dabei in der Lage sind, größere Distanzen zu überbrücken und gleichzeitig Störgeräusche zu reduzieren. Derzeit sind drei verschiedene Systeme üblich, die – je nach Einsatzbereich – ihre Vor- und Nachteile haben: FM-Anlagen, Infrarot-Anlagen und Induktive Höranlagen.
Im Bereich des Sehens kommen Sehhilfen wie Brillen oder Kontaktlinsen mit hohen Stärken zum Einsatz, sowie spezielle Kantenfilterbrillen, die das Sehen erleichtern. Die genutzten Brillen und Kontaktlinsen sind oft maßgefertigte, verschreibungspflichtige Sehhilfen, die von Optikern mit Spezialisierung auf Blindheit und Sehbehinderung (sogenannte Low-Vision-Optiker) angepasst werden. Für die Kostenübernahme durch die Krankenkasse ist in der Regel ein Visus von weniger als 0,3 (also unter 30% Sehleistung auf dem besseren Auge) Voraussetzung . Neben den optisch vergrößernden Sehhilfen, wie Lupen, Lupenbrillen und Fernrohrbrillen, werden häufig auch elektronisch vergrößernde Sehhilfen eingesetzt. Voraussetzung für eine Kostenübernahme ist dabei in Visus von 0,1 oder kleiner. Mit diesen Geräten ist eine sehr hohe Vergrößerung sowie eine Anpassung des Farbkontrastes (zum Beispiel weiß auf schwarz oder gelb auf blau) möglich. Für den mobilen Einsatz kommen dabei zum Beispiel elektronische Lupen in Frage. Zu den Standgeräten gehören unter anderem Bildschirmlesegeräte, die das Dokument mit einer Kamera aufnehmen und auf einem Monitor in der gewünschten Vergrößerung und mit dem selbst gewählten Kontrast darstellen. Darüber hinaus zählt auch Vergrößerungssoftware für den Computer oder Laptop dazu. Geräte oder Software mit Sprachausgabe werden auch als vergrößernde Sehhilfe verordnet, obwohl sie zu den Blindenhilfsmitteln gehören und der Vergrößerungsbedarf wegfällt. Dazu zählen unter anderem stationäre Vorlesesysteme (Zeichenlesegeräte), mobile Geräte, wie die OrCam, sowie Screenreader-Software. Auch kann eine Braillezeile beantragt werden. Diese elektronischen Blindenhilfsmittel kommen in Frage, wenn eine hochgradige Sehbehinderung (Visus von maximal 0,05 und minimal 0,02) oder eine Blindheit (Visus unter 0,02) vorliegt .
Hinter-dem-Ohr-Hörgeräte (HDO) und Hörimplantate wie Cochlea-Implantate (CI)
HdO eignen sich bei fast jedem Hörverlust. Ein transparenter Schlauch transportiert den Schall zu einem maßgefertigten Ohrpassstück (Otoplastik), das in der Ohrmuschel sitzt. Besonders unauffällig sind die sogenannten RIC-Hörgeräte (Receiver in Canal). In dem Gehäuse hinter dem Ohr sitzen nur der Empfänger und der Verstärker. Das Verbindungsstück zum Lautsprecher, das in der Otoplastik im Gehörgang platziert wird, ist besonders fein. Cochlea-Implantate werden bei Menschen mit schwerem bis hochgradigem Hörverlust eingesetzt, wenn herkömmliche Hörgeräte nicht mehr ausreichen. Sie wandeln Schall in elektrische Signale um, die direkt den Hörnerv stimulieren. Dafür ist eine Operation notwendig, bei der das Implantat in die Cochlea im Innenohr eingesetzt wird.

Hinter-dem Ohr-Hörgerät Standard © KIND Hörgeräte GmbH & Co. KG
Kantenfilterbrille
Diese Brillen filtern bestimmte Lichtanteile heraus und verstärken den Kontrast, wodurch blendendes Licht reduziert wird und Farben deutlicher wahrgenommen werden. Diese Brillen sind besonders hilfreich bei erhöhter Lichtempfindlichkeit und verschiedenen Augenerkrankungen, wie zum Beispiel Retinitis pigmentosa.

Kantenfilterbrille ambelis © Eschenbach Optik GmbH
Optische Sehhilfen für den Nahbereich sowie elektronische Sehhilfen
Optische Sehhilfen für den Nahbereich unterstützen je nach Bauart und vorliegender Sehschärfe eine Vergrößerung um das bis zu Zwölffache. Mit zunehmender Vergrößerung nimmt dabei der Sehausschnitt ab. Zu den optischen Sehhilfen für den Nahbereich gehören bspw. Lupen, Linsen und Lupenbrillen. Elektronische Sehhilfen ermöglichen die Vergrößerung von Informationen auf Papier, Tafeln etc. Häufig ist dabei die Darstellung verschiedener Kontraste – in manchen Fällen auch eine Texterkennung – möglich. Je nach Bauart und auf entsprechend großen Bildschirmen kann eine fünf- bis sechzigfache Vergrößerung erfolgen. Mit zunehmender Vergrößerung nimmt auch hier der Sehausschnitt ab. Elektronische Sehhilfen werden meist bei erhöhtem Vergrößerungs- und Kontrastbedarf (hell-dunkel, farblich) eingesetzt, sind also auch für Menschen mit hochgradiger Sehbehinderung geeignet.

elektronisches Bildschirmlesegerät eMag 240 Full HD © A. Schweizer GmbH
Sprache-zu-Text-Umwandlungen und Software/Apps für die Tele- und Nahkommunikation
Universelle oder spezielle Spracherkennungs-Apps für fast alle Endgeräte (PC, Tablet, Smartphone, Sprachassistenten) unterstützen Hörbeeinträchtigte mit vielen Funktionen der Internet-Telefonie: Sprach- und Videoanrufe, Transkription von Sprachnachrichten (Voicemails), Live-Untertitelungen, Sprache-zu-Text-Umwandlungen (auch für Gruppen), Übersetzung in Gebärdensprachvideos oder Zuschaltung von Schrift- und Gebärdensprachdolmetschdiensten.

Sprache-zu-Text-Konverter V2T-10 © Geemarc Telecom S.A.
Höranlagen
FM-Systeme übertragen Sprach- und Musiksignale drahtlos auf Hörgeräte oder Cochlea Implantate. Sie kommen im beruflichen Bereich besonders häufig zum Einsatz, da die verschiedenen erhältlichen Systemkomponenten mittlerweile klein und unauffällig, mobil, effektiv, miteinander kompatibel und flexibel einsetzbar sind. Die einzelnen Systemkomponenten können an die jeweilige Hörsituation (Einzelgespräch, Teamsitzung, Seminar, Konferenz) angepasst, miteinander kombiniert oder erweitert werden.

FM-Tisch-Mikrofone Roger Table Mic II © Sonova Deutschland GmbH / Phonak
Screenreader sowie Vergrößerungssoftware für PC und Mobilgeräte
Bei Smartphones und Tablets kann eine Vergrößerung über die Bedienungshilfen des Betriebssystems erfolgen. Ergänzend sind zahlreiche Apps zur Vergrößerung verfügbar. Eine Weiterverarbeitung der erfassten Informationen ist je nach Art der Ausgabe wählbar. Am Computer werden mithilfe spezieller Vergrößerungs-Software Bildschirminhalte, wie beispielsweise Schrift und grafische Elemente, vergrößert dargestellt. Dabei ist eine Bildschirm-Mindestgröße von 24 Zoll und mehr empfehlenswert. Ergänzend hierzu ist häufig eine Sprachausgabe möglich. Software, die es ermöglicht, Bildschirminhalte akustisch über Sprachausgabe oder per Braillezeile auszugeben. Screenreader dienen darüber hinaus dazu, große Teile der Standardsoftware selbstständig zu nutzen.

Logo des Open Source Screenreaders NVDA © NV Access
Braillezeilen
Erhältlich in unterschiedlichen Größen für mobiles und stationäres Arbeiten am Computer. Inhalte der Screenreader-Informationen werden taktil in Blindenschrift ausgegeben.

Braillezeile ProfiLine © hedo Reha-Technik GmbH
Stationäre Vorlesesysteme (Zeichenlesegeräte in konventioneller Bauweise) und mobile Vorlesesysteme (Zeichenlesegeräte in Kleinbauweise)
Erkennen von gedruckten Texten mithilfe von Hard- und Software. Ausgabe in der Regel in Kombination mit Computern und Mobilgeräten über Screenreader. Alternativ dazu gibt es auch komplette Kompaktgeräte – in Kleinbauweise zum Teil mit Gesichtserkennung – wie beispielsweise die OrCam. Diese kann als Ergänzung zu anderen Hilfsmitteln am Arbeitsplatz und besonders mobil, zum Beispiel bei Schulungen, genutzt werden.

Zeichenlesegerät PEARL © IPD Infosystem Produktion und Distribution GmbH
Hilfsmittel zur Orientierung und Mobilität
Auch bei der Orientierung und Mobilität nutzen taubblinde und hörsehbehinderte Menschen spezielle Hilfsmittel. Ein Langstock (auch Blindenstock genannt) oder ein Blindenführhund helfen dabei, Hindernisse zu erkennen und sicher den Weg zu finden. Zusätzlich können mobile Navigationshilfen, wie das Smartphone oder spezielle Apps, zur Orientierung eingesetzt werden. Das Mobiltelefon kann über Bluetooth den Ton an kompatible Hörsysteme übertragen und so die Orientierung erleichtern.
Langstock (Blindenstock) und Blindenführhund
Der weiße Langstock – oft auch Blindenstock genannt – dient der taktilen Orientierung auf Wegen und in Gebäuden. Mithilfe der Stockspitze werden Ebenen unterschieden und Hindernisse ertastet. Ein Blindenführhund ist ein speziell ausgebildeter Hund, der Menschen mit Sehbehinderungen oder Blindheit dabei hilft, sich sicher im Alltag zu bewegen. Der Hund erkennt Hindernisse und Gefahren und führt die Person sicher um sie herum. Ein Blindenführhund wird in der Regel verordnet, wenn eine Person trotz anderer Hilfsmittel wie eines Langstocks Unterstützung benötigt, um sich eigenständig fortzubewegen.

Teleskop-Langstock (TS) © Comde-Derenda GmbH
Elektronische Orientierungs- und Navigationshilfen (inkl. Mobilgeräte)
Navigationsgeräte unterstützen die Orientierung auf Wegen, das Erkennen bzw. Signalisieren von Hindernissen und die Anzeige der Position. Diese gibt es in unterschiedlichen Ausstattungen, beispielsweise mit Ultraschall, Laser und GPS (Apps). Smartphones und Tablets bieten mit den standardmäßigen Bedienungshilfen des Betriebssystems u. a. Hilfen wie Zoomfunktion und Sprachausgabe. So wird die Nutzung von Informationen zur Orientierung mithilfe von Apps und dem Internet ermöglicht. Beispiele hierfür sind Fahrplaninformationen inkl. Verspätungen oder auch Auskünfte über Personen, die weiterhelfen können.

Orientierungshilfe Fledermaus © SynPhon Elektronische Hilfen für Sehgeschädigte GmbH
Beantragung und Finanzierung von Hilfsmitteln
Es gibt verschiedene Wege, um medizinische Hilfsmittel oder Hilfsmittel für den Arbeitsplatz zu beantragen, je nach Art des Hilfsmittels und Verwendungszweck:
- Medizinische oder technische Hilfsmittel für den alltäglichen oder häuslichen Gebrauch können bei der Krankenkasse beantragt werden.
- Für Hilfsmittel am Arbeitsplatz sind die Agentur für Arbeit, die Integrationsämter /Inklusionsämter, die Deutsche Rentenversicherung oder die Unfallversicherung zuständige Stellen und Leistungsträger. Voraussetzung sind ein sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplatz und eine anerkannte Schwerbehinderung.
- Für beruflich selbstständige Menschen sind ausschließlich das Integrationsamt/Inklusionsamt und die Rentenversicherung zuständig.
Es wird empfohlen, sich vorab bei den genannten Stellen individuell beraten zu lassen, um die bestmögliche Unterstützung zu erhalten.
Beratung zum Thema Hilfsmittel
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DBSV e. V.: Hilfsmittelberater der Landesvereine
rehadat.link/tblhilfsmittelberater -
Bundesagentur für Arbeit: Technischer Beratungsdienst
rehadat.link/tblafa -
BIH: Technische Arbeitshilfen
rehadat.link/tblintegrationsamt
Taubblindenassistenz und Dolmetschen
Neben der Nutzung von Hilfsmitteln ist auch die persönliche Unterstützung durch andere Personen ein wichtiger Faktor für die Teilhabe am Arbeitsleben von taubblinden und hörsehbehinderten Menschen.
Taubblindenassistenz
Eine Taubblindenassistenz (TBA) ist eine geschulte Person, die Unterstützung in der Kommunikation, bei der Orientierung und der Mobilität von taubblinden und hörsehbehinderten Menschen leistet. Eine TBA kann damit auch zur Teilhabe der Person am Arbeitsleben beitragen.
Aufgaben einer TBA
- Führen und Begleiten von taubblinden oder hörsehbehinderten Menschen
- Unterstützung bei der Mobilität (zum Beispiel auf dem Arbeitsweg)
- Unterstützung bei der Kommunikation
- Unterstützung bei der Orientierung am Arbeitsplatz
- Beschreiben der Umwelt
Das Dolmetschen von Gesprächen gehört nicht zum Aufgabenbereich einer TBA, dies ist die Aufgabe von entsprechend qualifizierten Gebärdensprachdolmetschenden. Je nach individuellem Bedarf der Person kann auch der Einsatz von zwei sich abwechselnden Assistenzkräften sinnvoll sein .
Verhalten in einer Situation mit einer taubblinden oder hörsehbehinderten Person in Begleitung einer TBA
- direkter Gesprächspartner ist die taubblinde oder hörsehbehinderte Person und nicht die TBA
- zu Beginn klären, wo die Beteiligten sitzen oder stehen sollen
- keine Privatgespräche mit der TBA, sie ist ausschließlich zur Unterstützung der taubblinden oder hörsehbehinderten Person anwesend
Wichtig!
Auch in Begleitung einer TBA kann eine taubblinde Person zusätzlich Gebärdensprachdolmetschende benötigen, zum Beispiel für vertiefende oder fachliche Gespräche.
Beantragung und Kostenübernahme
Im beruflichen Kontext können die Kosten für die TBA vom Integrationsamt/Inklusionsamt, der Agentur für Arbeit, der Rentenversicherung oder der Unfallversicherung übernommen werden. Für den Arbeitgeber entstehen in der Regel keine Kosten.
Gebärdensprachdolmetschende
Für taubblinde und hörsehbehinderte Personen, die gebärdensprachlich kommunizieren, ist der Einsatz von Gebärdensprachdolmetscherinnen und Gebärdensprachdolmetschern eine notwendige Unterstützung am Arbeitsplatz. Gebärdensprachdolmetschende sind speziell ausgebildete Fachkräfte, die Personen in der Kommunikation mit anderen unterstützen. Sie übersetzen gesprochene Sprache in Gebärden und umgekehrt, um sicherzustellen, dass alle Beteiligten aktiv am Austausch teilnehmen können. Bei Gesprächen mit mehreren Teilnehmenden, wie z. B. Teamsitzungen oder Betriebsversammlungen ist es für eine gebärdensprachlich orientierte, hörsehbehinderte oder taubblinde Person kaum möglich, ohne Gebärdensprachdolmetschende an dem Gespräch teilzunehmen. Da die Kommunikation in Deutscher Gebärdensprache die sicherste Form der Verständigung ist, ist der Einsatz von Gebärdensprachdolmetschenden bei komplexen und sicherheitsrelevanten Inhalten wie zum Beispiel Schulungen und Sicherheitsunterweisungen unbedingt erforderlich. Dolmetschende unterliegen der Schweigepflicht.
Wichtig ist eine frühzeitige Terminplanung und Bestellung von Dolmetschenden. Grundsätzlich ist es hilfreich, wenn es einige “Stammdolmetschende” gibt, die mit den kommunikativen Bedarfen der Person ebenso wie mit den betriebsbezogenen Inhalten vertraut sind. Falls das Dolmetschen für Personen mit einer zusätzlichen Sehbehinderung besondere Kommunikationstechniken wie Lormen und taktiles Gebärden erfordert, sollten nach Möglichkeit Dolmetschende mit entsprechenden Erfahrungen eingesetzt werden. Das Wunsch- und Wahlrecht der taubblinden oder hörsehbehinderten Personen ist dabei von hoher Bedeutung.
Bei einem Einsatz von Gebärdensprachdolmetschenden für taubblinde oder hörsehbehinderte Personen sind folgende Aspekte wichtig:
- gute Lichtverhältnisse
- Gebärdenraum minimieren
- eventuell muss taktil gebärdet werden
- die Verdolmetschung benötigt eventuell mehr Zeit
- Abstand zwischen taubblinder Person und Dolmetschenden muss je nach Art der Einschränkung angepasst werden
- je nach Einsatzdauer und Komplexität der Themen müssen zwei Dolmetschende eingesetzt werden, die sich untereinander abwechseln
Schriftdolmetschende
Taubblinde und hörsehbehinderte Personen, die sicher in der Deutschen Schriftsprache sind, können auch durch Schriftdolmetschende unterstützt werden. Schriftdolmetschende unterstützen die Person dadurch, indem sie gesprochene Sprache in Echtzeit verschriftlichen. Die verschriftlichten Inhalte werden live angezeigt, sodass die Person das Gesagte lesen und aktiv an Gesprächen oder Veranstaltungen teilnehmen kann. Eine taubblinde oder hörsehbehinderte Person kann dies bei ausreichender Sehfähigkeit auf einer Leinwand, einem Bildschirm oder einem mobilen Endgerät visuell verfolgen oder mit einer angeschlossenen Braillezeile lesen. Wichtig sind hier Absprachen zur Gestaltung der Texte im Hinblick auf den von der Person bevorzugten Kontrast zwischen Hintergrund und Schriftfarbe. Je nach Veranstaltungsart und einer Veranstaltungslänge ab 60 Minuten sind mindestens zwei Schriftdolmetschende im Einsatz .
Beantragung und Kostenübernahme
Der zuständige Integrationsfachdienst (IFD) für Menschen mit Hörbehinderung kann bei der Beantragung der Kostenübernahme von Dolmetscherinnen und Dolmetschern sowie Taubblindenassistenz im Arbeitsleben beraten und unterstützen Kapitel 5.2 Wer hilft?.
Barrierefreie Gestaltung der Arbeitsumgebung
Die Gestaltung des Arbeitsplatzes und der Arbeitsumgebung von Menschen mit Taubblindheit und Hörsehbehinderung kann aus verschiedenen visuellen, akustischen und taktilen Unterstützungsmaßnahmen bestehen. Diese Maßnahmen sollten individuell an die Person angepasst sein und ein möglichst barrierefreies Arbeiten fördern.
Barrierefreiheit
Der Begriff Barrierefreiheit ist in § 4 des Behindertengleichstellungsgesetzes definiert. Er bedeutet, dass beispielsweise Gebäude, Wege, Hard- und Software oder andere Informations- und Kommunikationsquellen für Menschen mit Behinderungen ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind. Der Einsatz notwendiger Hilfsmittel, wie beispielsweise Screenreadern, ist bei Bedarf erlaubt.
Da Barrierefreiheit auf eine allgemeine Nutzbarkeit abzielt, von der alle Beteiligten im Unternehmen profitieren, ist eine frühzeitige Planung vor der Umsetzung von Maßnahmen zur Barrierefreiheit sinnvoll. Damit lassen sich spätere kostenintensive Anpassungen vermeiden.
Was ist bei der Umsetzung von Barrierefreiheit zu beachten?
- Arbeitsmittel (Maschinen, Geräte, Werkzeug)
- Bedienelemente (Schalter, Taster)
- Digitale Medien (Software, Webseiten, Dokumente)
- Information und Kommunikation
- Veranstaltungen
- Räume
- Sanitäranlagen
- Treppen im Außen- und Innenbereich
- Türen und Tore im Innen- und Außenbereich
- Wege im Außen- und Innenbereich
- Flucht und Rettung
Ich mache das nach Gefühl. Ich kenne den Weg ja in- und auswendig, weil ich den Weg gewohnt bin. Und auch wenn es mal dunkler ist, es gibt immer wieder hellere Abschnitte. Das kann ich gut bewerkstelligen. Wenn es jetzt wirklich richtig dunkel ist, wenn die Lampen ausgeschaltet sind und es ist ganz düster, dann nutze ich eine Stirnlampe, wenn ich zu Fuß gehe.
Zitat einer taubblinden oder hörsehbehinderten Person (Quelle: EMPLOY Interviews, 2023)
Eine barrierefreie Gestaltung des Arbeitsplatzes und der Arbeitsumgebung ist notwendig, um taubblinde und hörsehbehinderte Menschen aktiv in den Arbeitsalltag einzubeziehen. Neben der Ausstattung durch technische Hilfsmittel und der Unterstützung durch Dolmetschende oder TBA ist die generelle Anpassung der Arbeitsumgebung ein zentraler Punkt, um Informationen visuell, akustisch und taktil zugänglich zu machen.
Welche Maßnahmen können für den Arbeitsalltag hilfreich sein?
- Beleuchtung und Lichteinfall: Eine blendfreie Beleuchtung ist wichtig, um visuelle Überforderung zu vermeiden. Es sollte darauf geachtet werden, dass Lampen keine harten Schatten werfen und eine gleichmäßige Ausleuchtung der Räumlichkeiten besteht. Gleichzeitig sollte auch eine Verdunkelung des Arbeitsplatzes möglich sein, beispielsweise bei zu heller Sonneneinstrahlung. Auch Blendschutzfolien können an Scheiben angebracht werden und sorgen für eine angenehmere Beleuchtung am Arbeitsplatz.
- Markierungen: Die Verwendung von kontrastreichen Farben und Markierungen kann entscheidend sein, insbesondere bei der Kennzeichnung von Gefahrenstellen wie Treppenstufen, Handläufen oder Glastüren. Taktile Markierungen und spezielle Oberflächen können zum Beispiel wichtige Steuerungen von Geräten und Hinweise wie Raumnummern klar erkennbar machen.
- Schallschutz: Schallschutzmaßnahmen tragen dazu bei, die Geräuschkulisse zu minimieren und ein ruhiges Arbeitsumfeld zu schaffen. Dies kann durch den Einsatz von Akustikdecken oder -wänden erreicht werden, was nicht nur für taubblinde und hörsehbehinderte Menschen, sondern auch für ihre Kolleginnen und Kollegen vorteilhaft sein kann.
- Freie Wege: Laufwege in Gängen, Büros oder auch zwischen Arbeitsplätzen sollten stets freigehalten werden, um die Sturzgefahr und damit Verletzungen zu vermeiden. Zum Beispiel sollte der eigene Rucksack unter den Schreibtisch und Stühle an den Tisch geschoben werden. Wenn es Stolperfallen durch zum Beispiel Handwerksarbeiten oder Lieferungen gibt, sollte im Vorfeld unbedingt darauf hingewiesen werden.
- Barrierefreie Warnsysteme: Vorhandene Warnsysteme müssen um visuelle und taktile Empfänger ergänzt werden, um im Ernstfall auch taubblinde und hörsehbehinderte Personen auf Notfallsituationen aufmerksam zu machen. Dies sind zum Beispiel ein Pager oder ein Armband mit Vibrationsalarm. Auch hier ist es wichtig, gemeinsam mit der Person zu besprechen, welche Form der Alarmierung für Sie passend ist. So wird dafür gesorgt, dass taubblinde und hörsehbehinderte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gleichberechtigt alarmiert werden können. Die Einrichtung eines barrierefreien Warnsystems für alle Mitarbeitenden liegt in der Verantwortung des Arbeitgebers. Die Übernahme zusätzlicher Kosten für spezielle barrierefreie Systeme kann bei den Integrationsämtern/Inklusionsämtern oder der Deutschen Rentenversicherung beantragt werden.
Arbeitsschutz und Verbesserung der Arbeitsbedingungen
Hierunter fällt der Einsatz geeigneter Hilfsmittel zum Schutz und zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch Lärmdämmung, Abgrenzung von Gefahrenzonen, Blendvermeidung, Darstellung von Informationen etc.
Außerdem unterstützt auch eine gute und bedarfsgerechte Beleuchtung des Arbeitsplatzes, zum Beispiel durch dimmbare, neigungsverstellbare Lampen mit indirekter Ausleuchtung.
Wichtige Kriterien bei Arbeitsmitteln sind beispielsweise beleuchtete Displays mit großen Ziffern auf Messgeräten, Telefonen etc.
Geräte zur Darstellung, Anzeige, Abgrenzung und zum Schutz

Sicherheits-Lichtvorhang SAFEasy SE-Plus Serie © Datalogic S.R.L. Niederlassung Central Europe
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REHADAT-Hilfsmittel: Lärmschutz und Raumakustik
rehadat.link/sehblakustik -
REHADAT-Hilfsmittel: Beleuchtung und Blendschutz
rehadat.link/sehbeleuchtung -
REHADAT-Hilfsmittel: Geräte mit großer Anzeige
rehadat.link/displays -
REHADAT-Hilfsmittel: Abgrenzung von Gefahren
rehadat.link/abgrenzung -
REHADAT-Hilfsmittel: Darstellung von Informationen
rehadat.link/blgeraet
Barrierefreie Warnsysteme
Optische, akustische und taktile Signalanlagen und -geräte
Lichtzeichen ergänzen oder ersetzen die akustischen Signale. Es gibt Produkte mit integrierten Signalgebern oder Zusätze, die bereits vorhandene Produkte erweitern. Dabei können Sender und Empfänger in einem Gerät kombiniert oder auf mehrere Geräte verteilt sein.
Bei akustischen Signalanlagen wird der visuelle Sinn durch ein akustisches Signal bzw. eine Sprachausgabe ergänzt. Hierzu gehören beispielsweise Ampelanlagen.
Durch Vibration werden optische oder akustische Signale ergänzt oder ersetzt. Taktile Signalgeber werden üblicherweise mit bereits vorhandenen Produkten verknüpft und erweitern diese somit.

Signal-Anforderungsgeräte © Langmatz GmbH
Weitere Angaben zur Gestaltung des Arbeitsplatzes für die Bereiche Hörbehinderung und Sehbehinderung finden Sie in REHADAT-Wissen im Kapitel 4.4 Arbeit technisch gestalten der Ausgabe zu Hörbehinderung und im Kapitel 4.4 Arbeitsplatz gestalten der Ausgabe zu Sehbehinderung und Blindheit.
Tipps für Versammlungen, Ausflüge und Feiern
Meine Klientin und ich haben auch sehr viele schöne Sachen erlebt. Also die Kolleginnen haben sie bei jeder Weihnachtsfeier von zu Hause abgeholt, haben einen Fahrdienst eingerichtet. Das war ein richtiger Selbstläufer. Also, da musste ich mich überhaupt nicht mehr einschalten oder etwas sagen.
Zitat einer Person aus dem Kontext Beratung (Quelle: EMPLOY Interviews, 2023)
Bei der Organisation von betrieblichen Veranstaltungen, wie Versammlungen, Ausflügen oder Feiern, sollte von Anfang an auch an mögliche Barrieren gedacht werden. Eine gründliche Planung kann hilfreich sein, damit alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, einschließlich taubblinder und hörsehbehinderter Personen, an Veranstaltungen teilnehmen können.
Checkliste für Veranstaltungen
- Veranstaltung rechtzeitig ankündigen und Bedarf an Assistenz, Dolmetschen und technischen Hilfsmitteln erfragen
- Auswählen eines barrierearmen Wegs zur Veranstaltung
- Mobilität und Orientierung am Veranstaltungsort
- Inhalte der Veranstaltung in benötigtem Format anbieten
- Dokumente vergrößert, digital oder in Brailleschrift
- Kommunikation sichern und auf Einhaltung von Kommunikationsregeln hinweisen, auch wenn Gebärdensprachdolmetschende oder Schriftdolmetschende Veranstaltungen begleiten
Diese Maßnahmen tragen dazu bei, dass alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Aktivitäten in Gruppen teilnehmen können.
Veranstaltungen für Menschen mit Sinnesbehinderungen barrierefrei planen
Das Kompetenzzentrum Selbstbestimmt Leben für Menschen mit Sinnesbehinderung hat Informationsmaterialien, unter anderem auch eine Checkliste “Veranstaltungen für Menschen mit Sinnesbehinderungen barrierefrei planen”. Sie stehen auf der Website kostenlos zum Download zur Verfügung:
Maßnahmen zur Sicherheit
Neben barrierefreien Warnsystemen ist die Sicherheit am Arbeitsplatz ein zentrales Thema, das speziell für taubblinde und hörsehbehinderte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sorgfältig berücksichtigt werden muss. Eine umfassende Gefährdungsbeurteilung ist notwendig, um spezifische Risiken zu identifizieren und entsprechende Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Besonders im Notfallmanagement müssen vorhandene Systeme so angepasst werden, dass sie auch für taubblinde und hörsehbehinderte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wirksam sind. Ein durchdachtes taktiles Leitsystem zum Beispiel für den Langstock sollte sicherstellen, dass Wege frei und klar erkennbar sind. Dies gilt nicht nur innerhalb des Arbeitsplatzes, sondern auch für die Wege zu und von Notausgängen.
Beurteilung des Arbeitsplatzes
Die Gefährdungsbeurteilung, einschließlich der Inkludierten Gefährdungsbeurteilung für Menschen mit Behinderungen, ist in Deutschland gesetzlich vorgeschrieben und muss vom Arbeitgeber durchgeführt werden. Der Arbeitgeber trägt die Verantwortung, potenzielle Risiken am Arbeitsplatz zu identifizieren und Maßnahmen zu ergreifen, um die Sicherheit und Gesundheit seiner Beschäftigten zu gewährleisten.
4.3 Organisation und Rahmenbedingungen der Beschäftigung
In der Regel gibt es in den Betrieben feste Strukturen: Es bestehen bestimmte Aufgabenfelder und Tätigkeitsbeschreibungen für Stellen. Und die möchte der Arbeitgeber genau in dieser Form auch erfüllt haben. Jetzt kommt aber jemand, der das nicht eins zu eins umsetzen kann. Dann muss der Betrieb seine betriebliche Organisation etwas verändern. Und das macht A sehr viel Arbeit und man muss sich mit dieser Thematik auseinandersetzen. Das ist das Riesenproblem. Darum müssen Sie da immer auf einen sehr verständnisvollen Arbeitgeber treffen, der sehr offen dafür ist und der auch in seinem Haus Mitarbeiter beschäftigt hat, die mitziehen.
Zitat einer Person aus dem Kontext Beratung (Quelle: EMPLOY Interview, 2023)
Taubblinde und hörsehbehinderte Menschen können gleichberechtigt am Arbeitsleben teilhaben, wenn die Organisation des Arbeitsplatzes und die Rahmenbedingungen zu den individuellen Bedarfen passen. Dabei können Arbeitgeber taubblinde und hörsehbehinderte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in unterschiedlichen Bereichen unterstützen.
Anpassung von Abläufen und Aufgaben
Ein wichtiger Punkt ist, die Aufgaben so anzupassen, dass sie den individuellen Bedürfnissen der Person entsprechen und Nachteile durch die Behinderung ausgeglichen werden. Wenn zum Beispiel das Telefonieren schwierig ist, können vielleicht gemeinsam Lösungen gefunden werden, dass die taubblinde oder hörsehbehinderte Person stattdessen eine andere Aufgabe übernimmt. Zum Beispiel könnte die Person eine Braille-Tastatur oder Sprachausgabe-Software verwenden, um Texte zu erstellen. In einer Produktion könnten visuelle Signale durch taktile oder akustische Signale ersetzt werden, damit eine taubblinde oder hörsehbehinderte Person sie wahrnehmen kann.
Flexible Arbeitszeiten
Die Flexibilität bei der Gestaltung der Arbeitszeiten wie zum Beispiel durch Gleitzeitmodelle ermöglichen es taubblinden und hörsehbehinderten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, ihren Arbeitstag an individuelle Bedürfnisse anzupassen. Zum Beispiel könnte der Beginn oder das Ende des Arbeitstages an die jeweiligen Lichtbedingungen auf dem Arbeitsweg der Person angepasst werden. Im Winter ist es beispielsweise problematisch, weil es morgens länger dunkel ist und die Sonne bereits am Nachmittag früh wieder untergeht. Auch die selbstständige Planung der eigenen Pausen kann die Organisation des Arbeitsalltages der Person erleichtern.
Reduzierung der Arbeitszeit
Wenn die Arbeitsbelastung zu hoch ist, kann eine Reduzierung der Arbeitszeit Entlastung bringen. Dies kann jedoch finanzielle Einbußen mit sich bringen. Deshalb ist es wichtig, gemeinsam mit dem Arbeitgeber nach möglichen Ausgleichsmaßnahmen zu suchen. In Frage kommen kann zum Beispiel die Beantragung einer teilweisen Erwerbsminderungsrente (siehe Kapitel 5.3 Erwerbsminderungsrente).
Home-Office und Telearbeit
Für mich als taubblinde Person ist das Homeoffice wirklich angenehm und weniger belastend, wenn ich nicht diesen Arbeitsweg auf mich nehmen muss. Dieses Pendeln ist einfach stressig. Bei wichtigen Terminen oder einmal in der Woche kann ich zur Arbeit fahren. Die tägliche Fahrt zur Arbeit und zurück ist für mich total belastend, vor allen Dingen bei Dunkelheit.
Zitat einer taubblinden oder hörsehbehinderten Person (Quelle: EMPLOY Interviews, 2023)
Das Arbeiten von zu Hause aus kann für taubblinde und hörsehbehinderte Personen bestimmte Vorteile beinhalten. Lange und stressige Arbeitswege entfallen, was sowohl körperlich als auch emotional entlastend wirken kann. Der Anspruch auf Home-Office sowie die Dauer müssen individuell mit dem Arbeitgeber vereinbart werden . Wenn ein Anspruch bewilligt wird, besteht in manchen Fällen auch der Bedarf, den Arbeitsplatz im Home-Office mit Hilfsmitteln auszustatten.
Möglichkeit für Pausen
Für taubblinde und hörsehbehinderte Menschen sind regelmäßige Pausen im Arbeitsalltag besonders wichtig, um sich körperlich und mental zu erholen. Aufgrund der zusätzlichen Anstrengungen, die ihre Behinderung mit sich bringt, brauchen sie regelmäßige Auszeiten, um wieder Kraft zu tanken. Es ist ratsam, individuelle Pausenregelungen mit dem Arbeitgeber zu vereinbaren, um sicherzustellen, dass die Pausen den persönlichen Bedürfnissen gerecht werden und die Arbeitsleistung fördern. Beispielsweise kann nach 50 bis 60 Minuten erhöhter Augenbelastung, zum Beispiel durch das Lesen oder Schreiben von Texten, eine Pause von 5 bis 10 Minuten eine mögliche Regelung darstellen.
Geordnete Abläufe
Organisatorische Maßnahmen wie die Einführung eines klaren Ordnungssystems und die frühzeitige Ankündigung von Änderungen können dazu beitragen, unnötige Belastungen zu vermeiden. Zum Beispiel das Zurücklegen von Werkzeugen und Arbeitsgeräten an vorher festgelegte Plätze.
Qualifizierung und Weiterbildungsmöglichkeiten
Der Arbeitgeber spielt eine zentrale Rolle bei der Weiterbildung taubblinder und hörsehbehinderter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Dazu gehören unter anderem auch passende Angebote für berufliche Qualifizierung und Weiterbildung, die bei Bedarf mit technischen Hilfsmitteln oder Dolmetschenden wahrgenommen werden können. Die Kosten dafür können von Integrationsämtern/Inklusionsämtern übernommen werden, sie müssen nicht vom Betrieb getragen werden.
Mobilität und Orientierung
Auch die Bewältigung des Arbeitswegs, Dienstreisen sowie die Orientierung und Mobilität am eigenen Arbeitsplatz sind wichtige Themen für den Erhalt der Berufstätigkeit von Menschen mit Taubblindheit und Hörsehbehinderung. Verschlechtert sich im Verlauf der Diagnose die Sehfähigkeit, so wird auch die Bewältigung von Wegstrecken und Hinderniserkennung erschwert.
Die folgenden Maßnahmen können dabei helfen, die eigenständige Bewältigung von Wegstrecken wiederherzustellen oder zu erhalten.
- Orientierungs- und Mobilitätstraining: Im Rahmen eines Orientierungs- und Mobilitätstrainings (kurz O&M Training) kann der Arbeitsweg, Strategien zur Orientierung und der Einsatz eines Langstocks eingeübt werden.
- Blindenführhund: Die Beantragung und der darauf folgende Einsatz eines Blindenführhundes kann eine zusätzliche Orientierungshilfe darstellen und vor Gefahren warnen .
- Elektronische Hilfen: Eine separate Taschenlampe, Kopfleuchte oder die Taschenlampe am Smartphone sorgen bei der Orientierung für die notwendige Beleuchtung. Zum Beispiel bei weniger Sonnenstunden im Winter. Elektronische Lupen oder das Smartphone sind handliche Hilfsmittel, die unterwegs schnell eingesetzt werden können, um zum Beispiel Fahrpläne und Anzeigen zu vergrößern und zu lesen.
- Wegbegleitung und Übernahme von Fahrtkosten: Die Auswirkungen einer Taubblindheit oder Hörsehbehinderung können jedoch auch so weitreichend sein, dass eine selbstständige Orientierung und Mobilität im Straßenverkehr nicht mehr sicher möglich ist. Hier kann eine Wegbegleitung durch eine Assistenzperson oder Arbeitsassistenz beantragt werden . Darüber hinaus kann die Übernahme von Fahrtkosten bei der Agentur für Arbeit, den Integrationsämtern/Inklusionsämtern oder der Deutschen Rentenversicherung beantragt werden. Auch die Beantragung eines Fahrdienstes kann bei den Integrationsämtern beantragt werden, wenn der Weg zur Arbeit über die Nutzung von öffentlichen oder eigenen Verkehrsmitteln nicht mehr selbstständig durchgeführt werden kann.
4.4 Unterstützung von Personen im Arbeitsleben
... aber solange diese Bezugsperson da ist, halten die meisten auch an der Arbeit fest. Also einer hat mir jetzt gesagt, dass der Chef in Rente gehen wird, und meinte dann, dass er dann auch geht. Das ist eine ganz klare Sache für diese Person.
Zitat einer Person aus dem Kontext Beratung (Quelle: EMPLOY Interview, 2023)
Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Taubblindheit oder Hörsehbehinderung kann eine Unterstützung durch Mentorinnen oder Mentoren innerhalb des Unternehmens sinnvoll sein. Diese Aufgabe kann zur Abdeckung während Krankheits- oder Urlaubszeiten auf zwei Personen verteilt werden. Hierbei ist jedoch darauf zu achten, die unterstützenden Personen nicht zu überfordern oder zu überlasten. Überschreiten diese Aufgaben den Umfang von einer Stunde pro Tag, ist ein Zuschuss vom Integrationsamt/Inklusionsamt als Ausgleich für den Betrieb möglich. Auch eine personenzentrierte Unterstützung durch externe Personen wie beispielsweise Jobcoaches oder eine Arbeitsassistenz ist möglich.
Das Mentoren- oder Partnermodell
Beim „Mentorenmodell“ oder „Partnermodell” unterstützen Mentorinnen oder Mentoren Beschäftigte, die neu einsteigen oder wieder einsteigen wollen, fachlich bei der Einarbeitung oder beim Eingliederungsprozess. Die Aufgabe kann beispielsweise eine erfahrene und verständnisvolle Person aus dem Kreis der Kolleginnen und Kollegen übernehmen. Bei Bedarf stehen Mentorinnen und Mentoren auch bei persönlichen Fragen und Konflikten zur Verfügung. Verschiedene Bildungsträger bieten entsprechende Schulungen in den Unternehmen an.
Vorteile des Mentorenmodells
- Beschäftigte mit Behinderung haben eine konkrete Vertrauensperson an ihrer Seite.
Im Falle einer Neueinstellung oder eines Wiedereinstiegs:
- Die Anforderungen an den Arbeitsplatz werden deutlich und können besprochen werden.
- Erwartungen und Vorbehalte können frühzeitig geklärt werden.
Personelle Unterstützung
Schwerbehinderte Beschäftigte können aufgrund ihrer Behinderung auf regelmäßige Unterstützung am Arbeitsplatz durch andere Personen aus dem Unternehmen angewiesen sein. Um die finanzielle Belastung auszugleichen, die der Arbeitgeberin oder dem Arbeitgeber durch den Arbeitsausfall der unterstützenden Person entsteht, kann ein Zuschuss beim Integrationsamt/Inklusionsamt beantragt werden (siehe auch Beschäftigungssicherungszuschuss).
Voraussetzungen für Personelle Unterstützung
- Es sind alle Möglichkeiten ausgeschöpft, damit der schwerbehinderte Mensch ohne fremde Hilfe arbeiten kann, zum Beispiel durch behinderungsgerechte Arbeitsplatzgestaltung oder berufliche Weiterbildung.
- Der Umfang der kollegialen Unterstützung darf die Hälfte der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit des oder der Beschäftigten mit Behinderungen nicht überschreiten
Beantragung und Kostenübernahme
Die finanzielle Unterstützung wird vom Integrationsamt/Inklusionsamt für maximal zwei Jahre gewährt. Der Zuschuss kann auf Antrag verlängert werden.
Arbeitsassistenz
Eine schwerbehinderte Arbeitnehmerin oder ein schwerbehinderter Arbeitnehmer mit erheblichem Unterstützungsbedarf kann sich am Arbeitsplatz durch eine Assistenzkraft unterstützen lassen. Voraussetzung ist, dass weder die behinderungsgerechte Arbeitsplatzgestaltung noch eine von der Arbeitgeberin beziehungsweise vom Arbeitgeber bereitgestellte persönliche Hilfe ausreichen, um die Ausführung der Arbeit zu ermöglichen. Grundsätzlich übernimmt die Assistenzkraft nur Hilfsarbeiten. Die Aufgaben, die den Beruf des schwerbehinderten Menschen ausmachen, müssen durch ihn selbst ausgeführt werden. Es besteht ein Rechtsanspruch auf Arbeitsassistenz.
Es gibt zwei Modelle: Beim „Arbeitgebermodell“ stellt die schwerbehinderte Person ihre Assistenzkraft selbst ein; beim „Dienstleistungsmodell“ wird eine anbietende Institution von Assistenzdienstleistungen beauftragt.
Beantragung und Kostenübernahme
Schwerbehinderte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können einen Antrag auf Arbeitsassistenz an das zuständige Integrationsamt/Inklusionsamt stellen. Dazu gibt es standardisierte Formulare, die ausgefüllt eingereicht werden müssen. Zusätzlich müssen dem Antrag meist noch weitere Unterlagen beigefügt werden, etwa der Arbeitsvertrag oder der Schwerbehindertenausweis. Gegebenenfalls ist eine Tätigkeitsbeschreibung der beantragten Assistenz notwendig. Die vollständigen Unterlagen sendet die Antragstellerin oder der Antragsteller dann an das Integrationsamt/Inklusionsamt.
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REHADAT-Lexikon: Arbeitsassistenz
rehadat.link/lexarbeitsassistenz -
EUTB: Wörterbuch der Teilhabe – Arbeitsassistenz in DGS
rehadat.link/eutbdgsarbeitsassistenz -
Deutsche Rentenversicherung: Arbeitsassistenz in DGS
rehadat.link/rvdgsarbeitsassistenz -
REHADAT-Gute Praxis: Praxisbeispiele mit Arbeitsassistenz
rehadat.link/praxarbeitsassistenz
Personenzentrierte Maßnahmen am Arbeitsplatz
Beschäftigungssicherungszuschuss
Ein Beschäftigungssicherungszuschuss ist eine finanzielle Leistung an Arbeitgebende, um das Arbeitsverhältnis eines schwerbehinderten Menschen zu sichern.
Beantragung und Kostenübernahme
Ein Beschäftigungssicherungszuschuss kann beim Integrationsamt/Inklusionsamt beantragt werden, wenn die Arbeitsleistung eines schwerbehinderten Menschen aufgrund der Behinderung langfristig oder dauerhaft mindestens 30 Prozent unter der üblichen Leistung auf einem vergleichbaren Arbeitsplatz liegt.
Voraussetzung für die Gewährung ist, dass der Betrieb schon alle übrigen Hilfen, wie zum Beispiel eine behinderungsgerechte Arbeitsplatzausstattung, ausgeschöpft hat und eine Umsetzung auf einen besser geeigneten Arbeitsplatz nicht in Betracht kommt. Er wird zunächst für längstens drei Jahre bewilligt. Er kann jedoch auf Antrag erneut gewährt werden.
Job Carving
Job-Carving (wörtlich: „eine Arbeitsstelle schnitzen“) ist ein inklusiver Ansatz für Unternehmen. Darunter versteht man die innerbetriebliche Suche nach meist einfachen Einzeltätigkeiten, die zu einem neuen, für einen Menschen mit Behinderungen geeigneten Jobprofil umgeschichtet und gebündelt werden. Der Prozess wird von einer Fachkraft mit arbeitsanalytischer Expertise, zum Beispiel einem Jobcoach, begleitet.
Im Ergebnis übt der Mensch mit Behinderung eine Tätigkeit aus, die genau auf seine Fähigkeiten zugeschnitten ist. Für das Unternehmen hat dies den Vorteil, dass Betriebsabläufe unterstützt und andere Beschäftigte teilweise von Routinearbeiten entlastet werden, um sich auf neue Aufgaben oder Kerntätigkeiten konzentrieren zu können.
Insbesondere die Begleitung des Job Carvings durch eine Fachkraft ist von großer Bedeutung: Einerseits eröffnet eine „auf die Arbeitnehmerin oder den Arbeitnehmer zugeschnittene Arbeitsstelle“ neue Perspektiven auf einen Verbleib im Arbeitsleben, andererseits birgt sie die Gefahr einer Unterforderung der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers und kann zu einem Bore-Out führen.
Jobcoaching
Jobcoaching (auch: betriebliches Arbeitstraining) ist ein betriebsintegriertes Arbeitstraining, das von externen Fachkräften durchgeführt wird und speziell auf eine Person und den jeweiligen Arbeitsplatz zugeschnitten ist. Die Maßnahme richtet sich an schwerbehinderte und ihnen gleichgestellte Menschen, die im Arbeitsalltag besondere Hilfe und Unterstützung benötigen. Anlässe sind zum Beispiel veränderte Aufgaben und neue Arbeitsanforderungen oder behinderungsbedingte Leistungs- und Kommunikationsprobleme.
Das Jobcoaching dauert durchschnittlich sechs bis acht Monate. Während dieser Zeit kommt ein Jobcoach in der Regel zwei- bis dreimal wöchentlich in den Betrieb, vermittelt arbeitsrelevante Kenntnisse und Fertigkeiten und fördert das selbstständige Arbeiten der betroffenen Person.
Beantragung und Kostenübernahme
Jobcoaching kann von den Integrationsämtern/Inklusionsämtern und den Rehabilitationsträgern finanziert werden, um ein bestehendes Arbeitsverhältnis zu sichern oder eine Frühverrentung zu vermeiden.
Unterstützte Beschäftigung
Die Unterstützte Beschäftigung (UB) ist eine Maßnahme für Menschen mit Behinderungen mit besonderem Unterstützungsbedarf. Mit diesem Angebot sollen vor allem Schulabgängerinnen und Schulabgänger sowie Erwachsene mit spät erworbenen Behinderungen bei der Aufnahme und Sicherung einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in Unternehmen des allgemeinen Arbeitsmarktes unterstützt werden.
Nach dem Ansatz „erst platzieren, dann qualifizieren“ findet die individuelle Qualifizierung und Einarbeitung direkt im Unternehmen statt und wird durch einen Jobcoach in der Regel bis zu zwei Jahre begleitet.
Beantragung und Kostenübernahme
Ansprechstelle ist hier die Bundesagentur für Arbeit. Ist nach Aufnahme einer regulären Beschäftigung eine weitere Unterstützung erforderlich, kann über das Integrationsamt/Inklusionsamt eine individuell befristete Berufsbegleitung gefördert werden.
4.5 Arbeit im Team
Die Auswirkungen einer Taubblindheit oder Hörsehbehinderung beeinflussen den Arbeitsalltag und die Zusammenarbeit am Arbeitsplatz. Sowohl die taubblinde oder hörsehbehinderte Person selbst als auch Kolleginnen und Kollegen und Vorgesetzte können jedoch zu einem möglichst barrierefreien Arbeitsumfeld beitragen.
Ich hatte das Riesenglück, jetzt muss man wirklich auf Holz klopfen, Leute gehabt zu haben, die mich nicht zur Seite geschoben haben nach dem Motto: Ich kann dich nicht mehr gebrauchen. Und die immer gesagt haben: „Wenn du irgendwie etwas an Hilfe brauchst, sage mir Bescheid … und dann gucken wir, welche Lösung wir finden.
Zitat einer taubblinden oder hörsehbehinderten Person (Quelle: EMPLOY Interviews, 2023)
Führungs- und Teamkultur
Inklusive Unternehmenskultur
Ob Inklusion in einem Unternehmen gelingen kann, hängt wesentlich von der Einstellung aller Beteiligten und ihrer Bereitschaft zur Veränderung ab. Insbesondere die Führungskraft spielt hier eine wichtige Rolle, da sie als Vorbild für das gesamte Team dient und die Zusammenarbeit aktiv gestaltet. Akzeptanz, Fairness und gegenseitige Hilfsbereitschaft sind dabei entscheidende Faktoren.
Die Besonderheiten bei der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen müssen von der Führungskraft berücksichtigt werden, damit diese ihr Leistungspotenzial voll ausschöpfen können und die Integration in das Team gelingt.
Bei Schwierigkeiten am Arbeitsplatz ist es ihre Aufgabe, mit den betroffenen Beschäftigten zu sprechen und Hilfe anzubieten. Dies kann zum Beispiel in Form von Arbeitszeitanpassungen, technischen Hilfsmitteln oder regelmäßigen Austauschgesprächen geschehen.
In Fällen, in denen Beschäftigte ihre Behinderung am Arbeitsplatz offenlegen möchten, sollte genau vereinbart werden, wie viele und welche Informationen die direkten Kolleginnen und Kollegen erhalten.
Sensibilisierung des Arbeitsumfeldes
Für ein funktionierendes Miteinander am Arbeitsplatz ist es wichtig zu wissen, wie die Taubblindheit oder Hörsehbehinderung die Zusammenarbeit beeinflusst. Die Sensibilisierung aller Beteiligten für die Bedürfnisse des Gegenübers hilft dabei, angemessen miteinander umzugehen und kann unnötigen Missverständnissen oder Konflikten entgegenwirken.
Einige Zeit später habe ich dann eine Weiterbildung für die Belegschaft angeregt. Und da ist es den Kollegen wie Schuppen von den Augen gefallen, dass die betroffene Person zum Beispiel nicht von den Lippen absehen kann, wenn die sprechende Person mit dem Rücken zum Fenster sitzt. Die haben gar nicht darüber nachgedacht, dass es blendet.
Zitat einer Person aus dem Kontext Beratung (Quelle: EMPLOY Interviews, 2023)
Eine Sensibilisierung kann in entsprechenden Seminaren oder Workshops erfolgen. Diese Workshops haben das Ziel, Unsicherheiten unter Kollegen und Kolleginnen abzubauen und die kommunikative Situation zu verbessern. Zurzeit (2025) gibt es nur wenige Angebote, die spezifisch auf taubblinde oder hörsehbehinderte Menschen ausgerichtet sind. Teilweise können Beraterinnen oder Berater des Integrationsfachdienstes entsprechende Angebote vermitteln oder selbst durchführen. Je nach Offenheit eines Teams können taubblinde und hörsehbehinderte Personen ihre Bedarfe auch im persönlichen Austausch mit Kolleginnen und Kollegen ansprechen.
Arbeit kommunikativ gestalten
Eine gelingende Kommunikation ist die Basis einer guten Zusammenarbeit. Neben der grundsätzlichen Klärung der bevorzugten Kommunikationsformen (z. B. Gebärdensprache, Lautsprache; siehe Kapitel 2.4 Sprachen und Kommunikationsformen), sind bezogen auf die Thematik Taubblindheit und Hörsehbehinderung weitere Aspekte von Bedeutung, die nicht immer offensichtlich sind.
Tipps, um auf sich aufmerksam zu machen
- zuerst auf sich aufmerksam machen und danach erst das Gespräch beginnen
- Licht- oder Vibrationsklingel an der Bürotür
- Nicht von hinten ansprechen
- mitteilen, wenn man den Raum wieder verlässt
In der Gruppe
Besonders in Gruppen kann die Kommunikation schnell unübersichtlich werden. Die Redner und Rednerinnen wechseln schnell, es wird oft durcheinandergeredet und nicht immer kann die sprechende Person gut gesehen werden. Das kann der taubblinden oder hörsehbehinderten Person das Zuhören und Verstehen erschweren.
Teambesprechungen sind ein großes Problem für mich. Also da kommt es halt auch immer darauf an, wie man das kommuniziert und welche Technik und Hilfen man bekommt. Aber trotzdem denkt nicht jeder daran, still zu sein, wenn einer redet. Dann gibt es Diskussionen, es wird wild durcheinandergeredet. Und auf Betriebsveranstaltungen, wie zum Beispiel der Weihnachtsfeier, dann kriegt man sowieso nichts mit.
Zitat einer taubblinden oder hörsehbehinderten Person (Quelle: EMPLOY Interviews, 2023)
Praxistipp – Klare Kommunikationsregeln helfen!
- zuerst das Thema benennen
- nacheinander sprechen
- Name der sprechenden Person vor dem Redebeitrag nennen
- Moderator zur Koordination der Redebeiträge
- bei wiederkehrenden Meetings: feste Sitzordnung
- Einsatz von Mikrofontechnik und Übertragungsanlagen
- Einsatz von Gebärdensprachdolmetschenden (in Präsenz oder Online zugeschaltet)
- Im gedolmetschten Gespräch: Ansprechpartner bleibt die taubblinde bzw. hörsehbehinderte Person
Bei digitalen Meetings muss im Vorfeld geklärt werden, ob diese Form für taubblinde oder hörsehbehinderte Kolleginnen und Kollegen passend ist. Das hängt mit der Art der Taubblindheit oder Hörsehbehinderung und der vorhandenen technischen Ausstattung zusammen. Grundsätzlich sind auch hier die Einhaltung von Kommunikationsregeln und die Gesprächsdisziplin sehr wichtig.
Seitdem gibt es regelmäßige Meetings über das Programm Teams. Da ist es dann so, dass die Kollegen über Teams miteinander kommunizieren, aber ich nehme an diesen Sitzungen nicht mehr teil. Ich habe das zu Beginn versucht. Da gab es dann eine Live-Untertitelung, wo also das gesprochene Wort automatisch übersetzt wurde. Aber das ist, das habe ich meinem Chef auch gesagt, für mich viel zu anstrengend, immer die Kacheln zu verfolgen, die dann auch teilweise hin- und her switchen, und mitzubekommen, wer gerade spricht. Deswegen mache ich das nicht mehr.
Zitat einer taubblinden oder hörsehbehinderten Person (Quelle: EMPLOY Interviews, 2023)
4.6 Ausbildung und Berufswahl
Ich habe von Anfang an eine Ausbildung gewählt, die ich auch ausüben kann, wenn ich nicht mehr gut sehen kann.
Zitat einer taubblinden oder hörsehbehinderten Person (Quelle: EMPLOY Interviews, 2023)
Bei Menschen mit Taubblindheit oder Hörsehbehinderung zeigen sich unterschiedliche Verläufe der beruflichen Orientierung ab. Dabei spielt es bei der Berufswahl eine große Rolle, wann die Diagnose einer Taubblindheit oder Hörsehbehinderung gestellt wird (siehe Kapitel 2.6 Diagnose).
Bei einer Diagnose vor der Berufswahl wird der Beruf meist unter Berücksichtigung der bestehenden Einschränkungen ausgewählt. Die Interviews und Online-Befragung des EMPLOY Projektes ergaben, dass die vollständige Diagnose einer Taubblindheit oder Hörsehbehinderung für den Großteil der Personengruppe jedoch erst im Jugend- oder Erwachsenenalter gestellt wurde. Die Personen befanden sich zu diesem Zeitpunkt oftmals in einer Berufsausbildung, einem Studium oder waren bereits in einem erlernten Beruf tätig. Die Diagnose wurde zum Teil als großer Schock sowohl für die Personen selbst als auch für Angehörige sowie das Arbeitsumfeld beschrieben. Teilweise müssen sich die Personen dann beruflich neu orientieren, insbesondere wenn eine Verschlechterung akut oder absehbar ist. Eine fortschreitende Verschlechterung der Taubblindheit oder Hörsehbehinderung kann Ängste, Niedergeschlagenheit und Verunsicherung verursachen (siehe auch Kapitel 2.7 Körperliche und psychische Belastungen). In Bezug auf das Arbeitsleben steht dabei für viele taubblinde und hörsehbehinderte Personen die Frage im Raum, wie lange sie ihren Beruf ausüben können oder sich eventuell neu orientieren müssen. Hier können verschiedene Beratungsangebote weiterhelfen, um die zur Person passenden Maßnahmen auszuwählen und in Angriff zu nehmen (siehe Kapitel 5.2 Wer hilft?).
Des Weiteren gibt es Unterstützungsmöglichkeiten, die allgemeingültig für Menschen mit Behinderung, die sich in einer Ausbildung befinden, in Frage kommen können. Hierfür werden beispielhaft Informationen über Nachteilsausgleiche und Teilzeitmöglichkeiten für Auszubildende vorgestellt.
Nachteilsausgleiche für Auszubildende
Es gibt verschiedene Hilfen, um behinderungsbedingte Nachteile in der Ausbildung auszugleichen.
Dazu zählen Prüfungsmodifikationen, die beispielsweise eine verlängerte Prüfungszeit, häufigere Pausen oder einen insgesamt längeren Prüfungszeitraum für die Erbringung der Prüfungsleistungen beinhalten. Auszubildende sollten den Antrag auf Nachteilsausgleich spätestens mit der Anmeldung zur Abschlussprüfung beziehungsweise dem Antrag auf Prüfungszulassung stellen. Ansprechstellen für die Prüfungsmodifikationen im Rahmen der betrieblichen Ausbildung sind die jeweiligen Kammern (Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, Landwirtschaftskammern).
Die Assistierten Ausbildung (AsA) ist ein Instrument der Bundesagentur für Arbeit, das benachteiligte junge Menschen mit unterschiedlichen Leistungen dabei unterstützt, eine betriebliche Berufsausbildung zu finden und erfolgreich abzuschließen. Mögliche Leistungen sind Ausbildungsvorbereitung, Bewerbungstraining, Beratung und Begleitung während der Ausbildung für die Auszubildenden sowie Unterstützung und Beratung für die Unternehmen.
Teilzeitausbildung
Auszubildende können bei „berechtigtem Interesse“ eine Verkürzung der täglichen oder wöchentlichen Ausbildungszeit beantragen. Ein berechtigtes Interesse liegt unter anderem dann vor, wenn aufgrund von Behinderungen oder gesundheitlichen Beeinträchtigungen eine Vollzeitausbildung nicht zumutbar ist.
Von dem Modell der Teilzeitausbildung können sowohl Auszubildende als auch Unternehmen profitieren: Die Auszubildenden können es trotz erschwerter Rahmenbedingungen schaffen, eine Ausbildung abzuschließen – und den Unternehmen bietet sich die Chance, angesichts nicht besetzter Ausbildungsstellen qualifizierten und motivierten Fachkräftenachwuchs zu gewinnen. Bei einer Ausbildung in Teilzeit einigen sich Auszubildende und Unternehmen auf eine wöchentliche Ausbildungszeit inklusive Berufsschulunterricht zwischen 20 und 35 Stunden. Dabei lässt sich die Ausbildungszeit flexibel an die persönlichen und betrieblichen Voraussetzungen anpassen.
Ausbildungsbetrieb und Auszubildende müssen die Teilzeitberufsausbildung gemeinsam bei der zuständigen Stelle beantragen. Das ist vor und während der Ausbildung beziehungsweise Umschulung möglich. Zuständige Stellen sind beispielsweise die Handwerkskammern, Industrie- und Handelskammern, Ärztekammern, Rechtsanwaltskammern, Kammern der freien Berufe oder eine zuständige Stelle des öffentlichen Dienstes.
4.7 Rückkehr nach Arbeitsunfähigkeit
Insbesondere bei einer fortschreitenden Taubblindheit oder Hörsehbehinderung kann es sein, dass Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer im Laufe ihres Berufslebens häufigere oder längere Ausfallzeiten haben. In diesen Fällen kann ein Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) eingesetzt werden. Für Menschen mit Taubblindheit und Hörsehbehinderung ist dabei von großer Bedeutung, dass zum Beispiel Schulungsmaßnahmen in diesem Prozess barrierefrei gestaltet sind.
Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM)
Das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) hat sich in vielen Unternehmen zu einem wirksamen Angebot für mehrfach oder langzeiterkrankte Beschäftigte entwickelt – häufig unter Beteiligung eines sogenannten BEM-Teams, das sich aus verschiedenen betrieblichen Beteiligten zusammensetzt.
Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sind grundsätzlich verpflichtet, Beschäftigten ein BEM anzubieten, wenn diese innerhalb der letzten 12 Monate sechs Wochen oder länger – ununterbrochen oder wiederholt – krankgeschrieben waren. Ein BEM kann jedoch nur mit Zustimmung der Betroffenen durchgeführt werden.
Ziel des BEM ist es, in einem gemeinsamen Prozess herauszufinden, wie häufig oder lange erkrankte Beschäftigte dabei unterstützt werden können, wieder gesund und arbeitsfähig zu werden (und es möglichst dauerhaft zu bleiben): zum Beispiel durch eine Stufenweise Wiedereingliederung, Schulungsmaßnahmen, Anpassungen der Arbeitsorganisation oder eine Umgestaltung des Arbeitsplatzes.
Bei Fragen zum BEM unterstützen externe dienstleistende Unternehmen, die Rehabilitationsträger, Kammern und Verbände sowie bei schwerbehinderten oder gleichgestellten Beschäftigten die Integrationsämter/Inklusionsämter und Fachdienste mit einem umfangreichen Angebot an persönlichen und finanziellen Hilfen.
Rehabilitationsträger und Integrations- bzw. Inklusionsämter können Unternehmen, die ein BEM einführen, durch Prämien oder einen Bonus fördern.
Stufenweise Wiedereingliederung
Das Verfahren der Stufenweisen Wiedereingliederung (auch: „Hamburger Modell“) soll arbeitsunfähigen Beschäftigten nach längerer Krankheit die schrittweise Rückkehr an den alten Arbeitsplatz erleichtern, indem Arbeitszeit und -belastung allmählich gesteigert werden. Sie wird in Absprache zwischen den Beschäftigten, der Ärztin oder dem Arzt, dem zuständigen Rehabilitationsträger und den betrieblichen Vorgesetzten durchgeführt und häufig auch als Wiedereingliederungsmaßnahme im Rahmen eines Betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) eingesetzt.
Die Stufenweise Wiedereingliederung wird von der gesetzlichen Kranken- oder Rentenversicherung als Leistung der medizinischen Rehabilitation bewilligt. Eine vergleichbare Leistung der gesetzlichen Unfallversicherung ist die Belastungserprobung nach einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit.
Während der Maßnahme sind die Betroffenen weiterhin krankgeschrieben und können Kranken-, Übergangs- oder Verletztengeld erhalten.
Schwerbehinderte Beschäftigte haben grundsätzlich einen Rechtsanspruch auf Stufenweise Wiedereingliederung.
Unternehmen wird allerdings geraten, allen Beschäftigten die ärztlich empfohlene Stufenweise Wiedereingliederung zu ermöglichen – insbesondere dann, wenn sie als Maßnahme im Rahmen eines BEM vereinbart wurde.
4.8 Fahrplan für die Praxis – den einen gibt es nicht
Es existiert im Fall von Menschen mit Taubblindheit und Hörsehbehinderung nicht der eine Weg, um berufliche Teilhabe zu ermöglichen. Die Rahmenbedingungen am Arbeitsplatz und Unterstützungsmöglichkeiten, wie technische oder personale Hilfen sind individuell von der Person, ihrer Diagnose und ihren Bedarfen abhängig. Um dennoch Optionen für die Praxis zu geben, sind im folgenden Textverlauf zwei Fallbeispiele aus dem Arbeitsleben von taubblinden und hörsehbehinderten Menschen dokumentiert.
Fallbeispiel A
Frau M. begann ihre berufliche Laufbahn in der Überzeugung, lediglich schwerhörig zu sein, und arbeitete erfolgreich als Informatikerin. Sie nutzte sowohl gesprochene als auch geschriebene Sprache, um zu kommunizieren. Doch im Laufe der Zeit verschlechterte sich ihr Sehvermögen, und sie erhielt die Diagnose Usher-Syndrom Typ 2. Diese Veränderung bedeutete, dass sie nicht mehr in der Lage war, mit dem Auto zur Arbeit zu fahren oder ihre Computerarbeiten in normaler Schriftgröße zu erledigen.
Mit dem Wunsch, ihre Arbeitsfähigkeit aufrechtzuerhalten, suchte Frau M. im Internet nach Unterstützungsmöglichkeiten. Gemeinsam mit ihrem Arbeitgeber wandte sie sich an das Integrationsamt/Inklusionsamt, um die notwendige Beratung und Förderung zu erhalten. Ihr Arbeitsplatz wurde schließlich mit einem größeren Bildschirm, einem Monitorschwenkarm, verbesserter Beleuchtung sowie Vergrößerungs- und Vorlesesoftware ausgestattet. So konnte Frau M. ihre Tätigkeit weiter ausüben. Inzwischen steht sie kurz vor dem Ruhestand und hat sich aufgrund der Belastung für ihre Augen entschieden, nur noch in Teilzeit zu arbeiten.
Fallbeispiel B
Herr B. ist an Taubheit grenzend schwerhörig und hat eine fortschreitende Sehbehinderung. Er kommuniziert auf verschiedene Weise: über gesprochenes und geschriebenes Deutsch, mit Gesten und mithilfe der Deutschen Gebärdensprache. Nach seiner Ausbildung zum Betriebswirt schickte er viele Bewerbungen, die jedoch meist erfolglos blieben, da er aufgrund seiner Schwerhörigkeit keine Telefonate führen konnte.
Mit Unterstützung des Integrationsfachdienstes (IFD) fand Herr B. schließlich eine Anstellung im Einzelhandel. Obwohl er ein Cochlea-Implantat trägt, verschwieg er seinem Arbeitgeber zunächst seine Sehbehinderung. Doch mit der Zeit verschlechterte sich sein Sehvermögen weiter, was seine Arbeit immer schwieriger machte. Er konnte Kartons und deren Inhalte kaum noch erkennen, und es kam zu Konflikten mit seinen Kolleginnen und Kollegen. Als ihm die Kündigung drohte, entschloss sich Herr B. dazu, seinem Arbeitgeber von seiner Hörsehbehinderung zu erzählen. Daraufhin wurde die Kündigung abgewendet, und Herr B. sprach auch offen mit seinem Team über seine Einschränkungen. Seitdem hat sich die Situation deutlich verbessert: Am Arbeitsplatz wurde eine hellere Beleuchtung angebracht, die Aufgaben wurden im Team neu verteilt, und das Arbeitsklima hat sich positiv verändert.
4.9 Zusammenfassung Kapitel 4
Arbeit bedarfsgerecht gestalten
Menschen mit Taubblindheit oder Hörsehbehinderung haben sehr unterschiedliche Bedarfe, je nach Art und Eintrittszeitpunkt ihrer Sinnesbehinderungen. Deswegen muss individuell geprüft werden, welche Lösungen für den Arbeitsplatz passend sind. Ziel ist es, behinderungsbedingte Beeinträchtigungen auszugleichen, die Arbeitsausführung zu unterstützen und Gesundheitsgefahren zu reduzieren. Um das zu erreichen, können verschiedene Hilfsmittel und Maßnahmen eingesetzt werden.
Hilfsmittel
Technische Hilfsmittel können viele taubblinde und hörsehbehinderte Menschen auch im Berufsleben entscheidend unterstützen. Dabei können verschiedene Kombinationen aus optischen, akustischen und taktilen Hilfsmitteln zur Kommunikation und Informationsverarbeitung sinnvoll sein. Hierzu zählen zum Beispiel Höranlagen wie FM-Systeme, Sprache-zu-Text-Umwandlungen oder Vergrößerungssoftware. Da es sich um eine doppelte Sinnesbehinderung handelt, muss immer geprüft werden, ob das Hilfsmittel für die Person Nutzen bringt: Ist zum Beispiel die Textausgabe über einen Screenreader gut verständlich?
Zur Orientierung und Mobilität gibt es neben Langstock und Blindenführhund zum Beispiel Navigationsapps. Um Wegstrecken zum Arbeitsplatz oder auf dem Betriebsgelände mit dem Langstock zu üben, kann ein Orientierungs- und Mobilitätstraining (kurz O&M Training) absolviert werden.
Kostenträger für alltägliche und häusliche Hilfsmittel ist die Krankenkasse. Für Hilfsmittel am Arbeitsplatz sind die Agentur für Arbeit, die Integrationsämter/ Inklusionsämter, die Deutsche Rentenversicherung oder die Unfallversicherung mögliche Kostenträger.
Dolmetschen und Taubblindenassistenz
Für taubblinde und hörsehbehinderte Personen, die gebärdensprachlich kommunizieren, ist der Einsatz von Gebärdensprachdolmetscherinnen und Gebärdensprachdolmetschern eine notwendige kommunikative Unterstützung am Arbeitsplatz. Bei Gesprächen mit mehreren Teilnehmenden wie Teamsitzungen oder Betriebsversammlungen ist es für eine hörsehbehinderte oder taubblinde Person zum Beispiel kaum möglich, ohne Gebärdensprachdolmetschende an dem Gespräch teilzunehmen. Da das Dolmetschen für Personen mit einer zusätzlichen Sehbehinderung besondere Kommunikationstechniken wie Lormen und taktile Gebärden erfordert, sollten im besten Fall Dolmetschende mit entsprechenden Erfahrungen eingesetzt werden. Gegebenenfalls bevorzugt die taubblinde oder hörsehbehinderte Person auch bestimmte Dolmetscherinnen und Dolmetscher. Diese sollten nach Möglichkeit beauftragt werden.
Für taubblinde und hörsehbehinderte Personen, die sicher in der Deutschen Schriftsprache sind, können Schriftdolmetschende gesprochene Sprache, zum Beispiel bei Vorträgen oder Präsentationen, live mitschreiben. Die taubblinde oder hörsehbehinderte Person kann dies bei ausreichender Sehfähigkeit auf einem Monitor oder einer Leinwand verfolgen oder mit einer angeschlossenen Braillezeile lesen. Wichtig sind hier Absprachen zur Gestaltung der Texte mit Blick auf Hintergrund und Schriftfarbe.
Ebenso kann eine Taubblindenassistenz (TBA) für den Einsatz im Arbeitsleben beantragt werden. Im Gegensatz zu Dolmetschenden übersetzen sie keine Gespräche, sind aber zur Unterstützung der Kommunikation am Arbeitsplatz zuständig. Darüber hinaus unterstützen sie bei der Orientierung und Mobilität während der Arbeit und unter Umständen auch auf dem Weg dorthin.
Im beruflichen Kontext können die Kosten für Dolmetschende und Taubblindenassistenz vom Integrationsamt/Inklusionsamt, der Agentur für Arbeit, der Rentenversicherung oder der Unfallversicherung übernommen werden. Der zuständige Integrationsfachdienst für Menschen mit Hörbehinderung kann bei der Beantragung der Kostenübernahme im Arbeitsleben beraten und unterstützen.
Barrierefreie Gestaltung der Arbeitsumgebung
Zur barrierefreien Gestaltung der Arbeitsumgebung gehören unter anderem gute Beleuchtung und Schallschutzmaßnahmen, freie Wege und barrierefreie Warnsysteme. Vorhandene Warnsysteme müssen gegebenenfalls um visuelle und taktile Empfänger ergänzt werden. Dies sind zum Beispiel ein Pager oder ein Armband mit Vibrationsalarm. Auch hier ist es wichtig, gemeinsam mit der Person zu besprechen, welche Form der Alarmierung für sie passend ist.
Bei Versammlungen, Ausflügen und Feiern macht es eine gute Planung möglich, dass auch taubblinde und hörsehbehinderte Mitarbeitende teilnehmen können. Dazu gehören zum Beispiel die Organisation von Assistenz und Hilfsmitteln im Vorfeld und ein barrierearmer Weg zur Veranstaltung.
Organisation und Rahmenbedingungen der Beschäftigung
Für taubblinde und hörsehbehinderte Menschen ist es wichtig, dass Abläufe und Aufgaben am Arbeitsplatz individuell auf ihre Bedarfe abgestimmt sind. Um die Belastung der Person zu verringern, können flexible Arbeitszeiten und Home-Office eingeführt werden. Auch regelmäßige Pausen und möglicherweise eine Reduzierung der Arbeitszeit können den Arbeitsalltag erleichtern. Für die Teilnahme an Qualifizierungs- und Weiterbildungsangeboten können in Abstimmung mit dem Integrationsfachdienst (IFD) Hilfen für die Kommunikationssicherung und Erreichbarkeit eingesetzt werden.
Für taubblinde und hörsehbehinderte Menschen kann personelle Unterstützung am Arbeitsplatz notwendig sein. Mentorinnen oder Mentoren können zum Beispiel bei der Einarbeitung unterstützen, während Jobcoaches speziell auf den Arbeitsplatz zugeschnittene Hilfestellung bieten. Auch eine Arbeitsassistenz kann für zusätzliche Unterstützung sorgen, wenn bestimmte Aufgaben allein nicht bewältigt werden können. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber können für solche Maßnahmen finanzielle Zuschüsse beim Integrationsamt/Inklusionsamt beantragen.
Arbeit im Team
Für eine gute Zusammenarbeit und ein möglichst barrierefreies Arbeitsumfeld benötigt es Engagement von allen Beteiligten. Eine offene Kommunikation und gegenseitiger Respekt sind wichtig, um Missverständnisse zu vermeiden. Eine Sensibilisierung des Arbeitsumfeldes, zum Beispiel durch eine Schulung, kann helfen, das Team über die individuellen Bedarfe der taubblinden und hörsehbehinderten Kolleginnen und Kollegen zu informieren. Klare Kommunikationsregeln und Hilfen, wie der Einsatz von Gebärdensprachdolmetschenden oder Schriftdolmetschenden, tragen zu einem erfolgreichen Miteinander bei.
Ausbildung und Berufswahl
Der Weg in einen Beruf verläuft bei Menschen mit Taubblindheit oder Hörsehbehinderung individuell. Insbesondere der Zeitpunkt der Diagnosestellung kann jedoch einen Einfluss auf die Berufswahl der Personen haben. Wenn die Diagnose schon vor der Berufswahl bekannt ist, entscheiden sich einige taubblinde und hörsehbehinderte Personen für Berufe, die sie auch mit ihrer doppelten Sinnesbehinderung gut ausüben können. Zum Beispiel wird nach Berufen in der näheren Umgebung gesucht, um lange Fahrtwege zu vermeiden.
Des Weiteren gibt es Unterstützungsmöglichkeiten während der Ausbildungszeit. Zum einen können Auszubildende Nachteilsausgleiche, wie Prüfungsmodifikationen oder eine Assistierte Ausbildung (AsA), beantragen. Zum anderen ist es auch möglich, dass man eine Teilzeitausbildung absolviert.
Rückkehr nach Arbeitsunfähigkeit
Insbesondere bei einer fortschreitenden Taubblindheit oder Hörsehbehinderung kann es sein, dass Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer im Laufe ihres Berufslebens häufigere oder längere Ausfallzeiten haben. In diesen Fällen kann ein Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) eingesetzt werden. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber müssen ein BEM anbieten, wenn jemand innerhalb eines Jahres mindestens sechs Wochen krankgeschrieben war. Hierbei spielt keine Rolle, ob die Krankschreibung durchgehend oder mit Unterbrechungen innerhalb eines Jahres vorliegt. Das BEM kann nur mit Zustimmung der Betroffenen durchgeführt werden und hilft herauszufinden, wie man die Rückkehr zur Arbeit erleichtern kann, zum Beispiel durch eine stufenweise Wiedereingliederung, Schulungen oder eine Anpassung des Arbeitsplatzes.
Adressen und Links zum Thema finden Sie im Kapitel 6 Ich hätte noch Fragen – Weiterführende Informationen.
5 »Dafür hole ich mir Unterstützung!«
Förderung, Beratung und Erwerbsminderungsrente
Das Sozialrecht hat umfangreiche Förder- und Beratungsleistungen für Unternehmen sowie Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen geschaffen, um die berufliche Teilhabe und Inklusion zu unterstützen (Stand: Mai 2023).
5.1 Welche Förderung gibt es?
Für Menschen mit Behinderungen und ihre Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber gibt es verschiedene Förderleistungen.
Förderleistungen können, abhängig vom jeweiligen Einzelfall, für alle Phasen der beruflichen Teilhabe beantragt werden:
- zur beruflichen Orientierung oder Umorientierung
- zur Aus- und Weiterbildung
- im Arbeitsleben
- zur Wiedereingliederung ins Arbeitsleben
Das können unterschiedliche Leistungen sein, zum Beispiel:
- finanzielle Hilfen und Zuschüsse
- Beratung
- Bildungs- und Unterstützungsmaßnahmen
- Nachteilsausgleiche, zum Beispiel bei Ausbildungen
Für taubblinde oder hörsehbehinderte Personen kann zum Beispiel eine berufliche Umorientierung in Frage kommen, wenn der erlernte Beruf infolge einer Verschlechterung des Hörvermögens oder des Sehvermögens nicht länger ausgeübt werden kann.
Zu den Leistungen gehören beispielsweise:
- Beratung durch Fachstellen zu allen Aspekten beruflicher Teilhabe (z. B. EUTB, EAA, IFD)
- Hilfen zum Erreichen von Schul- und Ausbildungsabschlüssen
- Hilfen zur Erlangung eines Ausbildungs- oder Arbeitsplatzes
- Zuschüsse für Ausbildungs-, Umschulungs- und Qualifizierungsmaßnahmen
- Lohnkostenzuschüsse bei Probebeschäftigung, Ausbildung, Neueinstellung und zur Beschäftigungssicherung
- Zuschüsse für Hilfsmittel am Arbeitsplatz
- Zuschüsse für eine behinderungsgerechte Arbeitsplatzgestaltung
- Zuschüsse für die Neuschaffung von Arbeitsplätzen
- Assistenzleistungen und Begleitung am Arbeitsplatz
- Unterstützung bei Präventionsmaßnahmen
- Hilfe bei Konflikten am Arbeitsplatz
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA)
Der überwiegende Teil der Förderleistungen wird im gesetzlichen Rahmen der „Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben“ (§§ 49, 50 SGB IX) erbracht. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben können Beschäftigte mit Behinderungen oder drohender Behinderung sowie Unternehmen bei den Rehabilitationsträgern beantragen.
Im Falle einer Schwerbehinderung oder Gleichstellung fördert das Integrationsamt/Inklusionsamt nachrangig im Rahmen der „Begleitenden Hilfe im Arbeitsleben“ (§ 185 SGB IX) aus Mitteln der Ausgleichsabgabe.
Die rechtliche Grundlage für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA) ist § 49 im Sozialgesetzbuch (SGB) 9.
Unter LTA fallen ganz verschiedene Maßnahmen, zum Beispiel:
- Kostenübernahme für Hilfsmittel, technische Arbeitshilfen oder Arbeitsassistenz
- Hilfen zur Erhaltung oder Erlangung eines Arbeitsplatzes
- Hilfen zur Anpassung und Erweiterung beruflicher Kenntnisse
- Ausbildung und Weiterbildung
- Gründungszuschuss bei Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit
- Leistungen an Arbeitgeber
- individuelle betriebliche Qualifizierung im Rahmen Unterstützter Beschäftigung
- Unterstützung bei der Bewältigung des Arbeitsweges
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben kann man in den meisten Fällen bei diesen Rehabilitationsträgern stellen:
- Die Deutsche Rentenversicherung ist zum Beispiel zuständig, wenn ein Beschäftigter seit mindestens 15 Jahren sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist oder eine Erwerbsminderungsrente bezogen wird.
- Die Gesetzliche Unfallversicherung ist zuständig, wenn der Grund für die Behinderung ein Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit ist.
- Die Bundesagentur für Arbeit ist in der Regel zuständig, wenn kein anderer Rehabilitationsträger zuständig ist.
Falls Unsicherheiten bestehen, welcher Rehabilitationsträger zuständig ist, kann der Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bei einem dieser Träger eingereicht werden. Die Träger klären die Zuständigkeit und leiten den Antrag an die richtige Stelle weiter. Wenn kein zusätzliches Gutachten notwendig ist, muss nach spätestens fünf Wochen über den Antrag entschieden worden sein.
Wird ein Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben abgelehnt, haben die Personen die Möglichkeit, dagegen beim zuständigen Träger Widerspruch einzulegen und den Bescheid noch einmal objektiv prüfen zu lassen. Dieser Widerspruch muss innerhalb von vier Wochen nach der Zustellung des Bescheides schriftlich passieren.
Neben den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gibt es Leistungen der Begleitenden Hilfe im Arbeitsleben. Zuständig sind die Integrationsämter/Inklusionsämter. Voraussetzung ist eine Schwerbehinderung oder Gleichstellung.
-
Deutsche Rentenversicherung: Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in DGS
rehadat.link/tbldgsinfos -
REHADAT-Lexikon: Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA)
rehadat.link/lexlta -
REHADAT-Lexikon: Begleitende Hilfe im Arbeitsleben
rehadat.link/lexbeghilf -
REHADAT-Talentplus: Förderung
rehadat.link/foerder
Beschäftigungssicherungszuschuss
Ein Beschäftigungssicherungszuschuss ist eine finanzielle Leistung an Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, um das Arbeitsverhältnis eines schwerbehinderten Menschen zu sichern. Ein Beschäftigungssicherungszuschuss kann beim Integrationsamt/Inklusionsamt beantragt werden, wenn die Arbeitsleistung eines schwerbehinderten Menschen aufgrund der Behinderung langfristig oder dauerhaft mindestens 30 Prozent unter der üblichen Leistung auf einem vergleichbaren Arbeitsplatz liegt.
Voraussetzung für die Gewährung des Zuschusses ist, dass der Betrieb schon alle übrigen Hilfen, wie zum Beispiel eine behinderungsgerechte Arbeitsplatzausstattung, ausgeschöpft hat und eine Umsetzung auf einen besser geeigneten Arbeitsplatz nicht in Betracht kommt. Der Beschäftigungssicherungszuschuss wird zunächst für längstens drei Jahre bewilligt. Er kann auf Antrag erneut gewährt werden.
Fallbeispiel Frau M.
Infolge ihrer sich verschlechternden Hörsehbehinderung wurde es für Frau M. zunehmend anstrengend, das volle Pensum ihrer Aufgaben zu leisten. Eine Reduzierung der Arbeitszeit kam für Frau M. aus finanziellen Gründen nicht in Frage.
In Beratungsgesprächen mit dem Arbeitgeber und dem zuständigen Integrationsfachdienst (IFD) wurde gemeinsam folgende Lösung abgestimmt: Frau M. verringert ihr Arbeitspensum bei voller Arbeitszeit und hat so mehr Zeit für ihre Aufgaben und kann Pausen nach Bedarf machen. Als Ausgleich bekommt der Arbeitgeber einen Beschäftigungssicherungszuschuss ausgezahlt.
5.2 Wer hilft?
Bei Fragen zu Förderungen und Leistungen im Kontext Arbeitsleben sind unterschiedliche Stellen zuständig:
- Ansprechstellen innerhalb der Betriebe und Dienststellen
- Rehabilitationsträger für die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben
- Integrationsämter/Inklusionsämter für die Begleitende Hilfe im Arbeitsleben
- Fachdienste wie zum Beispiel der Integrationsfachdienst (IFD) oder der Technische Beratungsdienst (TBD)
Das Wissen zum Thema Taubblindheit oder Hörsehbehinderung ist in unterschiedlichem Umfang vorhanden. Oft sind die Auswirkungen und Bedarfe taubblinder und hörsehbehinderter Menschen nicht bekannt.
Daneben gibt es spezifische Beratungsangebote, die sich an taubblinde und hörsehbehinderte Menschen richten. Dazu zählen auch die Beratungsangebote der Selbsthilfeverbände. Diese Stellen haben Hintergrundwissen zu Taubblindheit und Hörsehbehinderung, sind jedoch nicht auf Themen im Bereich Arbeitsleben spezialisiert.
Beratung im Kontext Teilhabe am Arbeitsleben
Ansprechstellen im Betrieb
Ansprechstellen innerhalb des Unternehmens zu Fragen der beruflichen Teilhabe und Arbeitsplatzsicherung sind – je nach Größe und Ausrichtung des Betriebs – die betrieblichen Interessenvertretungen und Beteiligten. Dazu gehören Schwerbehindertenvertretungen, Inklusionsbeauftragte, Betriebs- oder Personalräte, Inklusionsteams, arbeits- und betriebsmedizinische Fachkräfte.
Schwerbehindertenvertretung
Natürlich ziehe ich gerne auch mal die Schwerbehindertenvertretung bei der Hilfsmittelfeststellung hinzu. Das ist dann ein weiterer Akteur. Wobei der Akteur für mich weniger eine beratende Funktion hat als vielmehr eine begleitende Funktion mit Blick darauf, dass auch von der Arbeitgeberseite jemand an dem Prozedere teilnimmt.
Zitat einer taubblinden oder hörsehbehinderten Person (Quelle: EMPLOY Interviews, 2023)
Die Rechte behinderter Menschen in einem Betrieb vertritt die Schwerbehindertenvertretung (auch: Vertrauensperson für Menschen mit Schwerbehinderung). Die Schwerbehindertenvertretung bietet Beratung an, informiert über die Rechte von Menschen mit Schwerbehinderung im Arbeitsleben und kann bei Schwierigkeiten unterstützen.
Externe Institutionen und Fachstellen
Daneben unterstützen folgende externe Institutionen und Fachstellen bei der Einstellung, Ausbildung und Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen:
- Agentur für Arbeit: Beratung, Gewährung von Lohnkostenzuschüssen und Leistungen zur beruflichen Teilhabe, Vermittlung von Fachkräften, Hilfe bei der behinderungsgerechten Arbeitsplatzgestaltung
- Integrationsämter/Inklusionsämter: (nur im Falle von Schwerbehinderung und Gleichstellung) Beratung, Gewährung von Zuschüssen und Leistungen zur beruflichen Teilhabe und zur Arbeitsplatzsicherung, Hilfe bei der behinderungsgerechten Arbeitsplatzgestaltung, Unterstützung bei der Prävention und beim Betrieblichen Eingliederungsmanagement
- Integrationsfachdienste (IFD): Beratung, Begleitung am Arbeitsplatz zur Festigung oder Sicherung eines Arbeitsverhältnisses, Hilfe bei Konflikten, teils Vermittlung von Fachkräften, Hilfe bei Wiedereingliederung
- Einheitliche Ansprechstellen für Arbeitgeber (EAA): Beratungsstellen mit Lotsenfunktion
- Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB): Beratung für Menschen mit und ohne Behinderungen, die Unterstützung für ihre Teilhabe benötigen
- Inklusionsberatung der Kammern: Beratung zu Möglichkeiten und Rahmenbedingungen der Beschäftigung und Inklusion von Menschen mit Behinderungen für Betriebe des jeweiligen Kammerbezirks
- Ansprechstellen der Rehabilitationsträger: Unterstützung bei der frühzeitigen Erkennung eines Rehabilitationsbedarfs, Hilfe bei der Antragstellung
- Betriebsnahe Beratungsstellen: je nach Ausrichtung: Beratung, Unterstützung bei Konflikten, Hilfe bei Wiedereingliederung, Vermittlung von Fachkräften, Job-Coaching, Unterstützung bei der Prävention und beim Betrieblichen Eingliederungsmanagement
Agentur für Arbeit
Die Agentur für Arbeit ist insbesondere dafür zuständig, einen Arbeitsplatz zu bekommen und dabei zu unterstützen, wenn eine berufliche Neuorientierung wie zum Beispiel eine Umschulung notwendig ist. Zur beruflichen Orientierung werden unter anderem Diagnosemaßnahmen gefördert, daneben Hilfen bei der Ausbildung oder auch rehaspezifische berufliche Bildungsmaßnahmen.
Die Agentur für Arbeit ist auch für den Gleichstellungsantrag zur Gleichstellung mit Menschen mit Schwerbehinderung zuständig.
Akademikerinnen und Akademiker mit Behinderung unterstützt die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV)/ Arbeitgeberservice für schwerbehinderte Akademiker bei der Stellensuche.
Integrationsamt / Inklusionsamt
In jedem Bundesland gibt es mindestens ein Integrationsamt. In einigen Bundesländern werden sie „Inklusionsamt“ genannt. Integrationsämter/Inklusionsämter sind zentrale Ansprechstellen bei der beruflichen Teilhabe schwerbehinderter Menschen.
Zielgruppen der Integrationsämter/Inklusionsämter sind schwerbehinderte und gleichgestellte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, deren Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber und die betriebliche Interessenvertretung, wie zum Beispiel die Schwerbehindertenvertretung. Integrationsämter/Inklusionsämter unterstützen dabei, dass bestehende Arbeits- und Ausbildungsplätze von Menschen mit einer Schwerbehinderungen erhalten werden können, wenn es zu Problemen kommt. Dafür bieten sie Bildungs- und Informationsangebote sowie Beratungen an und helfen auch durch finanzielle Unterstützung.
Die Leistungen des Integrationsamtes/Inklusionsamtes sind eine Ergänzung zu den Leistungen der Agentur für Arbeit und der Rehabilitationsträger.
Integrationsfachdienst (IFD)
Nein, es gibt keinen IFD für taubblinde Menschen. Das gibt es nicht, aber die Person, die dort tätig war, war gehörlos und hatte Erfahrungen im Bereich Dolmetscher, Nutzung von Dolmetschern und dann gab es eben den Berater vom IFD für blinde Menschen, der sich eben mit diesem Bereich auskannte. Der Fachberater vom IFD für blinde Menschen war Experte für den Bereich technische Hilfsmittel. Ich konnte dann zum Thema Taubblindheit etwas sagen und in dem Zusammenspiel war das gut.
Zitat einer taubblinden oder hörsehbehinderten Person (Quelle: EMPLOY Interviews, 2023)
Zu den Aufgaben der IFDs gehören die Beratung und Unterstützung sowohl der Menschen mit Behinderungen als auch deren Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber. Sie handeln im Auftrag der Integrationsämter/Inklusionsämter, Agenturen für Arbeit (ggf. auch der Jobcenter) oder der anderen Rehabilitationsträger.
IFDs können zum Beispiel folgende Unterstützung für taubblinde oder hörsehbehinderte Menschen und deren Kolleginnen und Kollegen und Arbeitgeber bieten:
- Organisation von Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen, die die Bedarfe hörsehbehinderter und taubblinder Personen erfüllen
- zusammen mit der hörsehbehinderten Person: Aufklärung der Vorgesetzten sowie Kolleginnen und Kollegen über die individuellen Auswirkungen der Hörsehbehinderung
- Beratung bei (Kommunikations-)Problemen am Arbeitsplatz
- Beratung zu technischen Hilfen in Zusammenarbeit mit dem Technischen Beratungsdienst
- Beratung zu Dolmetschen und Assistenz und Unterstützung bei der Beantragung
In den meisten Bundesländern gibt es in den Integrationsfachdiensten Fachberaterinnen und Fachberater für Menschen mit Hörbehinderung und für Menschen mit Sehbehinderung bzw. Technische Beratungsdienste.
Einheitliche Ansprechstellen für Arbeitgeber (EAA)
Mit den EAAs haben Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber eine Anlaufstelle für Fragen zur Beschäftigung von Menschen mit Schwerbehinderung. Sie haben eine Lotsenfunktion und vermitteln zu dem zuständigen Leistungsträger wie zum Beispiel der Agentur für Arbeit oder der Rentenversicherung und helfen bei der Beantragung von Hilfen.
Ergänzende Unabhängige Teilhabeberatung (EUTB)
Und die Vorbilder, die ich in der Beratung erlebt habe, haben mir den Mut gegeben, diesen Schritt zu wagen. Hätte ich keine Beratung von selbst Betroffenen bekommen, glaube ich, hätte ich mit diesen sachlichen Informationen nichts anfangen können. Für mich hat also wirklich eine sehr große Rolle gespielt, dass die Berater selbst betroffen waren.
Zitat einer taubblinden oder hörsehbehinderten Person (Quelle: EMPLOY Interviews, 2023)
Die ergänzende Unabhängige Teilhabeberatung (EUTB) unterstützt Menschen mit Behinderungen bei Fragen zur Teilhabe allgemein, zum Beispiel zu Assistenz, Antrag auf Schwerbehinderung oder Hilfsmitteln. Die EUTB-Beratungsstellen beraten ergänzend zu den bereits existierenden Angeboten anderer Stellen, wie beispielsweise der Agentur für Arbeit oder der Rentenversicherung.
Viele Menschen mit einer Hörsehbehinderung oder Taubblindheit machen die Erfahrung, dass sie im Arbeitsleben auf vielfältige Barrieren stoßen. Hier kann der Austausch mit Menschen, die ähnliche Barrieren erleben, im Rahmen einer Peer-Beratung hilfreich sein.
Praxistipp
In der Suchmaschine der EUTB Website (siehe Link) kann man nach EUTB-Stellen filtern, die Beratung in Gebärdensprache oder Lormen anbieten. In die Freitextsuche können außerdem Stichworte (zum Beispiel „Taubblindheit“) eingegeben werden.
Angebote für taubblinde und hörsehbehinderte Menschen
Bildungs- und Beratungsangebote im Rahmen des Projektes „Wege in den Beruf“
Im Rahmen des Projektes „Wege in den Beruf“ des Deutschen Taubblindenwerks Hannover, der Stiftung Nikolauspflege Stuttgart und des SFZ Förderzentrums Chemnitz sind Bildungs- und Beratungsangebote für Menschen mit Taubblindheit und Hörsehbehinderung entwickelt worden. Durch diese Angebote soll ein Grundstein für berufliche Perspektiven und eine passende Beschäftigung auf dem Arbeitsmarkt gelegt werden.
Die beruflichen Bildungsangebote vermitteln praxisnahe Kompetenzen und fördern sowohl fachliche Qualifikationen als auch persönliche Fähigkeiten für den Arbeitsmarkt. Ergänzend bietet das Projekt eine individuelle Beratung, die berufliche Möglichkeiten aufzeigt und persönliche Stärken einbezieht, um eine geeignete Beschäftigung zu finden. Termine werden an den Standorten Stuttgart, Hannover, Berlin und Chemnitz oder auch online angeboten.
Beratung durch Selbsthilfeverbände
Selbsthilfeverbände für Menschen mit Taubblindheit oder Hörsehbehinderung bieten auch wichtige Unterstützungs- und Beratungsmöglichkeiten für die Personen, die im Arbeitsleben stehen. Sie beraten zu Themen wie Barrierefreiheit, technische Hilfsmittel und rechtliche Ansprüche. Mit ihrer Erfahrung können Selbsthilfeverbände dabei unterstützen, individuelle Lösungen für Herausforderungen im Beruf zu finden und den Arbeitsalltag zu erleichtern.
Links zum Thema finden Sie im Kapitel 6.1 Weiterführende Adressen.
5.3 Erwerbsminderungsrente
Ich erlebe, dass auch gehörlose Usher-Betroffene oft vorschlagen oder empfehlen, dass sie in Frührente gehen sollen. Dass sie besser nicht mehr arbeiten sollen. Sage ich immer: Warte mal, mach mal langsam und Schritt für Schritt. Schau doch erst mal, wie es ist, ne? Man kann das nicht verallgemeinern. Da ist ja jeder unterschiedlich. Der eine, der kann noch arbeiten. Und dann gibt es viele Taubblinde, die zu früh vielleicht in Rente gehen. Und ich sage immer, man muss erst mal abwarten und schauen wie sich die Person fühlt im Arbeitsleben und im Beruf.
Zitat einer taubblinden oder hörsehbehinderten Person (Quelle: EMPLOY Interviews, 2023)
Bei einer Taubblindheit oder Hörsehbehinderung haben sowohl die betroffenen Menschen selbst als auch Fachleute (zum Beispiel der Rentenberatung) oft den Eindruck, dass es kaum möglich ist, weiterzuarbeiten. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn sich die Symptome der Behinderung verschlechtern. In manchen Fällen kann der Einsatz von geeigneten Hilfsmitteln und Maßnahmen eine Weiterbeschäftigung ermöglichen. Sollte eine Weiterbeschäftigung nicht mehr möglich sein, kann ein Antrag auf Erwerbsminderungsrente gestellt werden.
Allgemein gilt:
- Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung wird gewährt, wenn die Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter 6 Stunden, aber noch über 3 Stunden liegt.
- Rente wegen voller Erwerbsminderung wird gewährt, wenn die Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bei nur noch unter 3 Stunden täglich liegt.
Daneben müssen weitere Voraussetzungen vorliegen:
- Vor Eintritt der Erwerbsminderung muss die Mindestversicherungszeit von 5 Jahren erfüllt sein und
- in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung müssen mindestens 3 Jahre Pflichtbeiträge gezahlt worden sein.
Besondere Regelungen gibt es für Personen,
- die bereits vor 1984 die Mindestversicherungszeit von 5 Jahren nachweisen können und seit 1984 bis zum Eintritt der Erwerbsminderung durchgehend rentenversichert sind,
- für Berufsanfängerinnen und Berufsanfänger sowie
- für Menschen, die von Geburt an mit Behinderungen leben und in einer geschützten Einrichtung arbeiten.
Berufstätigkeit mit teilweiser Erwerbsminderungsrente
Wenn man seine Arbeit nicht komplett aufgeben, sondern nur die Arbeitszeit reduzieren möchte, kann eine teilweise Erwerbsminderungsrente hilfreich sein. Durch die Rente kann das geringere Gehalt ergänzt werden. Die tägliche Arbeitszeit muss dabei zwischen drei und sechs Stunden liegen.
Wegefähigkeit
In Zusammenhang mit der Erwerbsminderung spielt außerdem die Fähigkeit, den Weg zur Arbeit zu bewältigen („Wegefähigkeit”), eine Rolle. Dafür müssen bestimmte Strecken zurückgelegt oder öffentliche Verkehrsmittel genutzt werden können. Sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dazu auch mit Unterstützung (zum Beispiel Assistenz oder Hilfsmittel) nicht in der Lage, liegt eine volle Erwerbsminderung vor. Dies gilt auch dann, wenn sie noch mindestens sechs Stunden erwerbstätig sein können. Da der Weg zur Arbeit für taubblinde und hörsehbehinderte Menschen oft mit Schwierigkeiten verbunden ist, kommt der Wegefähigkeit im Zusammenhang mit der Erwerbsminderungsrente eine besondere Bedeutung zu.
„Reha vor Rente“
Bei der Erwerbsminderungsrente gilt der Grundsatz: „Reha vor Rente“. Bevor die Rentenversicherung einer Erwerbsminderungsrente zustimmt, überprüft sie, ob eine Rehabilitationsmaßnahme sinnvoll ist. Denn teilweise kann die Arbeitsfähigkeit durch medizinische oder berufliche Reha-Maßnahmen wiederhergestellt werden.
Wird ein Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gestellt, kann dieser umgedeutet und in einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente umgewandelt werden. Dies kann dazu führen, dass eine Person einen Rentenbescheid erhält, obwohl sie sich vorher nicht dazu entschieden hat, einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente zu stellen. Hier ist auch zu beachten, dass es kaum bedarfsgerechte Angebote zur Rehabilitation für taubblinde und hörsehbehinderte Menschen gibt.
Kombination mit weiteren Leistungen
Eine Erwerbsminderungsrente kann mit weiteren Leistungen kombiniert werden. Zum Beispiel können die Nachteilsausgleiche für schwerbehinderte Menschen (zum Beispiel Zusatzurlaub und Kündigungsschutz) weiterhin in Anspruch genommen werden. Auch kann ein zusätzlicher Anspruch auf Grundsicherung bestehen.
Fallbeispiel Herr K.
Ich habe die Arbeitszeit reduziert, weil ich bei der Arbeit gemerkt habe, dass ich bei acht Stunden am Tag, dass mir das einfach zu anstrengend ist. Also nach sechs Stunden habe ich gemerkt, dass meine Augen sehr angestrengt und trocken waren und dass ich immer wieder eine Pause machen musste. Ich habe mich dann an eine Uniklinik gewandt und die haben mir dort ein Gutachten ausgestellt. Das habe ich dann meinem Arbeitgeber vorgelegt und der war damit einverstanden, meine Arbeitszeit auf 32 Stunden in der Woche zu reduzieren, natürlich einhergehend mit geringerem Gehalt. Und ich bekomme zum Ausgleich eine Erwerbsminderungsrente, eine aufstockende Erwerbsminderungsrente als Ergänzung und das läuft ganz gut.
Zitat einer taubblinden oder hörsehbehinderten Person (Quelle: EMPLOY Interviews, 2023)
Herr K. hat das Usher-Syndrom Typ 1. Er ist gehörlos und ab dem Jugendalter verschlechterte sich das Sehen immer mehr. Er arbeitet als Verwaltungsfachangestellter in Vollzeit. Mit Anfang 30 merkt er, dass die Arbeit am Bildschirm für seine Augen immer anstrengender wird. Die Arbeit macht ihm zwar viel Spaß und erfüllt ihm, aber er kann seine Konzentration nicht mehr so lange aufrechterhalten.
Daher beschließt Herr K., eine Erwerbsminderungsrente zu beantragen und seine Stunden zu reduzieren. Durch die Erwerbsminderungsrente wird das geringere Gehalt ergänzt. Insgesamt hat er nun weniger Geld zur Verfügung als zuvor mit der vollen Stelle. Durch den kürzeren Arbeitstag bleibt ihm aber mehr Zeit zur Erholung.
Unterstützung bei der Entscheidungsfindung
Und dann habe ich mir bei der Beratung ausrechnen lassen, wie das wäre, wenn ich halbtags arbeite, welche Abschläge es gäbe, habe mir also verschiedene Varianten durchrechnen lassen, mit den Vor- und Nachteilen
Zitat einer taubblinden oder hörsehbehinderten Person (Quelle: EMPLOY Interviews, 2023)
Wenn man aufgrund einer Taubblindheit oder Hörsehbehinderung als erwerbsgemindert eingestuft wurde, war die Rückkehr ins Arbeitsleben in der Vergangenheit oft schwierig. Die Entscheidung, ob man eine Erwerbsminderungsrente beantragt, sollte in jedem Fall gut durchdacht sein. Einige taubblinde und hörsehbehinderte Menschen berichten davon, dass die Erwerbsminderungsrente eine große Entlastung für sie ist. Andere wiederum hätten im Nachhinein lieber noch regulär weitergearbeitet. Auch kann der Beantragungsprozess kompliziert sein. Vor der Beantragung sollte unbedingt Beratung in Anspruch genommen werden. In diesem Rahmen kann zum Beispiel auch geklärt werden, wie hoch die (teilweise) Erwerbsminderungsrente ausfallen wird und welche finanzielle Unterstützung zusätzlich in Frage kommt.
Rückkehr aus der Erwerbsminderungsrente – Arbeitserprobung
Seit Januar 2024 ist es möglich, dass „Bezieherinnen und Bezieher einer Erwerbsminderungsrente eine Erwerbstätigkeit aufnehmen oder eine bereits bestehende Erwerbstätigkeit ausweiten, ohne dadurch ihren Rentenanspruch zu gefährden“ . Bislang kam es nur in seltenen Fällen zu einer Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt, da das Risiko bestand, den Rentenanspruch zu verlieren. Mit der Arbeitserprobung können die Rentenbezieherinnen und Rentenbezieher nun zeitweise (in der Regel für sechs Monate) eine Erwerbstätigkeit aufnehmen oder eine vorhandene Tätigkeit aufstocken. Personen, die sich für die Arbeitserprobung interessieren, sollten sich darüber mit ihrem Rentenversicherungsträger austauschen.
5.4 Zusammenfassung Kapitel 5
Förderung, Beratung und Erwerbsminderungsrente
Förder- und Beratungsleistungen sind wichtige Bausteine, um Menschen mit Taubblindheit oder Hörsehbehinderung im Arbeitsleben zu unterstützen. Sie helfen dabei, Barrieren zu überwinden, den Arbeitsplatz zu sichern, neue berufliche Wege zu finden und eine gleichberechtigte Teilhabe zu ermöglichen. Es ist wichtig, sich frühzeitig beraten zu lassen und die verfügbaren Angebote zu nutzen, um individuelle Lösungen zu finden. Wenn eine Weiterbeschäftigung nicht mehr in vollem Umfang oder gar nicht mehr möglich ist, kommt eine Erwerbsminderungsrente in Frage.
Welche Förderung gibt es?
Unterschiedliche Förderleistungen für Menschen mit Behinderung und ihre Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sollen bei der beruflichen Orientierung, der Sicherung eines Arbeitsplatzes oder der Wiedereingliederung ins Arbeitsleben unterstützen. Förderleistungen können zum Beispiel finanzielle Zuschüsse für Hilfsmittel am Arbeitsplatz, Assistenzleistungen oder Beratung bei Konflikten am Arbeitsplatz sein. Die meisten Leistungen werden als Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA) finanziert. Im Rahmen von LTA können Menschen mit Taubblindheit oder Hörsehbehinderung Unterstützung beantragen, um weiter berufstätig zu bleiben oder einen neuen Beruf zu erlernen.
Diese Hilfe umfasst zum Beispiel:
- Technische Hilfsmittel wie Bildschirmlesegeräte oder Braille-Displays
- Kostenübernahme für Weiterbildungen
- Assistenzleistungen am Arbeitsplatz, z. B. Taubblindenassistenz oder Arbeitsassistenz
Die zuständigen Rehabilitationsträger, wie zum Beispiel die Deutsche Rentenversicherung oder die Agentur für Arbeit, prüfen bei einem Antrag, wer die Hilfen bezahlt. Wichtig ist eine genaue Beschreibung der individuellen Einschränkungen und Bedürfnisse. Neben den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gibt es Leistungen der Begleitenden Hilfe im Arbeitsleben. Zuständig sind die Integrationsämter/Inklusionsämter. Voraussetzung ist eine Schwerbehinderung oder Gleichstellung.
Zum Beispiel kann ein Beschäftigungssicherungszuschuss eine Möglichkeit sein, Entlastung zu bringen und eine Weiterbeschäftigung zu ermöglichen. Wenn eine taubblinde oder hörsehbehinderte Person mehr Zeit für die Arbeit braucht und nur einen Teil der Aufgaben bearbeiten kann, kann die Arbeitgeberin oder der Arbeitgeber einen Beschäftigungssicherungszuschuss beantragen.
Beratung
Es gibt Beratungsstellen, die für den Kontext Arbeitsleben zuständig sind und sich in diesem Gebiet gut auskennen. Oft haben sie aber keine Informationen zum Thema Taubblindheit und Hörsehbehinderung und den Auswirkungen. Andere Beratungsstellen kennen die Bedarfe taubblinder und hörsehbehinderter Menschen, sind aber nicht auf das Thema Arbeitsleben spezialisiert.
Für Akademikerinnen und Akademiker mit Behinderung gibt es Beratungsangebote für das Arbeitsleben
Innerhalb des Betriebs stehen in größeren Unternehmen oft Schwerbehindertenvertretungen zur Verfügung. Diese unterstützen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Taubblindheit oder Hörsehbehinderung bei der Gestaltung eines barrierefreien Arbeitsplatzes. Auch Betriebsärztinnen und Betriebsärzte und Inklusionsbeauftragte können beraten.
Extern beraten die Rehabilitationsträger und die Integrationsämter/ Inklusionsämter und deren Fachdienste Menschen mit Behinderung zu finanziellen Hilfen, Assistenzleistungen und rechtlichen Fragen. Sie helfen bei der Antragstellung und entwickeln zusammen mit den Personen Strategien für die berufliche Teilhabe.
Beratungsangebote für taubblinde und hörsehbehinderte Menschen
Daneben gibt es Beratungsangebote mit Wissen und Informationen zu Taubblindheit und Hörsehbehinderung, wie zum Beispiel einzelne Ergänzende Unabhängige Teilhabeberatungsstellen (EUTB) und berufliche Bildungs- und Beratungsangebote spezifischer Einrichtungen wie des Deutschen Taubblindenwerks. Zusätzlich bieten Selbsthilfeorganisationen wie zum Beispiel die Deutsche Gesellschaft für Taubblindheit, Leben mit Usher-Syndrom e.V. oder Pro Retina Deutschland e.V. spezialisierte Beratungsangebote an. Sie informieren über Rechte, Hilfsmittel und Förderleistungen. Außerdem unterstützen sie beim Umgang mit Behörden und stellen Kontakte zu anderen Fachstellen her. Ein wichtiger Aspekt dabei ist die Beratung durch Personen mit einer vergleichbaren Behinderung (Peer-Beratung).
Erwerbsminderungsrente
Wenn Menschen mit Taubblindheit oder Hörsehbehinderung ihre Arbeit nicht mehr ausüben können, gibt es die Möglichkeit, eine Erwerbsminderungsrente zu beantragen. Diese Rente sichert die finanzielle Existenz, wenn keine berufliche Tätigkeit mehr möglich ist.
- Teilweise Erwerbsminderungsrente: Diese erhalten Personen, wenn sie noch zwischen drei und sechs Stunden täglich arbeiten können. Hierdurch soll das geringere Gehalt ergänzt werden, das durch den eingeschränkten Arbeitsumfang entsteht.
- Volle Erwerbsminderungsrente: Diese bekommen Personen, die weniger als drei Stunden täglich arbeitsfähig sind und die keine alternative Beschäftigung ausüben können.
Vor der Bewilligung prüft die Deutsche Rentenversicherung, ob eine berufliche oder medizinische Rehabilitation die Arbeitsfähigkeit verbessern könnte. Es ist wichtig, sich vor einer Entscheidung für einen Rentenantrag beraten zu lassen.
Adressen und Links zum Thema finden Sie im Kapitel 6.
6 »Ich hätte noch Fragen«
Weiterführende Informationen
6.1 Weiterführende Adressen
Selbsthilfe, Verbände und Netzwerke
-
Stiftung taubblind leben
rehadat.link/tblstiftung -
Deutsche Gesellschaft für Taubblindheit (DGfT)
rehadat.link/tbldttbl -
Arbeitsgemeinschaft für taubblinde Menschen in Deutschland (AGTB)
rehadat.link/tblagtb -
DBSV e. V.: Gemeinsamer Fachausschuss hörsehbehindert/taubblind (GFTB)
rehadat.link/tblgftborg -
Bundesarbeitsgemeinschaft der Taubblinden (BAT) e. V.
rehadat.link/tblbat -
Leben mit Usher-Syndrom e. V.
rehadat.link/tbllebenmitusher -
PRO RETINA Deutschland e. V.
rehadat.link/proretina -
Landesarbeitsgemeinschaft taubblind Baden-Württemberg (LAGtblBW)
rehadat.link/tbllag -
Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) e. V.
rehadat.link/tbldbsv2 -
Taubblinden-Assistenz-Verband e. V.
rehadat.link/tbltba
Einrichtungen und Fachdienste mit dem Schwerpunkt Taubblindheit oder Hörsehbehinderung
-
Kompetenzzentrums Selbstbestimmt Leben für Menschen mit Sinnesbehinderungen (KSL-MSI.NRW)
rehadat.link/tblksl-msi -
Deutsches Taubblindenwerk Hannover
rehadat.link/tblhannover -
Fachdienst ITM
rehadat.link/tblfachdienst -
Taubblindendienst der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) e. V.
rehadat.link/tblevkirche -
Stiftung St. Franziskus: Taubblindenzentrum
rehadat.link/tblfranziskus
Informationen und Beratung der Rehabilitationsträger und Sozialleistungsträger
-
Bundesagentur für Arbeit
rehadat.link/bastartseite -
Deutsche Rentenversicherung Bund: Videoberatung
rehadat.link/tbldeberatung -
Deutsche Rentenversicherung Bund: Servicetelefon für gehörlose und hörgeschädigte Menschen
rehadat.link/tbldolmetschen -
Deutschen Rentenversicherung Bund: Informationen in DGS
rehadat.link/tblrvdgsvideo -
Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH) e.V.
rehadat.link/tblbih -
Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) e. V.
rehadat.link/tbldtunfall
Beratungs- und Therapieangebote
-
blista: Hessische Beratungsstelle für Menschen mit Hörsehbehinderung und Taubblindheit
rehadat.link/tblblista -
Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB)
rehadat.link/tbleutb -
Nikolauspflege: Berufliche Beratung für Menschen mit Taubblindheit und Hörsehbehinderung im Rahmen des Projekts „Wege in den Beruf“
rehadat.link/tblwegeinberufe -
Blindeninstitutsstiftung
rehadat.link/tblblindeninstitut -
Deutschen Schwerhörigenbund (DSB) e. V.: Hörberatung
rehadat.link/tblnetz -
Deutscher Gehörlosen-Bund (DGB) e. V.: Therapeutinnen und Therapeuten mit eigener Hörbehinderung und/oder mit Erfahrung in der Beratung und Therapie hörbehinderter Menschen
rehadat.link/tbldeutscherghbund -
PRO RETINA Deutschland e. V.: Therapeutinnen und Therapeuten mit eigener Sehbehinderung und/oder mit Erfahrung in der Beratung sehbehinderter und blinder Menschen
rehadat.link/tblproretina -
Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes (DBSV) e. V.: Blickpunkt Auge
rehadat.link/tblblickpunktauge -
LWL-Klinik Lengerich: Medizinische Fachabteilungen – Behandlungszentrum für Hörgeschädigte
rehadat.link/tbllengerich
Informationen zu medizinischer Rehabilitation und Reha-Einrichtungen
-
Deutsche Rentenversicherung Bund: Medizinische Rehabilitation Infos in DGS
rehadat.link/tblinfosindgs -
Deutschen Schwerhörigenbund (DSB) e. V.: Reha-Einrichtungen
rehadat.link/tblrehahoerbehinderung -
Deutsche Rentenversicherung Bund: Medizinische Rehabilitation
rehadat.link/tbldtmedizin
Informationen für selbstständige Personen
6.2 Literaturverzeichnis
- [1] Erklärung des Europäischen Parlaments zu den Rechten von Taubblinden, P5_TA(2004)0277. Straßburg. (08.01.2025)rehadat.link/tbleurpoarechte (PDF)
- [2] Gemeinsamer Fachausschuss hörsehbehindert/taubblind (GFTB).[Website]. (15.01.2025)rehadat.link/tblgftb
- [3] Die WHO-Klassifikation von Hörverlusten. Ein Konsens zu einer deutschen Fassung.Fachzeitschrift HNO, 72 (8), 561-564, Berlin. (08.01.2025)rehadat.link/tblhrverl
- [4] Teilhabechancen von taubblinden Menschen in Nordrhein-Westfalen. Ergebnisse einer wissenschaftlichen Studie der Universität zu Köln. Das Zeichen: Zeitschrift für Sprache und Kultur Gehörloser, 28 (97), 200-209, Köln. (08.01.2025)
- [5] At risk of exclusion from CRPD and SDGs implementation: Inequality and Persons with Deafblindness. Initial global report on situation and rights of persons with deafblindness.(08.01.2025)rehadat.link/tbl-wfdb (PDF)
- [6] Facetten von Taubblindheit und Hörsehbehinderung – Angeboren, erworben, altersbedingt. Taubblinden-Assistenz. Ein Lehrbuch, 39-47, Heidelberg. (08.01.2025)
- [7] Behindertengleichstellungsgesetz (BGG).(Fassung 2002, zuletzt geändert 2021durch BGBl. I S. 1387). (08.01.2025)rehadat.link/tblrechtbgg
- [8] Merkzeichen TBl.(15.01.2025)rehadat.link/tblbetanet
- [9] GFTB – Positionen zum Taubblindengeld. Berlin. (08.01.2025)rehadat.link/tbl2017 (PDF)
- [10] GFTB – Mindestbedarf an Taubblindenassistenz. Berlin. (08.01.2025)rehadat.link/tbl2022 (PDF)
- [11] GFTB – Beschlüsse zu Bildung und Assistenz.[Website]. (08.01.2025)rehadat.link/tbl2021
- [12] Prävalenz von Taubblindheit und Hörsehbehinderung im Kindes- und Jugendalter. Zeitschrift für Heilpädagogik (66), 142-150. (08.01.2025)
- [13] Taubblindheit/Hörsehbehinderung bei Menschen mit komplexer Behinderung. [Internetartikel]. (08.01.2025)rehadat.link/tblnekob
- [14] Das Usher – Syndrom Eine erworbene Hörsehbehinderung. Grundlagen, Ursachen, Hilfen. Fachbuch, 14-26. (08.01.2025)
- [15] Versorgungsmedizin-Verordnung – VersMedV. (2008, 10. Dezember).(BGBl. I S. 2412). [Link führt zur aktuellen Fassung der Verordnung.]. (10.09.2024)rehadat.link/wrversmedv
- [16] Menschen mit angeborener Taubblindheit/Hörsehbehinderung – Oft vergessen, doch auch auf Taubblinden-Assistenz angewiesen.Taubblinden-Assistenz. Ein Lehrbuch, 65-75, Heidelberg.
- [17] Frühförderung von Kindern mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung. Unterstützte Kommunikation.Fachzeitschrift der Gesellschaft für Unterstützte Kommunikation e. V. (3), 15-25.
- [18] Hilfsmittel-Richtlinie. Richtlinie über die Verordnung von Hilfsmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung – HilfsM-RL.Berlin. [Link führt zur aktuellen Fassung der Richtlinie.]. (11.09.2024)rehadat.link/hilfsmrl
- [19] Taubblinden-Assistenz-Verband e. V.(10.01.2025)rehadat.link/tbltba
- [20] Bundesverband der Gebärdensprachdolmetscherinnen und Gebärdensprachdolmetscher Deutschlands e. V. (BGSD) .(14.01.2025)rehadat.link/bgsd
- [21] Bundesverband der Schriftdolmetscherinnen und Schriftdolmetscher Deutschlands e. V. (BSD).(14.01.2025)rehadat.link/bsd-ev
- [22] Homeoffice.[Website]. (14.01.2025)rehadat.link/tblbmas-homeoffice
- [23] Gesetzliche Regelungen zum Einsatz von Blindenführ- und Assistenzhunden.(Wissenschaftlichen Dienste Fachbereich WD 6, Aktenzeichen: WD 6-3000-075/18). (14.01.2025)rehadat.link/tbldtbundestag (PDF)
- [24] Arbeitsassistenz.[Website]. (14.01.2025)rehadat.link/tblarbeitsassistenz
- [25] Arbeitserprobung: Aus der Erwerbsminderungsrente zurück in den Beruf.[Website]. (15.01.2025)rehadat.link/tblinfoarbeit
Impressum
Perspektiven im Job SINN-voll nutzen
Wie sich die berufliche Teilhabe von Menschen mit Taubblindheit und Hörsehbehinderung gestalten lässt
REHADAT-Wissen, Ausgabe 16
Herausgeber
© 2025 Institut der deutschen Wirtschaft Köln e. V.
REHADAT
Postfach 10 19 42, 50459 Köln
Konrad-Adenauer-Ufer 21, 50668 Köln
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Autorin & Autor
Thomas Kaul, Anne Gelhardt, Anne Witte, Antoinette Brücher, Bastian Hardt, Benno Hermes, Carolin Gravel, Lisa Stockleben, Nele Büchler (Team Projekt EMPLOY, Universität zu Köln)
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REHADAT-Wissen
Die Reihe REHADAT-Wissen wird von REHADAT, dem zentralen unabhängigen Informationsangebot zur beruflichen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen, erstellt. REHADAT ist ein Projekt des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln e. V., gefördert durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) aus dem Ausgleichsfonds.
Broschüre
ISSN 2940-1550
Zitiervorschlag
REHADAT (2025): Perspektiven im Job SINN-voll nutzen. Wie sich die berufliche Teilhabe von Menschen mit Taubblindheit und Hörsehbehinderung gestalten lässt. (=REHADAT-Wissen, Ausgabe 16). Köln. Online abrufbar unter: https://www.rehadat-wissen.de/ausgaben/16-tbl-und-hsb/ [Abrufdatum].