Vorwort
Die meisten Menschen wissen aus eigener Erfahrung, wie wichtig Arbeit für die Lebensqualität ist. Arbeit zu haben, hat deutlich positive Auswirkungen auf Selbstbestimmung, Selbstbewusstsein, Einkommen und gesellschaftliche Teilhabe. Wenn Krankheit, Unfall oder Behinderungen zu einer dauerhaften Einschränkung führen, kann die Teilhabe am Arbeitsleben gefährdet sein.
Gut informierte Unternehmen können durch die Schaffung passender Rahmenbedingungen Beschäftigte stärkenorientiert einsetzen und qualifizierte Fachkräfte halten oder neu einstellen. Eine Behinderung oder chronische Erkrankung im Arbeitsleben und erfolgreiche berufliche Teilhabe schließen sich nicht gegenseitig aus.
Die Reihe REHADAT-Wissen gibt praxisnahe Tipps und konkrete Handlungsempfehlungen zum Umgang mit einzelnen Behinderungen und chronischen Erkrankungen im Berufsleben. Dazu gehört sowohl Basiswissen zu Behinderungen und chronischen Erkrankungen als auch die Darstellung von Lösungen für die individuelle Arbeitsgestaltung in Unternehmen.
REHADAT-Wissen richtet sich an alle im Unternehmen Beteiligten und legt den Fokus auf schnelle verständliche Orientierung und engen Praxisbezug.
Wir hoffen, dass unsere Hinweise nützlich sind und dabei unterstützen, einen inklusiven Arbeitsalltag zu gestalten.
Ihre
Andrea Kurtenacker
Projektleiterin REHADAT
Ihr
Christoph Beyer
Vorsitzender der BIH
Zusammenfassung
- Die Broschüre „Ich vertraue auf mein Bauchgefühl” ist eine umfassende Publikation, die sich auf die Auswirkungen von chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) im Berufsleben konzentriert. Sie behandelt die Krankheitsbilder von Morbus Crohn und Colitis ulcerosa, die typischerweise chronisch verlaufen und durch entzündliche Prozesse im Verdauungstrakt gekennzeichnet sind.
- Der Leitfaden wendet sich an Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, Arbeitsmedizinerinnen und Arbeitsmediziner, Beschäftigte mit CED, sowie deren Vorgesetzte, Kolleginnen und Kollegen, Therapeutinnen und Therapeuten und Fachleute, die sich für die berufliche Inklusion von Menschen mit CED einsetzen. Er bietet praktische Tipps und Unterstützung für die Beschäftigung und Ausbildung von Personen mit CED und erläutert die spezifischen Herausforderungen, die im Arbeitsalltag mit dieser Erkrankung zu berücksichtigen sind.
- Eine umfassende REHADAT-Umfrage unter 451 Betroffenen erforschte die wesentlichen Aspekte der Arbeitsrealität von Menschen mit CED. Die Ergebnisse beleuchten die vielfältigen Herausforderungen, mit denen Menschen mit CED im Berufsleben konfrontiert sind, und bieten Einblicke in Möglichkeiten, die Arbeitsumgebung entsprechend ihren Bedürfnissen anzupassen.
- Zusätzlich zu den Ergebnissen der Umfrage stellt die Broschüre praktische Lösungen und unterstützende Maßnahmen für die Arbeitsorganisation vor, um die berufliche Teilhabe von CED-Betroffenen zu verbessern und deren Arbeitsplätze zu erhalten. Dazu gehören unter anderem flexible Arbeitszeiten, die Möglichkeit für Homeoffice, Anpassung der Arbeitsplatzumgebung, sowie eine offene Kommunikation mit Kolleginnen und Kollegen und Vorgesetzten, um ein besseres Verständnis für die Erkrankung zu schaffen. Diese Maßnahmen zielen darauf ab, den Arbeitsplatz für Betroffene komfortabler und zugänglicher zu gestalten und ihre berufliche Teilhabe zu unterstützen.
- Die Broschüre enthält zudem Interviews und Aussagen von Betroffenen und deren Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern sowie von Expertinnen und Experten. Diese bieten wertvolle Einblicke in den Arbeitsalltag von Menschen mit CED und zeigen Wege auf, wie der berufliche Wiedereinstieg und eine nachhaltige Teilhabe am Arbeitsleben für diese Personengruppe erfolgreich umgesetzt werden können.
1 »Durch dick und dünn«
Erkrankung und Behinderung
1.1 Was ist CED?
Die Erkrankung CED sollte öffentlich bekannter werden. Viel mehr aufklären, damit man weiß, was CED überhaupt ist! Denn es ist eben nicht nur „das bisschen Bauchweh“ oder „Magen-Darm hatte ich letztens auch mal“. Es steckt so viel mehr dahinter. Mehr Symptome, mehr Auswirkungen der Symptome, mehr Medikamente, mehr Nebenwirkungen, mehr Nebenbaustellen wie Psyche, Fatigue, rheumatische Erkrankungen etc. Auch der zeitliche und finanzielle Aufwand in Schubphasen ist nicht unerheblich. Es gehört so viel mehr dazu, als sich nur auf der Couch ausruhen zu müssen.
Zitat einer befragten Person der REHADAT-Umfrage „CED im Arbeitsleben“ (Quelle: ).
Unter chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (kurz CED) werden wiederkehrende oder kontinuierlich verlaufende entzündliche Veränderungen des Verdauungstrakts zusammengefasst. Die beiden häufigsten CED sind Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. Weitere seltene Erkrankungsformen stellen beispielsweise die Colitis indeterminata oder die mikroskopische Kolitis dar. Nach derzeitigem Wissensstand gelten CED als nicht heilbar. Inzwischen gibt es jedoch eine enorme Bandbreite an wirksamen Medikamenten, welche die Krankheitsaktivität in vielen Fällen erfolgreich minimieren können. Dennoch begleiten einen chronisch-entzündliche Darmerkrankungen häufig ein ganzes Leben lang .
Obwohl Morbus Crohn und Colitis ulcerosa oftmals ein ähnliches Erscheinungsbild haben, lassen sie sich in der Regel aus medizinischer Sicht klar unterscheiden: Beim Morbus Crohn handelt es sich um eine Entzündung, die im gesamten Magen-Darm-Trakt, von der Mundhöhle bis zum After, auftreten und alle Darmwandschichten befallen kann. Charakterisierend für den Morbus Crohn ist der segmentale Befall. Es können gleichzeitig mehrere Abschnitte betroffen sein, welche von gesunden Abschnitten getrennt werden. Bevorzugt befallen sind der untere Dünndarm (terminales Ileum) sowie der Dickdarm, seltener Speiseröhre und Mund. Benannt ist die Erkrankung nach dem amerikanischen Magen- und Darm-Spezialisten Burrill Bernard Crohn (1884-1983), der das Krankheitsbild erstmalig beschrieb .
Die häufigsten Formen der CED
Morbus Crohn
Beim Morbus Crohn kann der gesamte Verdauungstrakt betroffen sein. Charakterisierend für den Morbus Crohn ist der segmentale Befall. Es können gleichzeitig mehrere Abschnitte betroffen sein, welche von gesunden Abschnitten getrennt werden. Häufig befallen sind der untere Dünndarm (terminales Ileum), sowie der Dickdarm, seltener Speiseröhre und Mund.
Colitits ulcerosa
Die Colitis ulcerosa befällt den Dickdarm und die oberste Schleimhautschicht. Die kontinuierliche Ausbreitung der Erkrankung beginnt typischerweise im Mastdarm. Es entstehen Geschwüre (Ulcera) im Darm, welche der Erkrankung ihren Namen geben.
Gelten CED als Behinderung?
Die vielfältigen Symptome einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung (CED) können mit einer starken Einschränkung der Lebensqualität einhergehen und häufig zu einer Arbeitsunfähigkeit auf unbestimmte Zeit führen.
Viele an CED erkrankte Menschen sind im sozialrechtlichen Sinne „von Behinderung bedroht“. Einige haben bereits einen nach Schwerbehindertenrecht festgestellten Status der Behinderung erlangt und dadurch Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben.
Mehr zur Feststellung der Behinderung nach dem Schwerbehindertenrecht und dem Grad der Behinderung (GdB) bei CED erfahren Sie in Kapitel 1.6 Anerkennungsverfahren.
Definition von Behinderung
Im Sozialrecht versteht man unter „Behinderungen“ die Auswirkungen gesundheitlicher Beeinträchtigungen auf die soziale Teilhabe.
Es werden drei Kategorien von Behinderungen (beziehungsweise leistungsberechtigte Personengruppen) unterschieden:
- „von Behinderung bedroht“ (bei länger andauernden gesundheitlichen Problemen, wie nach Arbeitsunfall oder bei chronischer Erkrankung),
- (amtlich anerkannt) „behindert“,
- amtlich anerkannt „schwerbehindert“ und „schwerbehinderten Menschen gleichgestellt“.
Je nach Ausmaß der Beeinträchtigungen haben Menschen einen Anspruch auf
- Rehabilitationsleistungen und/oder präventiv wirkende Leistungen,
- behinderungsausgleichende oder aber
- besondere unterstützende Leistungen und Hilfen im Arbeitsleben.
Ziel aller Leistungen ist es, eine „Verbesserung der Teilhabe“ zu erreichen, das heißt, Leistungen sollen dazu beitragen, die Leistungsfähigkeit der Leistungsberechtigten zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen und auf Dauer zu sichern. Sie dienen dazu, Arbeit so zu gestalten, wie es für die volle berufliche Teilhabe erforderlich ist.
Grundlage für dieses Verständnis von „Behinderung“ sind die Begriffsbestimmungen in § 2 SGB IX (Sozialgesetzbuch Neuntes Buch).
1.2 Zahlen und Fakten
Die Häufigkeit chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen (CED), wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa, hat seit dem 19. Jahrhundert in den Industrieländern kontinuierlich zugenommen. In Deutschland sind schätzungsweise mehr als 400.000 Menschen von einer CED betroffen. Die zunehmende Inzidenz wird inzwischen auch im asiatischen Raum beobachtet , .
Eine britische Studie beschreibt für den Zeitraum von 2000 bis 2017 einen Zuwachs von Patientinnen und Patienten mit Colitis ulcerosa um 55 Prozent, bei Morbus Crohn sogar um 83 Prozent. Die CED-Prävalenz ist damit dreimal so hoch wie in früheren Schätzungen. Zudem prognostizieren die Expertinnen und Experten, dass diese Zahlen bis zum Jahr 2025 um ein weiteres Viertel ansteigen werden .
Darüber hinaus zeigen Studien, dass die Häufigkeit der Erkrankungen mit einem höheren Lebensstandard und verbesserten hygienischen Bedingungen zunimmt. Die meisten Neuerkrankungen werden dabei zwischen dem 16. und 35. Lebensjahr diagnostiziert, wobei Männer und Frauen etwa gleich häufig betroffen sind. Interessanterweise erkranken Einzelkinder häufiger als Kinder mit Geschwistern .
Bei jungen Patientinnen und Patienten sind die Entzündungsaktivität, Schmerzen und Beeinträchtigungen der Lebensqualität oft deutlich ausgeprägter. Im Laufe des Lebens nimmt jedoch in der Regel die Entzündungsaktivität ab. Personen, die im höheren Lebensalter erstmals an einer CED erkranken, haben im Durchschnitt leichtere Verläufe .
1.3 Mögliche Ursachen und Risikofaktoren
Eine Hauptfunktion des menschlichen Darms ist die Verdauung der zugeführten Nahrung. Die Darmschleimhaut, auch Mukosa genannt, verhindert dabei, dass schädliche Stoffe in tiefere Gewebeschichten oder ins Blut gelangen.
Wenn diese Schutzschicht geschwächt ist, können Bakterien in die darunter liegenden Wandschichten eindringen und Entzündungen verursachen. Sobald der Organismus nicht mehr in der Lage ist, Entzündungen zu regulieren, können diese chronisch werden und zu schweren Schäden an der Darmwand führen .
Die genauen Ursachen für das Entstehen einer CED sind weiterhin unklar. Laut aktuellem Kenntnisstand handelt es sich um multifaktorielle Erkrankungsbilder, welche durch das Zusammenwirken mehrerer Faktoren entstehen , .
Darunter fallen:
- genetische Veranlagung,
- Rauchen,
- Ernährung,
- Hygiene und
- die Zusammensetzung der Darmflora, das sogenannte Mikrobiom.
Ferner können psychische Faktoren einen erheblichen Einfluss auf den Verlauf einer CED haben. Jedoch sind frühere Vermutungen, dass psychische Erkrankungen für die Entstehung einer CED verantwortlich sind, nicht mit dem heutigen Stand der medizinischen Forschung vereinbar.
1.4 Symptome
Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED) variieren sowohl in Ausprägung als auch im Krankheitsverlauf. Darüber hinaus haben Menschen unterschiedliche Schmerzempfindungen, sodass jeder Krankheitsfall individuell zu betrachten ist. Die Grunderkrankungen Morbus Crohn und Colitis ulcerosa sind im eigentlichen Sinne gutartig und verlaufen nicht tödlich. Jedoch können in seltenen und insbesondere unbehandelten Fällen Komplikationen auftreten, die wiederum lebensbedrohlich sind.
Charakteristisch für Morbus Crohn sind Schmerzen im rechten Unterbauch, Müdigkeit und Durchfälle, die meistens unblutig sind. Damit einhergehend kann ein Gewichtsverlust stattfinden und Übelkeit oder Erbrechen, aber auch unklares Fieber auftreten. Eine verminderte Aufnahme von Nährstoffen aus dem Darm kann, insbesondere bei Entzündungen im Dünndarm, in einer Mangel- oder Unterernährung resultieren. Durch die Entzündungen können Schwellungen und Narbenbildungen entstehen, die das Hohlorgan verengen. Im Extremfall kann eine Darmverengung (Stenose) einen Darmverschluss verursachen, welcher umgehend behandelt und oftmals chirurgisch entfernt werden muss. Darüber hinaus können sich Verbindungsgänge des Darms zu angrenzenden Organen bilden. Diese sogenannten Fisteln, welche oftmals Abszesse bedingen, können medikamentös oder operativ entfernt werden .
Bei der Colitis ulcerosa sind ebenfalls Bauchschmerzen, aber auch blutige Durchfälle, drängender Stuhlgang bis hin zu Inkontinenz gängige Symptome. Die Blutungen können so stark sein, dass Bluttransfusionen erforderlich werden. Das Risiko für ein Kolonkarzinom (Dickdarmkrebs) ist bei Colitis ulcerosa erhöht. Eine gefürchtete Komplikation stellt das toxische Megakolon dar. Dabei geht die Beweglichkeit des Darms verloren, sodass es zu einer übermäßigen Erweiterung des Hohlhorgans kommt, welche in einer Darmperforation (Darmdurchbruch) enden kann. Dieses Erkrankungsbild muss sofort intensivmedizinisch behandelt werden. Aufgrund deutlich verbesserter, medikamentöser Behandlungsoptionen treten Darmperforationen nur noch selten auf .
Neben dem Dick- und/oder Dünndarm können bei beiden Krankheitsbildern andere Organe betroffen sein. In diesen Fällen spricht man von extraintestinalen Manifestationen. Diese betreffen unter anderem: Gelenke, Haut, Augen, Leber oder Gallenwege. Insgesamt treten extraintestinale Manifestationen eher bei Morbus Crohn auf .
Der Short Inflammatory Bowel Disease Questionnaire
Der Short Inflammatory Bowel Disease Questionnaire (SIBDQ) erfasst durch 10 Items verschiedene Aspekte, die die Lebensqualität von Menschen mit CED beeinflussen. Diese Items repräsentieren Darmbeschwerden, systemische Symptome, Stimmungslage und Alltagsfunktionen. Durch gezielte Fragen zu diesen Bereichen ermöglicht der SIBDQ eine präzise Einschätzung der physischen und psychosozialen Auswirkungen von CED. Die Bewertung dieser Faktoren trägt dazu bei, den Krankheitsverlauf besser zu verfolgen, individuelle Therapieansätze anzupassen und die Lebensqualität der Betroffenen effektiv zu verbessern. Somit dient der SIBDQ als nützliches Instrument, um ein umfassendes Bild von den Herausforderungen zu zeichnen, mit denen Betroffene konfrontiert sind .
1.5 Diagnose
Grundsätzlich gilt: Die Unterscheidung zwischen Morbus Crohn und Colitis ulcerosa kann manchmal schwierig oder unmöglich sein.
Die Diagnosestellung einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung (CED) ist unerlässlich, um eine zielgerichtete Therapie einzuleiten und den Verlauf der Erkrankung zu überwachen. Die Diagnosekriterien für CED sind in medizinischen Leitlinien festgelegt. Die S3-Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) von 2021 empfehlen eine Kombination aus Anamnese, körperlicher Untersuchung, Laboruntersuchungen, Endoskopie und bildgebenden Verfahren zur Diagnosestellung von CED , .
Zur Anamnese gehört eine ausführliche Befragung der Patientinnen oder Patienten zu ihren Symptomen, ihrem Krankheitsverlauf und familiären Vorbelastungen.
Die körperliche Untersuchung umfasst die Inspektion des Abdomens und des Rektums, um Anzeichen von Entzündungen zu erkennen. Mit regelmäßigen Laboruntersuchungen können erhöhte Entzündungsmarker im Blut wie CRP oder Leukozytose ermittelt werden. Darüber hinaus können Biomarker in Stuhluntersuchungen (Calprotectin) Hinweise auf Krankheitsaktivität geben und als Verlaufskontrolle dienen.
Neben der Kontrolle von Laborwerten sind bildgegebende, endoskopische Verfahren unerlässlich. Die Endoskopie ist ein wichtiger Bestandteil der Diagnosestellung von CED. Sie ermöglicht die direkte Untersuchung der Darmschleimhaut sowie die Entnahme von Gewebeproben zur histologischen Untersuchung. Weitere bildgebende Verfahren wie Sonographie (Ultraschall), Magnetresonanztomographie (MRT) oder Kapselendoskopien können zur Diagnosestellung und Verlaufskontrolle eingesetzt werden, insbesondere bei Erkrankung des Dünndarms.
Die oben genannten Untersuchungsmethoden helfen, insbesondere in Kombination, herauszufinden, welcher Bereich des Darms betroffen ist. So ist eine bessere und genauere Behandlung möglich.
Leitlinien
Leitlinien sind medizinisch-wissenschaftliche Handlungsempfehlungen zur Feststellung und Behandlung verschiedener Erkrankungen. Sie richten sich unter anderem an Ärztinnen und Ärzte sowie an Betroffene. Leitlinien werden regelmäßig von Fachgruppen aktualisiert.
Die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) hat eine S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des Morbus Crohn herausgegeben, die zuletzt im August 2021 aktualisiert wurde. Diese Leitlinie enthält außerdem eine Ergänzung für die COVID-19-Pandemie.
Eine S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der Colitis ulcerosa gibt es ebenfalls. Sie wurde im Februar 2023 aktualisiert.
Aktuelle Leitlinien Morbus Crohn und Colitis ulcerosa
1.6 Therapie
Bis heute ist die Ursache chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen (CED) ungeklärt.
Dementsprechend kann nicht kausal behandelt werden. Die Therapie von CED zielt im Allgemeinen darauf ab, die Entzündungen im Darm zu kontrollieren und Symptome wie Bauchschmerzen, Durchfall und Blutungen, etc. zu reduzieren. Die Therapiemaßnahmen hängen von der Schwere der Erkrankung und den individuellen Bedürfnissen der betroffenen Person ab. Mit Hilfe von innovativen, sowie altbewährten Medikamenten können die Krankheitsschübe oftmals in Häufigkeit und Schwere reduziert werden .
Zu den Standardbehandlungen gehören entzündungshemmende Medikamente wie Mesalazine und Immunsuppressiva, die das Immunsystem beeinflussen und Entzündungen reduzieren können. Biopharmazeutika, auch Biologika genannt, stellen eine weitere, effektive Klasse von Medikamenten dar, die unter anderem speziell für die Behandlung von CED entwickelt wurden. Darüber hinaus können Antibiotika sowie Antidiarrhoika eingesetzt werden.
Die Gabe der verschiedenen Medikamente ist, in Anbetracht des Riskio-Nutzen-Profils, abhängig von der Entzündungsaktivität und Komplikationsrisiken, aber auch davon, welche Abschnitte des Darms betroffen sind und ob ein akuter Schub oder eine Behandlung zwischen den Schüben erfolgt.
Neben der medikamentösen Therapie können auch Änderungen der Ernährung und des Lebensstils unterstützend helfen. Hierbei kann z. B. eine spezialisierte Ernährungsberatung das Wohlbefinden stärken .
In schweren Fällen von CED, die nicht auf die Standardtherapie ansprechen, kann eine Operation erforderlich sein. Eine Operation kann bei Morbus Crohn helfen, geschädigte Darmabschnitte zu entfernen, während bei Colitis ulcerosa eine Entfernung des gesamten Dickdarms und des Mastdarms (Proktokolektomie) notwendig sein kann. Die Colitis ulcerosa gilt durch die Entfernung des Dickdarms als geheilt, obgleich in seltenen Fällen Komplikationen wie z. B. eine entzündliche Erkrankung im künstlichen Enddarm (Pouchitis) auftreten können. Bei Morbus Crohn besteht ein Rückfallrisiko nach Entfernung der betroffenen Darmabschnitte .
Auf den Punkt gebracht
- Die häufigsten CED sind Morbus Crohn und Colitis ulcerosa.
- Es wird geschätzt, dass weltweit etwa 3 Millionen Menschen an einer CED leiden, davon 400.000 in Deutschland.
- Die Inzidenz von CED ist in den letzten Jahrzehnten gestiegen.
- Männer und Frauen sind etwa gleich häufig betroffen.
- Das Durchschnittsalter bei der Diagnose von CED liegt bei 30 Jahren.
- Die genaue Ursache von CED ist noch nicht vollständig verstanden, aber es wird vermutet, dass sowohl genetische Faktoren als auch Umweltfaktoren eine Rolle spielen.
- CED können zu Schmerzen, Durchfällen, Müdigkeit und Gewichtsverlust führen und in schweren Fällen auch zu Komplikationen wie Darmverschluss, Dehydration und Untergewicht.
- Die Behandlung von CED umfasst in der Regel Medikamente, die die Entzündung eindämmen und Symptome lindern, sowie operatives Eingreifen.
- Durch das junge Erkrankungsalter sind die meisten Betroffenen während ihrer gesamten beruflichen Laufbahn von einer CED betroffen.
1.7 Anerkennungsverfahren
Die amtlich festgestellte Behinderung / Grad der Behinderung (GdB)
Menschen mit Behinderungen oder Erkrankungen können bei ihrem Versorgungsamt einen Antrag auf Feststellung der Behinderung nach dem Schwerbehindertenrecht stellen. Der amtlich festgestellte Grad der Behinderung (GdB) sagt nichts aus über die Leistungsfähigkeit in Arbeit und Beruf, sondern bezieht sich grundsätzlich auf die Auswirkungen von Funktionseinschränkungen auf die Teilhabe an allen wichtigen Lebensbereichen.
Auch bei chronischen Erkrankungen wie Asthma, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Rheuma, Schlaganfall, Multipler Sklerose, Chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED), starken Rückenleiden oder Krebserkrankungen kann ein GdB anerkannt werden. Faustregel: Als schwer chronisch krank gilt, wer mindestens einmal im Vierteljahr auf eine ärztliche Behandlung angewiesen ist.
Wo gibt es Antragsformulare?
Das Formular zur Feststellung einer Behinderung ist beim zuständigen Amt der Versorgungsverwaltung oder online erhältlich. Der Antrag auf Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen kann bei der Agentur für Arbeit online ausgefüllt werden (siehe Mehr zum Thema).
Das Amt bestimmt den GdB anhand medizinischer Gutachten und anhand der GdS-Tabelle* der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VMG). Liegen mehrere Beeinträchtigungen vor, wird der sogenannte Gesamt-GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit festgestellt, wobei deren wechselseitige Beziehungen berücksichtigt werden. (Es erfolgt keine Addierung von Einzel-GdB).
Der GdB reicht auf einer zehnstufigen Skala von 20 bis 100.
- Ab einem GdB von 50 gelten Menschen als „schwerbehindert“; sie erhalten einen Schwerbehindertenausweis sowie bestimmte Merkzeichen.
- Mit einem GdB von 30 bis 40 ist es möglich, die Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen bei der Agentur für Arbeit zu beantragen.
*In den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VMG) wird die GdB-Tabelle als „GdS-Tabelle“ bezeichnet. In der Praxis besteht zwischen beiden Bezeichnungen kein wesentlicher Unterschied (sowohl GdB als auch GdS werden anhand derselben Tabelle ermittelt). Nach Schwerbehindertenrecht wird der Grad der Behinderung (GdB) ermittelt, daher heißt es hier „GdB-Tabelle“; nach sozialem Entschädigungsrecht wird der Grad der Schädigungsfolgen (GdS) ermittelt, daher heißt es dort „GdS-Tabelle“.
Ein feiner Unterschied besteht darin, dass sich der ermittelte GdS ausschließlich auf die Schädigungsfolgen (beispielsweise nach einem Arbeitsunfall) bezieht (er also „kausal“ betrachtet wird), während sich der GdB auf alle Gesundheitsstörungen bezieht, unabhängig von ihrer Ursache (er also „final“ betrachtet wird).
GdB-abhängige Nachteilsausgleiche
Im Arbeitsleben stehen Menschen mit anerkannter (Schwer-)Behinderung und ihren Arbeitgebenden bestimmte GdB-abhängige Nachteilsausgleiche zu: beispielsweise die Betreuung durch spezielle Fachdienste, Hilfen zur behinderungsgerechten Arbeitsplatzausstattung oder Lohnkostenzuschüsse.
Auch gleichgestellte Menschen mit Behinderung (die ohne die Gleichstellung keinen Arbeitsplatz erlangen würden oder bei denen das Risiko besteht, ohne Gleichstellung den Arbeitsplatz zu verlieren) und ihre Arbeitgebenden haben Anspruch auf bestimmte Leistungen.
Schon gewusst?
Junge Menschen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen werden während einer betrieblichen Ausbildung auch dann gleichgestellt, wenn ihr GdB unter 30 liegt oder kein GdB festgestellt ist. So können Unternehmen Prämien und Zuschüsse zu den Kosten der Berufsausbildung erhalten, wenn sie junge Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen ausbilden (§ 185 Abs. 3 Nr. 2c SGB IX). Darüber hinaus kann der ausbildende Betrieb schwerbehinderte oder gleichgestellte Auszubildende zur Erfüllung seiner Beschäftigungspflicht auf zwei Pflichtarbeitsplätze anrechnen.
GdB-abhängige Leistungen auf einen Blick
sb=schwerbehindert; gl=gleichgestellt; AG=Arbeitgebende
Leistung | schwerbehinderte Menschen | gleichgestelle Menschen | AG |
---|---|---|---|
Finanzielle Leistungen / Begleitende Hilfe im Arbeitsleben | Ja✔ | Ja✔ | Ja✔ |
Betreuung durch spezielle Fachdienste | Ja✔ | Ja✔ | Ja✔ |
Hilfen zur Arbeitsplatzausstattung | Ja✔ | Ja✔ | Ja✔ |
Lohnkostenzuschüsse | Ja✔ | Ja✔ | Ja✔ |
Anrechnung auf Pflichtarbeitsplätze | Ja✔ | Ja✔ | Ja✔ |
Besonderer Kündigungsschutz | Ja✔ | Ja✔ | Nein |
Freistellung von Mehrarbeit | Ja✔ | Ja✔ | Nein |
Kraftfahrzeughilfe für den Arbeitsweg | Ja✔ | Ja✔ | Nein |
Teilnahme an der Wahl der SBV | Ja✔ | Ja✔ | Nein |
Zusatzurlaub | Ja✔ | Nein | Nein |
Schwerbehindertenausweis & Merkzeichen | Ja✔ | Nein | Nein |
Unentgeltliche Beförderung mit Bus & Bahn | Ja✔ | Nein | Nein |
Vorgezogene Altersrente | Ja✔ | Nein | Nein |
GdB bei CED
Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED) können zu derart gravierenden Einschränkungen führen, dass ein Grad der Behinderung (GdB) oder Grad der Schädigungsfolgen (GdS) festgestellt werden kann. Speziell für die Grunderkrankungen Colitis ulcerosa und Morbus Crohn, aber auch operativen Folgen wie einem künstlichen Darmausgang (Stoma) existieren Anhaltspunkte, nach denen sich das Versorgungsamt bei der Ermittlung des GdB richtet.
Die nachstehend genannten GdB/GdS-Sätze dienen ledglich als Anhaltswerte. Das Versorgungsamt muss zur Feststellung des GdB immer alle Funktionsbeeinträchtigungen und Einschränkungen der Teilhabe im Einzelfall berücksichtigen .
Colitis ulcerosa und Morbus Crohn mit | GdB/GdS |
---|---|
... geringer Auswirkung (geringe Beschwerden, keine oder geringe Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustands, selten Durchfälle) | 10-20 |
... mittelschwerer Auswirkung (häufig rezidivierende oder länger anhaltende Beschwerden, geringe bis mittelschwere Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustands, häufiger Durchfälle) | 30-40 |
... schwerer Auswirkung (anhaltende oder häufig rezidivierende erhebliche Beschwerden, erhebliche Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustands, häufige, tägliche, auch nächtliche Durchfälle) | 50-60 |
... schwerster Auswirkung (häufig rezidivierende oder anhaltende schwere Beschwerden, schwere Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustands, ausgeprägte Anämie) | 70-80 |
Fisteln, Stenosen, postoperative Folgezustände (z. B. Kurzdarmsyndrom, Stomakomplikationen), extraintestinale Manifestationen (z. B. Arthritiden), bei Kindern auch Wachstums- und Entwicklungsstörungen, sind bei CED zusätzlich zu bewerten.
Aus der REHADAT-Umfrage zum Antrag auf GdB
- 220 (48,8 %) der 451 Befragten mit CED hatten zum Zeitpunkt der Befragung einen Antrag auf Feststellung einer Behinderung gestellt.
- Bei 189 (41,9 %) der Antragstellenden wurde ein GdB anerkannt, 5,8 % warteten noch auf einen Bescheid.
- Der Anteil derjenigen mit Anspruch auf einen Schwerbehindertenausweis und damit auf besondere Nachteilsausgleiche (GdB > 50) betrug 19,9 %.
- Der Anteil derjenigen mit einem GdB von 30 oder 40 (Antrag auf Gleichstellung zum Ausgleich von Nachteilen im Arbeitsleben möglich) betrug 16,4 %.
Was tun bei Antragsablehnung?
Wenn der Antrag abgelehnt wurde oder ihm nicht im geforderten Umfang stattgegeben wurde, kann gegen den Bescheid innerhalb eines Monats Widerspruch eingelegt werden. Das Versorgungsamt muss den Bescheid (für Betroffene kostenfrei) noch einmal prüfen. Sollte auf den Widerspruch kein Abhilfebescheid, sondern ein Widerspruchsbescheid folgen, kann innerhalb eines Monats beim Sozialgericht des eigenen Wohnsitzes die Klage eingereicht werden. Mitglieder des DCCV. e.V. können durch den Verein sozialrechtliche Beratung in Anspruch nehmen.
Erwerbsminderung bei CED?
Die chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) sind mit gerade einmal 0,03 Prozent an den Rentenleistungen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach SGB VI beteiligt inkl. persönlicher Auskunft von Herrn Hofmann, Verantwortlicher des Statistikportals der Deutschen Rentenversicherung.
Grundsätzlich gilt aber: Wenn Personen die Regelaltersgrenze noch nicht erreicht haben und nicht mehr oder nur noch in geringem Umfang arbeitsfähig sind, können sie bei der gesetzlichen Rentenversicherung eine Erwerbsminderungsrente beantragen.
- Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung wird gewährt, wenn die Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter 6 Stunden, aber noch über 3 Stunden liegt.
- Rente wegen voller Erwerbsminderung wird gewährt, wenn die Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bei nur noch unter 3 Stunden täglich liegt.
Daneben müssen weitere Voraussetzungen vorliegen:
- Vor Eintritt der Erwerbsminderung muss die Mindestversicherungszeit von 5 Jahren erfüllt sein und
- in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung müssen mindestens 3 Jahre Pflichtbeiträge gezahlt worden sein.
Besondere Regelungen gibt es für Personen,
- die bereits vor 1984 die Mindestversicherungszeit von 5 Jahren nachweisen können und seit 1984 bis zum Eintritt der Erwerbsminderung durchgehend rentenversichert sind,
- für Berufsanfängerinnen und Berufsanfänger sowie
- für Menschen, die von Geburt an mit Behinderungen leben und in einer geschützten Einrichtung arbeiten.
2 »Meine Arbeit ist mir wichtig«
Mit CED im Job
2.1 Auswirkungen auf das Arbeitsleben
Ich arbeite seit 2 Jahren im Homeoffice. Das nimmt mir die Last, nicht zu wissen, ob ich es ‚unfallfrei' zum Arbeitsplatz schaffe. Bedeutet aber auch soziale Vereinsamung.
Zitat einer befragten Person der REHADAT-Umfrage „CED im Arbeitsleben“ (Quelle: ).
Für Menschen mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) ist der Einfluss der Krankheit auf ihre berufliche Laufbahn eine konstante Realität, zumal, wenn diese schon in jungen Jahren beginnt. CED-Betroffene stehen im Arbeitsalltag vor verschiedenen Herausforderungen, welche sich von Person zu Person deutlich unterscheiden können und durch sehr individuelle Krankheitsbilder und -verläufe begründet sind. Es ist wichtig, diese Herausforderungen zu verstehen und geeignete Unterstützung am Arbeitsplatz anzubieten, um die Arbeitsfähigkeit von CED-Betroffenen zu fördern.
Welche Herausforderungen gibt es im Arbeitsalltag von CED-Betroffenen?
- Krankheitsschübe: Unvorhersehbare Schübe von Symptomen können zu Arbeitsausfällen führen.
- Symptom-Management: CED-Symptome wie Müdigkeit, Schmerzen oder Verdauungsprobleme können die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigen.
- Medizinische Termine: Regelmäßige Arztbesuche, Untersuchungen und Behandlungen erfordern zusätzliche Zeit und Organisation und bergen Stress- und Konfliktpotenzial.
- Stressbewältigung: Stressmanagement ist wichtig, da Stress CED-Symptome auslösen kann.
- Ernährungseinschränkungen: Spezielle Ernährungsanforderungen können die Auswahl von Mahlzeiten am Arbeitsplatz einschränken.
- Soziale Herausforderungen: Unverständnis oder Vorurteile von Kolleginnen und Kollegen oder Vorgesetzten, beispielsweise durch die Nicht-Sichtbarkeit der Erkrankung, können zu psychischem Stress führen. Darunter fällt auch das Verschweigen der Krankheit.
- Fatigue: Müdigkeit und Erschöpfung können zu verminderter Konzentration und Produktivität führen.
- Arbeitsplatzanpassungen: Anpassungen am Arbeitsplatz wie flexible Arbeitszeiten oder Zugang zu Toiletten können notwendig sein.
- Langfristige Unsicherheit: CED ist eine chronische Erkrankung, die langfristige Unsicherheit über den Verlauf mit sich bringt.
Die Work-Health Management Interference
Mithilfe der „Work-Health Management Interference“-Skala von McGonagle et al. (2020) wurden die Teilnehmenden der REHADAT-Umfrage zu CED im Arbeitsleben befragt, inwieweit ihre Arbeit den Umgang mit ihrer CED beeinträchtigt und umgekehrt. Acht Aussagen wurden auf einer fünfstufigen Likert-Skala von „stimme nicht zu“ bis „stimme zu“ bewertet. Die Auswertung ergab, dass knapp die Hälfte aller Befragten angab, dass die Arbeit mehr körperliche Energie verbrauchte, als für die Bewältigung der Krankheit benötigt wurde (49,4 Prozent). Darüber hinaus waren 62,6 Prozent der Befragten nach der Arbeit zu müde, um Dinge zu tun, die gut für den Umgang mit der Erkrankung sind. Arzttermine oder Behandlungen wurden aufgrund von Arbeitszeiten eher selten versäumt (7,6 Prozent), jedoch wurde die Planung von Arztbesuchen, Eingriffen oder Behandlungen durch die Arbeitszeiten erschwert (27,7 Prozent).
Abbildung 1: Work-Health Interference, n=451, gezählt wurden die Angaben „stimme eher zu“ und „stimme zu“, Angaben in Prozent (REHADAT, 2023)
Ist das Glas halb leer oder halb voll? Eine Sache der Perspektive
Ein Interview mit Jana Sophie Gottert
Jana Sofie Gottert
Jana arbeitet als Sekretärin in einem Steuerbüro in Berlin. Im Alter von 18 Jahren wurde bei ihr die Diagnose Colitis ulcerosa gestellt. Aufgrund der Schwere ihrer Erkrankung wurde bei Jana ein Grad der Behinderung (GdB) von 70 festgestellt.
Über Social Media bezieht Jana aktiv ihre Community in ihr Leben mit einer CED ein. Sie macht sich stark für Betroffene und bricht mit Tabus.
Wie hat sich die CED bei Dir zum ersten Mal bemerkbar gemacht?
Das war während meiner Abiturphase Anfang 2015. Das erste Symptom war eine extreme Erschöpfung bzw. Müdigkeit: das Fatigue Syndrom. Ich muss noch heute extrem gut haushalten mit meiner Energie, und es bleibt oft viel liegen. Man fühlt sich sowohl physisch als auch psychisch in Ketten gelegt. An manchen Tagen ist die Fatigue allein so schwer, dass ich deswegen arbeitsunfähig bin.
Das zweite Symptom war der Durchfall und die damit einhergehenden Schmerzen. Die Durchfälle wurden von Tag zu Tag mehr. Nach ein paar Wochen wurden meine Stuhlgänge blutig. Meine damalige Hausärztin stellte die Verdachtsdiagnose Colitis ulcerosa und überwies mich an einen CED-Spezialisten, bei dem ich bis heute in Behandlung bin. 2017 war ich bereits medikamentös austherapiert. Auch diverse komplementäre Behandlungsansätze brachten keinen Erfolg, sodass ich meinen Dickdarm entfernen lassen musste. Im Idealfall ist die Krankheit dann bewältigt, doch mein jetziger Status ist eine chronische antibiotikaresitente Pouchitis. Ich habe quasi wieder eine chronisch aktive Colitis, nur halt ohne Dickdarm. Ich bekomme wieder Biologika.
Welchen Einfluss hatte Deine Erkrankung auf die Berufswahl?
Nach dem Abitur habe ich ein Freiwilliges Soziales Jahr absolviert. Ich wollte im Anschluss Maskenbild studieren, doch allein die Aufnahmeprüfung (drei Tage in Dresden, eine Disziplin nach der anderen) zeigte mir, dass ich dieses Studium nicht schaffen kann, und mein großer Traum platzte. Wenige Wochen nach meiner letzten OP begann ich meine Ausbildung als Kauffrau für Büromanagement. Trotz Teilzeitausbildung eine anstrengende Zeit für Körper und Psyche. 2018 schloss ich meine Ausbildung ab, teilweise mit Bestnoten, teilweise mit unbefriedigend. Je nachdem, in welcher körperlichen Verfassung ich zur jeweiligen Prüfung antrat. Anschließend kündigte ich mein Arbeitsverhältnis bei meinem Ausbilder, weil dort sehr viel nicht gut lief und sich meine Erkrankung verschlechterte. Ich stellte mich bei meinem jetzigen Arbeitgeber und Chef vor und erzählte ihm alles: Wie es mir körperlich geht, dass ich viele Ausfallzeiten haben werde und auch, dass ich schwerbehindert bin. Er fragte mich, warum er mich denn einstellen sollte? Ich erklärte, dass ich gut in meinem Job bin und arbeiten möchte. Ich bin nett, fleißig, engagiert und empathisch. Er stellte mich ein, und sechs Monate später wurde ich übernommen, trotz starker gesundheitlicher Beschwerden und hohen Ausfallzeiten. Mein Chef freut sich über jeden Tag, an dem ich da bin und hat größtes Verständnis, wenn ich arbeitsunfähig bin. Daher bin ich grundsätzlich sehr glücklich mit meinem Arbeitgeber. In meiner Ausbildung wurde meine Arbeitsunfähigkeit als „Herausforderung“ betitelt. Nun ist es okay, wenn ich fehle. Meine Anwesenheit wird als „Bereicherung“ gesehen. Es passt ganz gut zur Metapher: Ist das Glas halb leer oder halb voll?
Was waren Deine ersten Erfahrungen mit der Erkrankung im Berufsleben?
Ich habe mich bewusst für eine Ausbildung im klassischen dualen System entschieden. Ich wollte möglichst viel Normalität in meinem Leben nach den Jahren im Krankheits-Chaos. Dennoch hatte ich mir das irgendwie anders vorgestellt, als es am Ende tatsächlich war. Ich war nicht die einzige Auszubildende und wurde immer wieder mit meinem gesunden Mit-Azubi verglichen. Als ich die erste Beurteilung bekam, war ich schockiert. Ich stand in allen Punkten 1 bis 2, nur im Punkt Fehlzeiten hatte ich eine 6. Das hat mich geärgert, denn die Quantität meiner Anwesenheit sagt nichts über die Qualität meiner Arbeit aus. Zumal ich trotz hoher Fehlzeiten insgesamt überdurchschnittliche Ergebnisse erzielte.
Auch während der Abiturphase gab es große Schwierigkeiten, so durfte ich während Klausuren nicht auf Toilette gehen. Ich musste mich erklären, dabei hat niemand hat ein Recht zu wissen, worin eine Schwerbehinderung begründet ist. Das ist Privatsphäre, teilweise Intimsphäre. Schade finde ich bis heute, dass man sich ein Verständnis oder besser Toleranz einholen muss, um Grundbedürfnisse als behinderter Mensch zugestanden zu bekommen oder keine Diskriminierung zu erfahren.
Wie reagiert(e) das Arbeitsumfeld auf Deine Erkrankung?
Mein Chef und viele meiner Kolleg*innen reagieren sehr verständnisvoll auf meine Erkrankung. Einzelne wenige verstehen es vielleicht nicht, wollen es vielleicht auch nicht verstehen. Alles in allem ist mein aktueller Arbeitgeber sehr sozial und verständnisvoll.
Wie wirkt sich die CED auf Deinen Arbeitsalltag aus?
Meine CED führt zu hohen Fehlzeiten. Manchmal kann ich das Haus nicht verlassen. Auch im Büro kommt es vor, dass ich häufiger und länger auf die Toilette gehen muss. Das kann auch schon mal eine halbe Stunde dauern. Ebenso habe ich mir den Job als Sekretärin ausgesucht, da es eine sitzende Tätigkeit ist und ich somit Kräfte sparen kann. Sonst habe ich nicht viele Einschränkungen auf der Arbeit, was meinem Arbeitgeber zu verdanken ist.
Was unterstützt Dich bei Deiner Arbeit besonders?
Ich habe flexible Arbeitszeiten, die gut vereinbar sind mit meinem Krankheitsmanagement. So kann ich die wöchentliche Physiotherapie ebenso wahrnehmen, wie monatliche medikamentöse Infusionen und weitere Arzttermine. Ebenso hilft mir das große Verständnis meines Chefs, meiner vorgesetzten Sekretärin und vieler Kolleg*innen. Früher hatte ich immer Angst, auf der Arbeit anzurufen und Bescheid zu geben, dass ich nicht kommen kann. Denn oft wurde mir entgegnet: „Schon wieder?“ oder „Das geht so nicht weiter!“ bis hin zu „Ja dann müssen wir mal schauen, was wir dann nach deiner Arbeitsunfähigkeit machen!“. Inzwischen ist es so, dass mir meine Vorgesetzte gute Besserung wünscht, ich mich bitte erholen soll und erst wieder kommen soll, wenn es mir wirklich gut geht. Das löst ein besseres Gefühl in mir aus.
Welche beruflichen Herausforderungen siehst Du bei anderen Betroffenen?
Ich weiß, dass viele Betroffene es deutlich härter und schwerer mit ihrer chronischen Erkrankung beziehungsweise Behinderung in ihrem Job haben. Vor allem denke ich hier an Personen, die alleinerziehend sind oder weitere Belastungen haben, die ich nicht habe.. Ich sehe, höre und lese viel von Betroffenen, die mir erzählen, dass sie nicht in Teilzeit gehen dürfen, obwohl es ihnen rechtlich zusteht. Die mir erzählen, dass sie unter Inkontinenz leiden und ihr Schreibtisch dennoch am weitesten weg vom WC steht – und zudem der Chef oder die Chefin auch keine Absicht zeigt, ihre schwierige Lage zu verbessern. Oft gibt es einfach zu wenige Toiletten. Oder die Toiletten sind schlichtweg zu weit weg. Und im schlimmsten Fall sind sie absolut unhygienisch. Das ist gerade für Betroffene, die ein Stoma haben oder unter Immunsuppression stehen, ein riesiges Problem.
Hast Du Tipps für Betroffene und Betriebe?
Betroffenen möchte ich sagen, dass ihnen dieselben Rechte zustehen, wie jedem anderen auch. Kein Job der Welt ist es wert, seinen eigenen Wert runtermachen zu lassen. Arbeitgebenden würde ich empfehlen, sich über diese Erkrankung zu informieren, sofern diese offenbart wurde. Zudem möchte ich Arbeitgebenden raten, den Fokus auf die mentale Verfassung der Arbeitnehmenden zu setzen. Ein Ruheraum mit einem gemütlichen Sofa ist deutlich besser als eine kalte Notfallklappliege. Das käme nicht nur CED-Betroffenen zugute.
Und zu guter Letzt: Wie kann berufliche Teilhabe mit CED gelingen?
- Inklusion funktioniert nur gemeinsam. Arbeitgebende müssen sich der Sache annehmen und eigenständig informieren. Arbeitnehmenden möchte ich raten ihre Bedürfnisse und Probleme anzusprechen. In Summe müssen Arbeitnehmende und Arbeitgebende auf Augenhöhe Probleme identifizieren und gemeinsam Schritte zur Besserung bzw. Behebung des Problems gehen.
- In vielen Bürogebäuden ist die Toilettensituation unzureichend. Wenn ich mir eines wünschen könnte, dann, dass nicht an dem Ausbau der Toiletten gespart wird. Man möchte als CEDler*in wirklich nicht eine halbe Stunde in einer Kabine sitzen, die Pappwände hat und in dieser Zeit Kolleg*innen begrüßen und verabschieden. Warme, saubere, geräuschabschirmende Einzelkabinen wären wirklich eine große Bereicherung. Und wenn das zu teuer ist, dann bitte nur eine davon als barrierefreies WC.
- Optionen für Homeoffice schaffen: Viele CEDler*innen arbeiten auch von der Toilette aus daheim. Das Homeoffice macht das Arbeiten teilweise für sie überhaupt erst möglich. Ich habe einen Job, wo es nicht möglich ist, im Homeoffice zu arbeiten. Das bedeutet aber, dass ich mich an manchen Tagen krankmelden muss, weil ich den Arbeitsweg schlichtweg nicht schaffe. Die Option zum Homeoffice würde dieses Problem beseitigen.
- Chronisch krank zu sein, ist so schon ein Vollzeitjob. Für CEDler*innen gilt, dass sie alle vier Jahre zur Reha fahren dürfen. Es wäre einfach eine riesengroße Erleichterung für viele, wenn der Chef oder die Chefin diese ‚Phasen‘ für ihre chronisch kranken Mitarbeitenden mitdenkt, Teilzeit-Angebote macht, flexible Arbeitszeiten genehmigt. Aber dabei Betroffene nicht bevormundet. Denn es passiert auch andersherum, dass ein gut gemeintes „Bleiben Sie mal zu Hause“ gar nicht das ist, was die Person gerade braucht.
- Daher gilt für mich grundsätzlich: Ein freundliches Nachfragen und Angebotemachen von Arbeitgebenden-Seite aus ist immer gern gesehen. Das Kommunizieren von Schwierigkeiten, die Arbeitnehmende erleben, ist ebenso wichtig. Ein Austausch muss gemeinsam von beiden Seiten stattfinden, und das auf Augenhöhe. Schritte, die Probleme beheben sollen, müssen in Absprache und im besten Fall gemeinsam stattfinden. Inklusion ist Arbeit, individuell und vielleicht manchmal auch schwierig für beide Seiten. Aber sie ist möglich, wenn beide Parteien sich ernst nehmen, gemeinsam Herausforderungen annehmen und im besten Falle auch meistern.
Vielen Dank für das Interview.
Umgang mit CED im Unternehmen
Wenn eine Person im Betrieb an einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung (CED) erkrankt ist, stellt dies auch Vorgesetzte vor neue Herausforderungen.
Mitarbeitende an CED erkrankt? 7 Tipps für Führungskräfte
- In Kontakt bleiben: Versuchen Sie, während längerer Arbeitsunfähigkeitszeiten Kontakt zu betroffenen Mitarbeitenden zu halten, sofern die jeweilige Person damit einverstanden ist. So können Sie gemeinsam über den Verlauf und Möglichkeiten der Rückkehr sprechen sowie frühzeitig mit der Planung der Wiedereingliederung beginnen.
- Fragen und Zuhören: Erkundigen Sie sich bei betroffenen Mitarbeitenden, wie es ihnen geht, welche Auswirkungen die Erkrankung auf ihre konkrete Tätigkeit hat und wie sie ihre Leistungsfähigkeit einschätzen. Nehmen Sie die betreffende Person ernst und fragen Sie diese, wie Sie sie konkret unterstützen können.
- Lösungen vorschlagen: Bieten Sie an, über Arbeitsanpassungen und andere Möglichkeiten der Unterstützung zu sprechen. Probieren Sie gemeinsam Dinge aus (zum Beispiel flexible Pausengestaltung) und reflektieren Sie diese nach einer Testphase. Denken Sie dabei auch Aufgaben neu. Häufig sind nicht die Aufgaben selbst problematisch, sondern der Umfang oder der veranschlagte Zeitrahmen. Hier können kleinere Aufgabenpakete helfen.
- Nicht überfordern: Bei CED-Symptomen kann man üblicherweise nicht sofort wieder die gewohnte Leistung erbringen. Geben Sie Ihren Mitarbeitenden Zeit, sich beispielsweise nach längerer Arbeitsunfähigkeit neu zu orientieren und an die Arbeitsbelastung heranzutasten.
- Nicht unterfordern: Stellen Sie sich vor, dass sowohl die Motivation als auch die generellen Fähigkeiten des/der Mitarbeitenden unverändert sind, die Leistung aber nicht mehr beliebig „abgerufen“ werden kann. Komplexe Aufgaben können in vielen Fällen noch bewältigt werden, wenn eine flexible Zeiteinteilung möglich ist. Daher muss das Anforderungsniveau nicht zwingend niedriger sein. Besprechen Sie mit der Person, was möglich ist.
- Achten Sie auf Anzeichen von Präsentismus*: Arbeitet Ihre Mitarbeiterin oder Ihr Mitarbeiter trotz verminderter Arbeitsfähigkeit oder Erkankung? Warnsignale können sein, dass Mitarbeitende eingeschränkt belastbar sind, weniger motiviert erscheinen, müde und/oder gereizt sind, schlechtere Arbeitsergebnisse erzielen oder sich weniger als üblich innerhalb des Teams einbringen. Da Präsentismus weitere gesundheitliche Auswirkungen zur Folge haben kann, sollte hier präventiv agiert werden.
- Binden Sie weitere Personen mit ein: Ziehen Sie beispielsweise eine Betriebsärztin oder einen Betriebsarzt hinzu, gegebenenfalls über einen externen arbeitsmedizinischen Dienst. Falls im Unternehmen vorhanden, sollten Personen aus dem Eingliederungsmanagement, der Schwerbehindertenvertretung sowie dem Personal- oder Betriebsrat einbezogen werden. Im besten Fall kommen alle gemeinsam mit der betroffenen Person zu einem vertrauensvollen Gespäch zusammen.
Weitere externe Ansprechstellen finden Sie in Kapitel 4.2 Wer hilft?
*Aus der REHADAT-Umfrage zu CED im Arbeitsleben geht hervor, dass 411 von 451 Teilnehmenden (91,1 %) in den letzten 12 Monaten trotz CED-spezifischer Krankheitssymptome gearbeitet haben. Etwaige Gründe lagen darin, dass Betroffene ihren Kolleginnen und Kollegen nicht zur Last fallen wollten, es keine Vertretungsregelung gab oder es dringende Termine und Fristen gab. Quelle:
2.2 Rückkehr nach Arbeitsunfähigkeit
Die Rückkehr an den Arbeitsplatz nach längerer Arbeitsunfähigkeit sollte frühzeitig geplant werden – im besten Fall bereits aus der vorangehenden Therapie oder Rehabilitationsmaßnahme heraus.
Es ist meist hilfreich, Arbeitgebende schon früh einzubeziehen und über die eigene Situation zu informieren. Dies ist für Betroffene häufig nicht einfach und erfordert eine vertrauensvolle Ausgangssituation (Kapitel 2.3 Auskunftspflicht und Auskunftsbereitschaft zum Status der Beeinträchtigung).
Als wesentliche Rahmenkonzepte für eine erfolgreiche Wiedereingliederung nach längeren krankheitsbedingten Fehlzeiten haben sich das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) und die Stufenweise Wiedereingliederung bewährt.
Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM)
Rechtlicher Hintergrund: Arbeitgebende sind grundsätzlich verpflichtet, Beschäftigten ein BEM anzubieten, wenn diese innerhalb der letzten 12 Monate sechs Wochen oder länger – ununterbrochen oder wiederholt – krankgeschrieben waren. Ein BEM kann jedoch nur mit Zustimmung der Betroffenen, das heißt auf freiwilliger Basis, durchgeführt werden.
In der Praxis bewährt: Das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) hat sich in vielen Unternehmen zu einem wirksamen Angebot für mehrfach oder langzeiterkrankte Beschäftigte entwickelt – häufig unter Beteiligung eines sogenannten BEM-Teams, das sich aus verschiedenen betrieblichen Akteurinnen und Akteuren zusammensetzt.
Ziel des Instruments: Ziel des BEM ist es, in einem gemeinsamen Prozess herauszufinden, wie häufig oder lange erkrankte Beschäftigte dabei unterstützt werden können, wieder gesund und arbeitsfähig zu werden (und es möglichst dauerhaft zu bleiben); zum Beispiel durch eine Stufenweise Wiedereingliederung, Schulungsmaßnahmen, Anpassungen der Arbeitsorganisation oder Umgestaltung des Arbeitsplatzes.
Wer hilft bei der Umsetzung? Bei Fragen zum BEM unterstützen externe Dienstleister, die Rehabilitationsträger, Kammern und Verbände sowie bei schwerbehinderten oder gleichgestellten Beschäftigten die Integrations- beziehungsweise Inklusionsämter und Fachdienste mit einem umfangreichen Angebot an persönlichen und finanziellen Hilfen. Rehabilitationsträger und Integrations- beziehungsweise Inklusionsämter können Unternehmen, die ein BEM einführen, durch Prämien oder einen Bonus fördern.
Stufenweise Wiedereingliederung
Ziel des Instruments: Die Stufenweise Wiedereingliederung (auch: „Hamburger Modell“) soll arbeitsunfähigen Beschäftigten nach längerer Krankheit die schrittweise Rückkehr an den alten Arbeitsplatz erleichtern, indem Arbeitszeit und -belastung allmählich gesteigert werden. Sie wird in enger Zusammenarbeit von allen Beteiligten (arbeitsunfähige Person, Arbeitgeberin oder Arbeitgeber, ärztliche Bezugsperson, Rehabilitationsträger) durchgeführt und häufig als Maßnahme im Rahmen eines Betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) umgesetzt. Während der Wiedereingliederung sind die Betroffenen weiterhin krankgeschrieben und können Kranken-, Übergangs- oder Verletztengeld erhalten.
Zuständige Leistungsträger:
- In der Regel wird die Stufenweise Wiedereingliederung von der gesetzlichen Kranken- oder Rentenversicherung als Leistung der medizinischen Rehabilitation bewilligt.
- Sind Betroffene aus dem Krankengeldanspruch gefallen und bekommen Arbeitslosengeld, wird die Wiedereingliederung in der Regel von der Agentur für Arbeit finanziert, um die Arbeitsfähigkeit wieder zu erreichen.
- Bei Arbeitsunfähigkeit nach Arbeitsunfall oder Berufskrankheit wird eine schrittweise Wiedereingliederung von der gesetzlichen Unfallversicherung unterstützt. (Im Bereich der Unfallversicherung ist das Verfahren teilweise noch unter der früheren Bezeichnung „Arbeits- und Belastungserprobung“ bekannt.)
Zum Rechtsanspruch: Für Beschäftigte ist die Teilnahme an einer Stufenweisen Wiedereingliederung freiwillig, sie erfordert allerdings die Zustimmung von Arbeitgeberin oder Arbeitgeber*. Eine Ausnahme gilt für schwerbehinderte und ihnen gleichgestellte Beschäftigte – diese haben grundsätzlich einen Rechtsanspruch auf Stufenweise Wiedereingliederung.
*Die neuere Rechtsprechung empfiehlt Arbeitgebenden, die Stufenweise Wiedereingliederung möglichst zu unterstützen – insbesondere dann, wenn sie als Maßnahme im Rahmen eines BEM vereinbart wurde.
Der Stufenplan: Fahrplan für die Wiedereingliederung
Der Stufenplan regelt den Ablauf der Wiedereingliederung im Einzelnen und wird in enger Zusammenarbeit von allen Beteiligten (siehe oben) erstellt und unterschrieben.
Der Stufenplan enthält folgende Angaben:
- über welchen Zeitraum die Arbeitszeit schrittweise bis zur ursprünglichen Arbeitszeit angehoben wird,
- welche Tätigkeit ausgeübt werden kann/soll und welche Belastungen dabei möglich sind,
- welche Bedingungen am Arbeitsplatz berücksichtigt werden müssen.
Wichtig ist, dass der Stufenplan unter ärztlicher Beobachtung im Verlauf flexibel an den Gesundheitszustand der arbeitsunfähigen Person angepasst wird, um sie vor Überforderungen zu schützen und somit die Wiedereingliederung nicht zu gefährden.
Das heißt, im Bedarfsfall kann
- der Stufenplan verkürzt oder verlängert werden oder
- der Wiedereingliederungsversuch vorzeitig beendet werden.
Tipp: Der zuständige Leistungsträger muss informiert werden, falls sich dadurch Beginn oder Ende der Wiedereingliederung verschieben! (vgl. )
2.3 Auskunftspflicht und Auskunftsbereitschaft zum Status der Beeinträchtigung
Wird bei Beschäftigten im laufenden Arbeitsverhältnis eine Behinderung festgestellt, besteht grundsätzlich keine Mitteilungspflicht. Eine Mitteilungspflicht besteht nur dann, wenn sich Einschränkungen unmittelbar auf die Ausübung der Tätigkeit auswirken, sodass diese nur noch teilweise oder gar nicht mehr ausgeübt werden kann.
Wenn Beschäftigte einen Antrag auf Gleichstellung stellen, sollten sie wissen, dass die Arbeitgeberin oder der Arbeitgeber und die betriebliche Interessenvertretung im Zuge des Verfahrens von der Agentur für Arbeit um eine Stellungnahme zur Arbeitssituation und zu den Umständen der Gleichstellung gebeten werden – und damit automatisch von der Antragstellung erfahren.
Äußerlich nicht sichtbare Beeinträchtigungen haben den Vorteil, dass die betreffende Person selbst entscheiden kann, wann und wem sie die Einschränkung mitteilt. Wichtig ist, dass sie sich je nach Situation mit der individuellen Entscheidung wohlfühlt. Ein offener Umgang kann zu mehr Verständnis führen und die Planung hilfreicher Maßnahmen im Unternehmen erleichtern. Zudem können bei einer anerkannten Schwerbehinderung oder Gleichstellung die damit verbundenen Nachteilsausgleiche in Anspruch genommen werden.
Meist wird empfohlen, Beeinträchtigungen erst im Vorstellungsgespräch anzusprechen und nicht schon in der schriftlichen Bewerbung zu thematisieren. So haben Bewerberinnen und Bewerber die Chance, im Vorstellungsgespräch persönlich zu überzeugen und können im Verlauf des Gesprächs entscheiden, ob sie ihre Behinderung oder Erkrankung ansprechen möchten oder nicht.
Öffentliche Einrichtungen sind verpflichtet, im Bewerbungsverfahren fachlich geeignete Menschen mit Schwerbehinderung zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen (siehe § 165 SGB IX). Bei Bewerbungen im öffentlichen Dienst ist es daher ratsam, bereits im Bewerbungsschreiben auf Beeinträchtigungen hinzuweisen.
3 »Auf die weichen Faktoren kommt es an«
Lösungen für den Arbeitsalltag
3.1 Arbeit bedarfsgerecht gestalten
Ziel der bedarfsgerechten Arbeitsgestaltung ist es, Beeinträchtigungen auszugleichen, die Arbeitsausführung zu unterstützen und Gesundheitsgefahren zu reduzieren. In der Praxis hat sich das Vorgehen nach bestimmten, sich ergänzenden Handlungsmaßnahmen nach dem tops-Prinzip bewährt. Im Mittelpunkt steht die selbstständige und unabhängige Teilhabe am Arbeitsleben.
Maßnahmen nach REHADAT-tops*:
- technisch: Zunächst den Einsatz technischer Lösungen prüfen.
- organisatorisch: Falls erforderlich, dann begleitende, ergänzende oder rein organisatorische Maßnahmen auswählen.
- personenzentriert: Sind für diese Maßnahmen zusätzliche Kompetenzen erforderlich, kann eine maßgeschneiderte Qualifizierung helfen. Werden Beschäftigte personenzentriert unterstützt, wie zum Beispiel bei einer Arbeitsassistenz, wird eine solche personenzentrierte Maßnahme als „nachrangig“ eingestuft.
- sozial: Alle Lösungsansätze werden von Beginn an durch soziale Maßnahmen begleitet, die zu einem unterstützenden, offenen und kommunikativen Team- und Betriebsklima beitragen.
* Das aus der Praxis abgeleitete Prinzip „REHADAT-tops“ bezieht sich ausschließlich auf den Einsatz von Maßnahmen im Bereich der beruflichen Rehabilitation zur behinderungsgerechten Arbeitsgestaltung. Es ist daher nicht zu verwechseln mit dem ähnlich lautenden TOP-Prinzip (technische, organisatorische, personenbezogene Maßnahmen) im Arbeitsschutz.
REHADAT-tops: technische, organisatorische, personenzentrierte und soziale Maßnahmen zur behinderungsgerechten Arbeitsgestaltung einbeziehen
3.2 Arbeit technisch gestalten
HILFSMITTEL UND TECHNISCHE ARBEITSHILFEN
Hilfsmittel und technische Arbeitshilfen sind wichtige technische Komponenten einer behinderungsgerechten Arbeitsgestaltung.
Beruflich eingesetzte Hilfsmittel sind Medizinprodukte, die am Arbeitsplatz persönlich genutzt oder getragen werden. Dies können zum Beispiel Kommunikations- oder Mobilitätshilfen sein. Technische Arbeitshilfen decken dagegen ein breiteres Spektrum ab und umfassen grundsätzlich alle behinderungsgerechten Sonderanfertigungen oder handelsüblichen Produkte, sofern sie die Arbeitsfähigkeit unterstützen und für die Arbeitsausführung erforderlich sind. Beispiele sind Hard- und Software, Maschinen, Werkzeuge oder behinderungsgerechte Fahrzeugtechnik.
Hilfsmittel bei CED
Auch für CED-Betroffene können technische Anpassungen eine Rolle spielen, um ihren Arbeitsalltag angenehmer zu gestalten. Zum Beispiel können spezielle Stühle oder ergonomische Schreibtische zur Entlastung des Rückens beitragen. Zusätzlich kann die Einrichtung von barrierefreien Toiletten oder die Möglichkeit, eine private Toilette nutzen zu können, in manchen Fällen sinnvoll sein.
Höhenverstellbare Arbeits- und Schreibtische
Schreibtisch VXMST © Büromöbel-Experte GmbH
Höhenverstellbare Arbeits- und Schreibtische
Für eine optimale Arbeitsplatzergonomie sowie zur Ermöglichung eines Steh-Sitz-Arbeitsplatzes können elektrisch höhenverstellbare Arbeitstische eingesetzt werden.
- REHADAT-Hilfsmittel: Elektrisch höhenverstellbare Arbeitstische
rehadat.link/tischverstellbar
Arbeits- und Bürostühle
Popello M © Poppel Form & Funktion
Arbeits- und Bürostühle
Eine bestmögliche Sitzergonomie kann durch entsprechende Stühle gewährleistet werden. Damit kann das Muskel-Skelett-System entlastet werden.
- REHADAT-Hilfsmittel: Ergonomische Arbeitsstühle
rehadat.link/stuhl
Stehsitze
Stehsitz SD med © VITAL DINAMIC Deutschland
Stehsitze
Stehhilfen oder auch Stehsitze ermöglichen das Arbeiten in einer stehenden-sitzenden Körperhaltung. Insbesondere an Steharbeitsplätzen bieten diese Hilfsmittel eine Entlastung. Sie können aber auch zum Positionswechsel an Sitz-Steh-Arbeitsplätzen eingesetzt werden.
- REHADAT-Hilfsmittel: Stehsitze
rehadat.link/stehsitz
Bein- und Fußstützen
Fußstütze EFS 90 © Mey CHAIR SYSTEMS GmbH
Bein- und Fußstützen
Fußstützen bieten Vorteile wie verbesserte Körperhaltung, Linderung von Bein- und Fußbeschwerden, Entlastung des Darmtrakts, Unterstützung der Verdauung und Reduzierung von Müdigkeit.
- REHADAT-Hilfsmittel: Bein- und Fußstützen
rehadat.link/beinfussstuetze
Tracking und Monitoring
Tami © Temedica GmbH
Tracking und Monitoring
Durch die Tami-App wird die Dokumentation individueller Symptome im Zusammenhang mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) sowie persönlicher Empfindungen ermöglicht. Erfassen lassen sich beispielsweise Symptome, medizinische Fragebögen, das individuelle Verhalten, Therapie und äußere Einflüsse.
- REHADAT-Hilfsmittel: Tami App
rehadat.link/tamiapp
Toilettenräume
Die Zugänglichkeit von Toilettenräumen für Menschen mit CED ist von großer Bedeutung. Um lange Wege zu vermeiden, sollten die Toiletten idealerweise in der Nähe des Arbeitsbereichs platziert sein. Dies gewährleistet eine einfache Erreichbarkeit für CED-Betroffene während ihrer Arbeit.
Neben der Zugänglichkeit ist es auch wichtig, dass Toilettenräume ausreichend Privatsphäre bieten. CED-Betroffene sollten sich in den Kabinen wohl und ungestört fühlen können. Gut isolierte Trennwände und Schallschutz tragen dazu bei, die Vertraulichkeit zu wahren und mögliche Unannehmlichkeiten zu reduzieren.
Auch saubere und hygienische Toilettenräume sollten gewährleistet sein. Die regelmäßige Reinigung der Räumlichkeiten sowie Bereitstellung von ausreichend Seife und Papierhandtüchern sind unerlässlich, um die Hygiene aufrechtzuerhalten.
Wer fördert Toilettenumbauten und Hilfsmittel für den Toilettenraum?
Das Integrationsamt bzw. Inklusionsamt kann die Kosten für den Umbau einer herkömmlichen Toilette in eine barrierefreie Toilette übernehmen.
Barrierefreiheit
Der Begriff Barrierefreiheit ist in § 4 des Behindertengleichstellungsgesetzes definiert. Er bedeutet, dass beispielsweise Gebäude, Wege, Hard- und Software oder andere Informations- und Kommunikationsquellen für Menschen mit Behinderungen ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind. Der Einsatz notwendiger Hilfsmittel, wie beispielsweise Screenreadern, ist bei Bedarf erlaubt.
Da Barrierefreiheit auf eine allgemeine Nutzbarkeit abzielt, von der alle Beteiligten im Unternehmen profitieren, ist eine frühzeitige Planung vor der Umsetzung von Maßnahmen zur Barrierefreiheit sinnvoll. Damit lassen sich spätere kostenintensive Anpassungen vermeiden.
Was ist bei der Umsetzung von Barrierefreiheit zu beachten?
- Arbeitsmittel (Maschinen, Geräte, Werkzeug)
- Bedienelemente (Schalter, Taster)
- Digitale Medien (Software, Webseiten, Dokumente)
- Information und Kommunikation
- Veranstaltungen
- Räume
- Sanitäranlagen
- Treppen im Außen- und Innenbereich
- Türen und Tore im Innen- und Außenbereich
- Wege im Außen- und Innenbereich
- Flucht und Rettung
3.3 Arbeit organisatorisch gestalten
Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED) können einen erheblichen Einfluss auf die berufliche Leistungsfähigkeit haben. Symptome wie Bauchschmerzen, Durchfall und Müdigkeit können die Arbeit beeinträchtigen und es schwer machen, sich auf Aufgaben zu konzentrieren. Die organisatorische Gestaltung der Arbeit für Menschen mit CED umfasst verschiedene Aspekte, um den individuellen Bedürfnissen und Einschränkungen gerecht zu werden.
- Fleximodelle: Flexibilität bei Arbeitszeit- und Pausenregelungen kann für Menschen mit CED besonders wichtig sein. Die Arbeitszeiten an die individuellen Bedürfnisse anzupassen, ist im Einzelfall hilfreich, um stressige Situationen zu vermeiden und die Vereinbarkeit von Arbeit und Gesundheit zu verbessern. Flexible Arbeitszeiten ermöglichen es den Betroffenen, ihre Arbeit in Zeiten geringerer Symptomaktivität zu erledigen oder Arzttermine wahrzunehmen. Ebenso kann der Wechsel zu einer Teilzeitbeschäftigung sinnvoll sein, um die körperliche Belastung am Arbeitsplatz zu reduzieren. Mit der Teilzeitberufsausbildung gibt es ebenfalls ein Instrument, welches eine vollwertige Berufsausbildung mit reduzierter täglicher oder wöchentlicher Ausbildungszeit bei entsprechender Verlängerung der Ausbildungsdauer, ermöglicht.
- Schichtbetrieb: Insbesondere in Branchen wie dem Gesundheitswesen oder der Produktion stellt Schichtbetrieb häufig eine besondere Belastung dar – vor allem dann, wenn dieser festen Strukturen folgt und wenig Flexibilität zulässt. Hier kann es hilfreich sein, Beschäftigte mit CED vorübergehend vom Schichtdienst zu befreien und eine zeitliche Flexibilität zu ermöglichen. Gibt es keine Alternative zum Schichtdienst, sollte es die Möglichkeit geben, Schichten zu wählen, die besser zum individuellen tageszeitlichen Symptomverlauf passen. Andererseits kann der Schichtbetrieb je nach persönlichem Empfinden aber auch eine hilfreiche Option darstellen. Durch die Einrichtung von Schichten können Arbeitnehmende mit CED möglicherweise besser auf ihre individuellen Gesundheitsbedürfnisse eingehen und Schubphasen vermeiden, indem sie Schichten wählen, die besser zu ihrem Wohlbefinden passen.
- Einzel-/Gruppenarbeitsplatz: Die Art des Arbeitsplatzes kann je nach den individuellen Bedürfnissen angepasst werden: Einige Menschen mit CED bevorzugen Einzelarbeitsplätze, da sie mehr Privatsphäre und die Möglichkeit bieten, Pausen oder Ruhezeiten bei Bedarf einzulegen. Andere bevorzugen Gruppenarbeitsplätze, da sie die Interaktion und den Austausch in einer Gruppenarbeitsumgebung bevorzugen, um soziale Unterstützung zu erhalten und sich weniger isoliert zu fühlen.
- Arbeitsort: Homeoffice oder mobiles Arbeiten können für Menschen mit CED von großem Vorteil sein. Insbesondere in Phasen mit aktiven Symptomen oder bei einem schwer zugänglichen Arbeitsplatz verbessert die Arbeit von zu Hause aus die Arbeitsfähigkeit und den Komfort und ermöglicht die eigenständige Organisation der Aufgaben und Arbeitsumgebung.
- Aufgaben: Um die Arbeitsbedingungen für Menschen mit CED unterstützend zu gestalten, ist auch die Anpassung von bestehenden Aufgaben oder die Zuteilung neuer Aufgaben möglich. Auch ein kompletter Wechsel des Arbeitsbereiches kann in Betracht gezogen werden. Die zugeteilten Tätigkeiten sollten mit den individuellen Bedürfnissen und Symptomen vereinbar sein und zum Beispiel Arbeitspausen oder eine zeitweise Unterbrechung ermöglichen. Eine Unterteilung von Aufgaben in einzelne Arbeispakete kann ebenfalls hilfreich sein.
- Dienstreisen: Bei Menschen mit CED sollten Dienstreisen sorgfältig geplant werden. Lange Reisen oder häufige Reisetätigkeiten können zusätzlichen Stress und Unannehmlichkeiten verursachen. Wenn möglich, sollten alternative Lösungen wie Videokonferenzen oder regionale Treffen in Betracht gezogen werden, um die Auswirkungen auf die Gesundheit zu minimieren.
- Öffentlicher Nahverkehr (ÖPNV): Menschen mit CED zu ermöglichen, auf Arbeitswegen und Dienstreisen den ÖPNV zu nutzen, kann ihren Bedürfnissen entgegenkommen, da sie dort im besten Falle einen guten Zugang zu Toiletten oder Sitzplätzen haben und somit stressfreier reisen können. Bei Bedarf können auch alternative Transportmöglichkeiten oder flexible Arbeitszeiten zur Vermeidung von Stoßzeiten in Betracht gezogen werden.
- Umschulung: In einigen Fällen kann eine Umschulung oder berufliche Neuorientierung in Betracht gezogen werden, wenn die aktuellen Arbeitsanforderungen nicht mit den gesundheitlichen Bedürfnissen einer Person mit CED vereinbar sind. Eine Umschulung kann es ermöglichen, einen Beruf auszuüben, der besser mit den individuellen Einschränkungen und Anforderungen vereinbar ist.
3.4 Arbeit personenzentriert gestalten
Bei CED kann, wenn auch selten genutzt, eine Unterstützung durch Personen innerhalb des Unternehmens erforderlich werden. Auch eine personenzentrierte Unterstützung durch externe Personen wie beispielsweise Jobcoaches ist möglich.
Innerhalb von Teams ist es meist naheliegend und recht einfach umsetzbar, dass Kolleginnen oder Kollegen sich gegenseitig (vorübergehend) unterstützen. Dies kann zum Beispiel so gestaltet werden, dass andere Mitarbeitende die Kollegin oder den Kollegen mit CED unmittelbar bei der Ausführung von Aufgaben unterstützen.
Alternativ können Aufgaben oder Schichten innerhalb des Teams neu verteilt werden, sodass die erkrankte Person entlastet wird. Hierbei ist jedoch sorgfältig darauf zu achten, die unterstützenden Personen nicht zu überfordern oder zu überlasten.
Personenzentrierte Unterstützung bei CED
Beschäftigte mit amtlich anerkannter Schwerbehinderung können aufgrund ihrer Behinderung auf regelmäßige Unterstützung am Arbeitsplatz durch andere Personen aus dem Unternehmen angewiesen sein. Um die finanzielle Belastung auszugleichen, die der Arbeitgeberin oder dem Arbeitgeber durch den Arbeitsausfall der unterstützenden Person entsteht, kann ein Zuschuss beim Integrationsamt beziehungsweise Inklusionsamt beantragt werden (Beschäftigungssicherungszuschuss).
Voraussetzungen der Personenzentrierte Unterstützung
- Es sind alle Möglichkeiten ausgeschöpft, damit der schwerbehinderte Mensch ohne fremde Hilfe arbeiten kann, zum Beispiel durch behinderungsgerechte Arbeitsplatzgestaltung oder berufliche Weiterbildung.
- Der Umfang der kollegialen Unterstützung darf die Hälfte der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit des oder der Beschäftigten mit Behinderungen nicht überschreiten
Die finanzielle Unterstützung wird für maximal zwei Jahre gewährt. Der Zuschuss kann auf Antrag verlängert werden.
Jobcoaching
Jobcoaching am Arbeitsplatz (auch: „Betriebliches Arbeitstraining“) ist die Bezeichnung für ein betriebsintegriertes Arbeitstraining, das direkt am Praktikums-, Qualifizierungs-, Ausbildungs-/Umschulungs- oder Arbeitsplatz stattfindet und von externen Fachkräften, den sogenannten „Jobcoaches“, durchgeführt wird. Jobcoaching ist speziell auf die gecoachte Person und ihren Arbeitsplatz zugeschnitten.
Das Leistungsangebot richtet sich an sozialversicherungspflichtig beschäftigte Menschen mit Behinderungen oder gesundheitlichen Beeinträchtigungen mit besonderem Unterstützungsbedarf am Arbeitsplatz und an ihre Arbeitgebenden, die daran interessiert sind, ein Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnis entweder anzubahnen oder zu erhalten.
Im Falle von behinderungsbedingten Problemen oder Konflikten am Arbeitsplatz ergibt sich das Jobcoaching häufig durch Initiative der Beschäftigten oder Vorgesetzten selbst oder aber im Beratungsgespräch mit beispielsweise der Schwerbehindertenvertretung, dem betriebsärztlichen Dienst oder dem Inklusionsamt/Integrationsfachdienst.
Anlässe für ein Jobcoaching sind zum Beispiel der Wiedereinstieg nach längerer Arbeitsunfähigkeit, veränderte Aufgaben und neue Arbeitsanforderungen oder behinderungsbedingte Leistungs- und Kommunikationsprobleme.
Das Jobcoaching dauert durchschnittlich sechs bis acht Monate. Während dieser Zeit kommt ein Jobcoach in der Regel mehrfach wöchentlich in den Betrieb, vermittelt arbeitsrelevante Kenntnisse und Fertigkeiten und fördert das selbstständige Arbeiten der gecoachten Person.
Die Kosten eines Jobcoachings können als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben von den Rehabilitationsträgern oder als begleitende Hilfe im Arbeitsleben von den Integrationsämtern/Inklusionsämtern finanziert werden.
Job Carving
Job-Carving (wörtlich: „eine Arbeitsstelle schnitzen“) ist ein inklusiver Ansatz für Unternehmen. Darunter versteht man die innerbetriebliche Suche nach meist einfachen Einzeltätigkeiten, die zu einem neuen, für einen Menschen mit Behinderungen geeigneten Jobprofil umgeschichtet und gebündelt werden. Der Prozess wird von einer Fachkraft mit arbeitsanalytischer Expertise, zum Beispiel einem Jobcoach, begleitet.
Im Ergebnis übt der Mensch mit Behinderung eine Tätigkeit aus, die genau auf seine Fähigkeiten zugeschnitten ist. Für das Unternehmen hat dies den Vorteil, dass Betriebsabläufe unterstützt und andere Beschäftigte teilweise von Routinearbeiten entlastet werden, um sich auf neue Aufgaben oder Kerntätigkeiten konzentrieren zu können.
Partner-/Mentorenmodell
Beim „Partnermodell” oder „Mentorenmodell“ unterstützen Mentorinnen oder Mentoren Beschäftigte, die neu einsteigen oder wieder einsteigen wollen, fachlich bei der Einarbeitung oder beim Eingliederungsprozess. Die Aufgabe kann beispielsweise eine erfahrene und verständnisvolle Person aus dem Kreis der Kolleginnen und Kollegen übernehmen. Bei Bedarf stehen Mentorinnen und Mentoren auch bei persönlichen Fragen und Konflikten zur Verfügung. Verschiedene Bildungsträger bieten entsprechende Schulungen in den Unternehmen an.
Vorteile des Mentorenmodells:
- Die Anforderungen an den Arbeitsplatz werden schnell transparent und können besprochen werden.
- Die Qualifizierung kann passgenau erfolgen.
- Beschäftigte mit Behinderungen haben eine konkrete Vertrauensperson an ihrer Seite.
- Erwartungen und Vorbehalte können frühzeitig geklärt werden.
- Das Unternehmen erhält eine schnelle und verlässliche Rückmeldung.
3.5 Arbeit sozial gestalten
Auch im Kontext von chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) spielen soziale Aspekte im beruflichen Umfeld eine bedeutende Rolle. Insbesondere Verständnis, Offenheit, Kommunikation auf Augenhöhe und angemessener Umgang mit schwankender Leistungsfähigkeit tragen entscheidend zu einem unterstützenden Arbeitsumfeld für CED-Betroffene bei.
Führungs- und Teamkultur
Ob Inklusion in einem Unternehmen gelingen kann, hängt wesentlich von der Einstellung aller Beteiligten und ihrer Bereitschaft zur Veränderung ab. Insbesondere die Führungskraft spielt hier eine wichtige Rolle, da sie als Vorbild für das gesamte Team dient und die Zusammenarbeit aktiv gestaltet. Akzeptanz, Fairness und gegenseitige Hilfsbereitschaft sind dabei entscheidende Faktoren.
Die Besonderheiten bei der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen müssen von der Führungskraft berücksichtigt werden, damit diese ihr Leistungspotenzial voll ausschöpfen können und die Integration in das Team gelingt.
Bei Schwierigkeiten am Arbeitsplatz ist es ihre Aufgabe, mit den betroffenen Beschäftigten zu sprechen und Hilfe anzubieten. Dies kann zum Beispiel in Form von Arbeitszeitanpassungen, technischen Hilfsmitteln oder regelmäßigen Austauschgesprächen geschehen.
In Fällen, in denen Beschäftigte ihre Behinderung am Arbeitsplatz offenlegen möchten, sollte genau vereinbart werden, wie viele und welche Informationen die direkten Kolleginnen und Kollegen erhalten.
Forschung und Erfahrung zeigen, dass es weiterhin tief verwurzelte Vorurteile, unbewusste Diskriminierung und fehlende Sensibilisierung gibt, die die Einstellungsentscheidungen in Organisationen beeinflussen. Diese verhaltensökonomischen Hürden können dazu führen, dass qualifizierte Menschen mit CED von der Arbeitswelt ausgeschlossen werden, was nicht nur ihre persönlichen Chancen beschränkt, sondern auch den Unternehmen wertvolle Ressourcen vorenthält. Hier setzt eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft e. V. zu betrieblicher Inklusion an. Die komplexen Hürden und verhaltensökonomischen Einflüsse, die die Einstellung von Menschen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen negativ beeinflussen, werden analysiert. Darüber hinaus werden Ansätze entwickelt, um diese Hindernisse mithilfe von Nudging-Strategien und inklusiven Führungsstrategien zu überwinden.
Kommunikation als Schlüssel zur Inklusion
Die empirische Erhebung von REHADAT hat gezeigt, dass Kommunikation eine zentrale Rolle für eine erfolgreiche berufliche Inklusion von Menschen mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) spielt. Diese Erkrankungen sind für Außenstehende oft nicht sichtbar, was es für die Betroffenen schwierig macht, ihre spezifischen Bedürfnisse und Herausforderungen deutlich zu machen.
Eine offene und einfühlsame Kommunikation ist von großer Bedeutung, da sie dazu beiträgt, das Verständnis für die Situation der Betroffenen zu fördern. Sie ermöglicht es den Betroffenen, ihre speziellen Bedürfnisse zu äußern und ein offenes Verständnis für die unsichtbaren Symptome wie Schmerzen, Erschöpfung und andere Beeinträchtigungen zu schaffen. Eine transparente Kommunikation legt die Grundlage für die Entwicklung angemessener Unterstützungsmaßnahmen und Anpassungen am Arbeitsplatz, um eine inklusive Arbeitsumgebung zu schaffen.
Nicht nur fördert der offene Austausch mit Kolleginnen und Kollegen, Vorgesetzten und anderen betrieblichen Personen das Vertrauen, sondern er ermöglicht auch die gemeinsame Entwicklung von Lösungen und die optimale Gestaltung des Arbeitsalltags. Klar kommunizierte Bedürfnisse und Grenzen tragen dazu bei, Missverständnisse zu vermeiden und eine reibungslose Zusammenarbeit zu gewährleisten.
Aus der REHADAT-Umfrage zum Thema Kommunikation und Offenlegung
- Von 445 Teilnehmenden mit Kolleg*innen gaben 61 % an ihre CED gegenüber diesen offengelegt zu haben.
- Etwa 30 % gaben an, ein paar Informationen gegenüber ihren Kolleg*innen preisgegeben zu haben, wohingegen 9,2 % keinerlei Information preisgaben.
- Gegenüber der Führungskraft äußerten 68 % von 395 Teilnehmenden eine vollständige Offenlegung, 17,5 % dagegen eine teilweise Offenlegung ihrer Erkrankung.
- Circa 14,5 % gaben keinerlei Informationen gegenüber ihrer Führungskraft preis.
Bei chronischen Erkrankungen ist Kommunikation der Schlüssel zur Inklusion
Ein Interview mit Stephanie Albrecht und Nadine Reiche von Eventteam
Stephanie Albrecht und Nadine Reiche
Stephanie Albrecht ist Abteilungsleiterin bei der eventteam Veranstaltungsservice und -management GmbH. Nadine Reiche, CED-Betroffene und Mitglied im Team des Vereins Chronisch Glücklich e. V., ist eine ihrer Mitarbeiterinnen. Beide Frauen sind neben ihrer Verwaltungstätigkeit am Hamburger Standort für das Thema Arbeitsschutz im Unternehmen verantwortlich.
Wie steht Ihr Unternehmen im Allgemeinen zum Thema Inklusion?
Stephanie Albrecht: Wir haben kein explizites Konzept oder gar einen Maßnahmenkatalog mit Bezug auf Inklusion. Grundsätzlich stehen wir dem Thema offen gegenüber und bemühen uns, individuelle Lösungen zu finden, beispielsweise wenn sich jemand bei uns bewirbt oder das Thema im Arbeitskontext aufkommt. Wir haben durchaus Berührungspunkte mit Inklusion, zum Beispiel bei der Betreuung von Veranstaltungen, wo wir sicherstellen, dass Menschen mit eingeschränkter Mobilität oder Sehbehinderungen die Veranstaltungen besuchen können. Es besteht also ständiger Kontakt zu diesem Thema.
War Ihrem Unternehmen die Diagnose CED bereits zum Zeitpunkt der Einstellung von Frau Reiche bekannt oder haben Sie erst im Laufe der Zeit davon erfahren?
Stephanie Albrecht: Ja, die Diagnose war uns von Anfang an bekannt.
Wurde das Krankheitsbild auch offen gegenüber der Geschäftsleitung und den Kolleginnen und Kollegen kommuniziert?
Stephanie Albrecht: Gegenüber der Geschäftsleitung spreche ich offen, aber nicht als Argument für spezielle Maßnahmen. Falls wir in Zukunft etwas anschaffen wollten, um den Bedürfnissen gerecht zu werden, würden wir das entsprechend kommunizieren. Gegenüber Kolleginnen und Kollegen würde ich es nicht erwähnen, sondern dies den Betroffenen überlassen.
Und aus Ihrer Sicht, Frau Reiche, war es Ihnen von vornherein wichtig, Ihre Erkrankung offen zu kommunizieren?
Nadine Reiche: Ja definitiv! Ich habe eine Schwerbehinderung und gehe auch sehr offen damit um. Dementsprechend habe ich es auch direkt in der Personalabteilung angesprochen. Allerdings hat damals auch eine gute Freundin von mir im Unternehmen gearbeitet, weshalb der Einstellungsprozess nicht ganz typisch verlief. Ein netter Nebeneffekt der Offenlegung meiner Schwerbehinderung ist auch, dass ich mehr Urlaubstage erhalte.
Wie wirkt sich die Erkrankung im Vergleich zu anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf die Tätigkeit aus?
Stephanie Albrecht: Es macht keinen Unterschied, denn wir haben alle irgendwelche besonderen Bedürfnisse oder Einschränkungen. So haben wir einige Mütter in unserer Abteilung beschäftigt, die durch Termine und Verpflichtungen ebenfalls Flexibilität benötigen. Ob Einschränkungen aufgrund von Erkrankungen vorliegen oder aus anderen Gründen, spielt in unserem Arbeitsalltag keine große Rolle. Aufgrund unserer Bürotätigkeit haben wir die Möglichkeit flexibler Arbeitszeiten und Homeoffice, was uns allen zugutekommt. In der Veranstaltungsbetreuung ist es schwieriger, solche Optionen anzubieten, da die Arbeit vor Ort stattfindet. Dort kann es natürlich vorkommen, dass die Jobtauglichkeit schneller hinterfragt wird. Aber grundsätzlich versuchen wir, individuelle Lösungen zu finden und sind flexibel.
Gibt es spezielle technische Anpassungen oder Hilfsmittel, die Frau Reiche in Ihrem Unternehmen zur Verfügung gestellt wurden?
Stephanie Albrecht: Nein. Ich denke, das Wichtigste bei uns sind tatsächlich die organisatorischen Maßnahmen, die wir ergriffen haben. Bauliche Gegebenheiten geben zum Beispiel vor, dass auf dieser Etage keine Toiletten für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vorhanden sind. Die nächsten Toiletten hier auf der Etage befinden sich hinten im Bereich der Geschäftsführung. Ich habe zum Beispiel keinen Schlüssel dafür. Wenn ich auf die Toilette gehen möchte, gehe ich normalerweise durch den Konferenzraum, wenn dieser gerade leer ist, oder ich gehe auf eine andere Etage. Wir haben für Frau Reiche den Zugang zur Geschäftsführung über einen Schlüssel ermöglicht, sodass sie direkt eine Toilette aufsuchen kann. Ansonsten sind es eher Kleinigkeiten, wie das Anschaffen einer Fußbank. Allerdings haben wir auch Beschäftigte mit anderen Bedürfnissen, denen wir beispielsweise die Anschaffung einer Fußbank ermöglichen würden.
Nadine Reiche: Für mich persönlich ist es auch wichtig, dass ich über die Firma feuchtes Toilettenpapier bestellen kann, was für mich eine Erleichterung ist. Ansonsten gibt es nicht viele zusätzliche Maßnahmen.
Wurden darüber hinaus Maßnahmen wie das betriebliche Eingliederungsmanagement nach Krankheit oder Stufenweise Wiedereingliederung ergriffen?
Stephanie Albrecht: Ja, das haben wir. Frau Reiche war knapp zwei Jahre in der Veranstaltungs-Betreuung eines Großtheaters tätig. Ende 2019 fiel sie dann krankheitsbedingt für längere Zeit aus. Als es dann nach der Corona-Pandemie auch in der Veranstaltungsbranche langsam wieder voranging, wurde schnell deutlich, dass wir personelle Unterstützung benötigen würden. Da ich wusste, dass Frau Reiche gerne zu eventteam zurückkehren wollte, sich gesundheitlich langsam erholte und möglicherweise auch Interesse oder Fachkenntnisse im Bereich Arbeits- und Gesundheitsschutz aufgrund ihrer Erkrankung mitbrachte, lag es nahe, sie zu fragen, ob sie in meine neue Abteilung wechseln wollte. Ich selbst hatte mich mittlerweile auch von der Veranstaltungs-Betreuung zurückgezogen und war mehr im Büro tätig. Wir haben mit einer schrittweisen Wiedereingliederung begonnen und uns darauf konzentriert, Frau Reiche allmählich mit einer festgelegten Stundenzahl in den Bereich des Arbeitsschutzes einzuführen. Dabei lag der Fokus ausschließlich auf reinen Bürotätigkeiten.
Gab es staatliche Fördermittel oder Leistungen, die Sie in Anspruch genommen haben?
Stephanie Albrecht: Nein, bisher wurden alle Kosten vom Unternehmen getragen.
Was würden Sie abschließend anderen Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern sowie betroffenen Beschäftigten empfehlen, um berufliche Inklusion zu ermöglichen?
Stephanie Albrecht: Es ist wichtig, dass Menschen ihre Bedürfnisse offen kommunizieren, sowohl persönlich als auch Unternehmen. Es erfordert möglicherweise Anpassungen und Aufwand, aber ich möchte die Kompetenz und Persönlichkeit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wie Frau Reiche nicht missen. Es geht darum, Bedürfnisse zu erkennen und darauf einzugehen, um Inklusion zu ermöglichen.
Nadine Reiche: Bei chronischen Erkrankungen ist Kommunikation der Schlüssel zur Inklusion.
Vielen Dank für das Interview.
eventteam ist ein Unternehmen, das sich auf Veranstaltungsservice und -management spezialisiert hat. Es stellt einen qualifizierten Hospitality Service für die Besucherbereiche von Konzertsälen, Theatern, Messen und vergleichbaren Einrichtungen bis hin zu Einzelveranstaltungen und unterstützt diese von der Konzeption bis zum reibungslosen Ablauf. Mit Standorten in Hamburg, Berlin, Bremen, Stuttgart und Baden-Baden ist eventteam deutschlandweit tätig und beschäftigt zurzeit um die 1.600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter pro Monat. Hamburg ist aktuell der größte Standort und zudem Sitz der Hauptverwaltung mit rund 40 bis 50 Beschäftigten.
CHRONISCH GLÜCKLICH e. V. ist ein Verein und Netzwerk für mehr Lebensqualität im Leben mit einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung.
Das Leben mit einer chronischen Erkrankung erfordert Kraft, Mut und Ausdauer. Die Kraft, trotz der Symptome durch den Tag zu kommen. Den Mut, für sich einzustehen und sich Ängsten entgegenzustellen. Die Ausdauer, um auch bei Rückschlägen immer wieder aufzustehen. Jeder begibt sich auf seinen Weg, die Erkrankung anzunehmen, mit ihr einen neuen Alltag zu finden und mit ihr ein glückliches Leben zu führen. Der Verein hat sich zur Aufgabe gemacht, auf diesem Weg zu begleiten bei der Alltagsbewältigung und Krankheitsakzeptanz zu unterstützen, den Austausch zu fördern und öffentliche Aufmerksamkeit zu schaffen.
3.6 Betriebliche Prävention
Ziel der betrieblichen Prävention ist es, gesundheitliche Probleme und damit verbundene Schwierigkeiten am Arbeitsplatz zu vermeiden. Alle Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sind gesetzlich zur Prävention verpflichtet (§ 167 Abs. 1 SGB IX Prävention).
Bei Schwierigkeiten, die das Beschäftigungsverhältnis schwerbehinderter Menschen gefährden können, ist es sinnvoll, die Schwerbehindertenvertretung, den Betriebs- oder Personalrat und das Integrationsamt/Inklusionsamt frühzeitig einzubeziehen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Ziel aller präventiven Maßnahmen sollte es sein, das Beschäftigungsverhältnis zu sichern und den Verlust des Arbeitsplatzes zu verhindern.
Die beiden wichtigsten Instrumente der Prävention nach dem Schwerbehindertenrecht sind die Inklusionsvereinbarung und das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM).
3.7 Unterstützung in Ausbildung und Studium
Ausbildung oder Studium mit CED
Schülerinnen und Schüler, Auszubildende und Studierende mit chronisch-entzündlicher Darmerkrankung (CED) können aufgrund ihres häufig jungen Erkrankungsalters in ihrer Ausbildung oder ihrem Studium Einschränkungen erfahren. Die unvorhersehbaren Krankheitsschübe führen zu regelmäßigen Unterbrechungen im Unterricht oder Studium, erschweren die kontinuierliche Teilnahme am Unterricht oder Vorlesungen und können somit zu Lernrückständen und Schwierigkeiten bei der Bewältigung des Lehrplans führen. Für diese Zielgruppe bieten Organisationen wie die „Stiftung Darmerkrankungen” oder „Aktion Luftsprung” gezielte Unterstützung durch Stipendien an, um bessere Bildungschancen zu ermöglichen und den besonderen Herausforderungen gerecht zu werden.
Darüber hinaus empfiehlt es sich, frühzeitig einen Nachteilsausgleich bei der Schule oder Ausbildungsstätte zu beantragen. Ein solcher Ausgleich erlaubt es Bildungseinrichtungen, Prüfungen und andere schulische oder studienbezogene Aktivitäten individuell an die Einschränkungen anzupassen. Dies kann Anpassungen bei Prüfungsmodalitäten oder die Bereitstellung von Hilfsmitteln, wie Kopfhörer zur Geräuschminderung, einschließen. Die genauen Schritte für den Antrag auf Nachteilsausgleich sind meistens bei der entsprechenden Bildungseinrichtung erhältlich, wobei in der Regel ärztliche Atteste die gesundheitliche Beeinträchtigung und ihre Auswirkungen auf Studium oder Ausbildung belegen.
Wichtig ist zu beachten, dass die Regelungen für Nachteilsausgleiche in Schulen und Berufsschulen je nach Bundesland variieren können, weshalb regionale Informationen ratsam sind. Studierende finden Informationen und Beratungsmöglichkeiten auf der Internetseite des Studierendenwerks.
Nachteilsausgleiche für Auszubildende
Prüfungsmodifikationen
Es gibt verschiedene Hilfen, um behinderungsbedingte Nachteile in der Ausbildung auszugleichen: Dazu zählen Prüfungsmodifikationen, die beispielsweise eine verlängerte Prüfungszeit, häufigere Pausen oder einen insgesamt längeren Prüfungszeitraum für die Erbringung der Prüfungsleistungen umfassen. Auszubildende sollten den Antrag auf Nachteilsausgleich spätestens mit der Anmeldung zur Abschlussprüfung beziehungsweise dem Antrag auf Prüfungszulassung stellen. Ansprechstellen für die Prüfungsmodifikationen im Rahmen der betrieblichen Ausbildung sind die jeweiligen Kammern (Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, Landwirtschaftskammern).
Assistierte Ausbildung (AsA)
Im Rahmen eines kooperativen Ausbildungsmodells können die Agentur für Arbeit oder das Jobcenter förderungsberechtigte junge Menschen und deren Ausbildungsbetriebe während einer betrieblichen Ausbildung oder einer Einstiegsqualifizierung durch Maßnahmen der Assistierten Ausbildung (AsA) fördern. Ziel ist die Verknüpfung von Berufsvorbereitung und Berufsausbildung, das heißt Aufnahme einer betrieblichen Ausbildung mit erfolgreichem Ausbildungsabschluss.
Bei der Assistierten Ausbildung beauftragen die Agentur für Arbeit oder das Jobcenter eine feste Ausbildungsbegleiterin oder einen festen Ausbildungsbegleiter mit der Unterstützung und sozialpädagogischen Begleitung des jungen Menschen während der Ausbildung oder der Einstiegsqualifizierung (auch im Betrieb). Zu den Leistungen für junge Menschen gehören Bewerbungstrainings und Praktika, Nachhilfe, Beratung sowie Hilfen zur Lebensbewältigung und Existenzsicherung in der Ausbildung.
Leistungen der Assistierten Ausbildung für die Unternehmen sollen individuell an den Bedürfnissen des jeweiligen Betriebes ausgerichtet sein und umfassen Angebote, wie
- erforderliche Hilfestellung bei der Verwaltung, Organisation und Durchführung der Ausbildung oder der Einstiegsqualifizierung,
- Unterstützung bei der Lernortkooperation mit der Berufsschule,
- die Begleitung im Betriebsalltag zur Stabilisierung des Ausbildungsverhältnisses/der Einstiegsqualifizierung,
- die Unterstützung des betrieblichen Ausbildungspersonals,
- Beratung und Information in Hinblick auf spezifische Zielgruppen.
Teilzeitausbildung
Auszubildende können bei „berechtigtem Interesse“ eine Verkürzung der täglichen oder wöchentlichen Ausbildungszeit beantragen. Ein berechtigtes Interesse liegt unter anderem dann vor, wenn aufgrund von Behinderungen oder gesundheitlichen Beeinträchtigungen eine Vollzeitausbildung nicht zumutbar ist.
Von dem Modell der Teilzeitausbildung können sowohl Auszubildende als auch Unternehmen profitieren: Die Auszubildenden können es trotz erschwerter Rahmenbedingungen schaffen, eine Ausbildung abzuschließen – und den Unternehmen bietet sich die Chance, angesichts nicht besetzter Ausbildungsstellen qualifizierten und motivierten Fachkräftenachwuchs zu gewinnen. Bei einer Ausbildung in Teilzeit einigen sich Auszubildende und Unternehmen auf eine wöchentliche Ausbildungszeit inklusive Berufsschulunterricht zwischen 20 und 35 Stunden. Dabei lässt sich die Ausbildungszeit flexibel an die persönlichen und betrieblichen Voraussetzungen anpassen.
Ausbildungsbetrieb und Auszubildende müssen die Teilzeitberufsausbildung gemeinsam bei der zuständigen Stelle beantragen. Das ist vor und während der Ausbildung beziehungsweise Umschulung möglich. Zuständige Stellen sind beispielsweise die Handwerkskammern, Industrie- und Handelskammern, Ärztekammern, Rechtsanwaltskammern, Kammern der freien Berufe oder eine zuständige Stelle des öffentlichen Dienstes.
4 »Dafür hole ich mir Unterstützung!«
Förderung und Beratung
Das Sozialrecht hat umfangreiche Förder- und Beratungsleistungen für Unternehmen sowie Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen geschaffen, um die berufliche Teilhabe und Inklusion zu unterstützen.
4.1 Welche Förderung gibt es?
Für Menschen mit Behinderungen und ihre Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber gibt es verschiedene Förderleistungen, um berufliche Teilhabe zu ermöglichen oder ein Beschäftigungsverhältnis zu sichern. Dabei handelt es sich sowohl um finanzielle Hilfen und Zuschüsse als auch um Beratungsleistungen oder Bildungs- und Unterstützungsmaßnahmen.
Förderleistungen können, abhängig vom jeweiligen Einzelfall, für alle Phasen der beruflichen Teilhabe beantragt werden:
- zur beruflichen Orientierung oder Umorientierung,
- zur Aus- und Weiterbildung,
- im Arbeitsleben,
- zur Wiedereingliederung ins Arbeitsleben.
Zu den Leistungen gehören beispielsweise:
- Beratung durch Fachstellen zu allen Aspekten beruflicher Teilhabe, zum Beispiel Teilhabeberatungsstellen (EUTB), Einheitliche Ansprechstellen für Arbeitgeber (EAA), Integrationsfachdienste (IFD).
- Hilfen zum Erreichen von Schul- und Ausbildungsabschlüssen.
- Hilfen zur Erlangung eines Ausbildungs- oder Arbeitsplatzes.
- Zuschüsse für Ausbildungs-, Umschulungs- und Qualifizierungsmaßnahmen.
- Lohnkostenzuschüsse bei Probebeschäftigung, Ausbildung, Neueinstellung und zur Beschäftigungssicherung.
- Zuschüsse für Hilfsmittel am Arbeitsplatz.
- Zuschüsse für eine behinderungsgerechte Arbeitsplatzgestaltung.
- Zuschüsse für die Neuschaffung von Arbeitsplätzen.
- Assistenzleistungen und Begleitung am Arbeitsplatz.
- Unterstützung bei Präventionsmaßnahmen.
- Hilfe bei Konflikten am Arbeitsplatz.
Der überwiegende Teil der Förderleistungen wird im gesetzlichen Rahmen der „Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben“ erbracht (§§ 49, 50 SGB IX). Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben können Beschäftigte mit Behinderungen oder drohender Behinderung sowie Unternehmen bei den Rehabilitationsträgern beantragen.
Im Falle einer Schwerbehinderung oder Gleichstellung fördert das Integrationsamt/Inklusionsamt nachrangig im Rahmen der „Begleitenden Hilfe im Arbeitsleben“ aus Mitteln der Ausgleichsabgabe (§ 185 SGB IX) .
(Stand: September 2024)
4.2 Wer hilft?
Ansprechstellen innerhalb des Unternehmens zu Fragen der beruflichen Teilhabe und Arbeitsplatzsicherung sind – je nach Größe und Ausrichtung des Betriebs – die betrieblichen Interessenvertretungen und Akteure. Dazu gehören Schwerbehindertenvertretungen, Inklusionsbeauftragte, Betriebs- oder Personalräte, Inklusionsteams, arbeits- und betriebsmedizinische Fachkräfte.
Daneben unterstützen externe Institutionen und Fachstellen Betriebe rund um die Neueinstellung, Ausbildung und Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen und Erkrankungen.
Externe Institutionen und Fachstellen
- Einheitliche Ansprechstellen für Arbeitgeber (EAA): Beratungsstellen mit Lotsenfunktion
- Agentur für Arbeit: Beratung, Gewährung von Lohnkostenzuschüssen und Leistungen zur beruflichen Teilhabe, Vermittlung von Fachkräften, Hilfe bei der behinderungsgerechten Arbeitsplatzgestaltung
- Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB): Beratung für Menschen mit und ohne Behinderungen, die Unterstützung für ihre Teilhabe benötigen
- Integrationsämter/Inklusionsämter: (nur im Falle von Schwerbehinderung und Gleichstellung) Beratung, Gewährung von Zuschüssen und Leistungen zur beruflichen Teilhabe und zur Arbeitsplatzsicherung, Hilfe bei der behinderungsgerechten Arbeitsplatzgestaltung, Unterstützung bei der Prävention und beim Betrieblichen Eingliederungsmanagement
- Integrationsfachdienste (IFD): Beratung, Begleitung am Arbeitsplatz zur Festigung oder Sicherung eines Arbeitsverhältnisses, Hilfe bei Konflikten, teils Vermittlung von Fachkräften, Hilfe bei Wiedereingliederung
- Inklusionsberatung der Kammern: Beratung zu Möglichkeiten und Rahmenbedingungen der Beschäftigung und Inklusion von Menschen mit Behinderungen für Betriebe des jeweiligen Kammerbezirks
- Ansprechstellen der Rehabilitationsträger: Unterstützung bei der frühzeitigen Erkennung eines Rehabilitationsbedarfs, Hilfe bei der Antragstellung
- Betriebsnahe Beratungsstellen: je nach Ausrichtung: Beratung, Unterstützung bei Konflikten, Hilfe bei Wiedereingliederung, Vermittlung von Fachkräften, Job-Coaching, Unterstützung bei der Prävention und beim Betrieblichen Eingliederungsmanagement
(Stand: September 2024)
Tipp
Verschiedene Verbände, Beratungsstellen und Rehabilitationskliniken beraten und unterstützen darüber hinaus explizit bei den Themen Darmerkrankungen sowie künstlicher Darm- und Blasenausgang. Eine Übersicht finden Sie bei REHADAT-Adressen.
Prinzipiell ist jeder Job möglich!
Ein Interview mit der Deutschen Morbus Crohn/​Colitis ulcerosa Vereinigung (DCCV e.V.)
Heike Jäger und Melanie Schich
Heike Jäger (Referentin Beratung) und Melanie Schich (Koordinatorin Sozialrecht) bei der DCCV-Geschäftsstelle.
Wie viele Mitglieder hat der DCCV und bestehen diese hauptsächlich aus jüngeren Leuten, die sich gerade in der Ausbildung befinden oder bereits im Beruf tätig sind?
Frau Schich: Aktuell haben wir über 23.000 Mitglieder aus allen Altersgruppen. Gerade junge Menschen wollen trotz Erkrankung am Arbeitsleben teilhaben. Viele, die sich an uns wenden, befinden sich bereits in einer Ausbildung, im Studium oder im Beruf. Häufig melden sich auch CED-Betroffene, die schon lange im Berufsleben stehen, bisher kaum gesundheitliche Einschränkungen hatten, doch plötzlich vor Schwierigkeiten stehen. Sie wollen wissen, was ihre Rechte sind und wie sie sich schützen können, wenn beispielsweise ein BEM-Gespräch ansteht oder wenn der*die Arbeitgebende Fragen stellt.
Welche Probleme haben Betroffene, wenn es um ihre Teilhabe am Arbeitsleben geht?
Frau Schich: Es gibt einige Probleme und Hürden, vor denen Betroffene stehen können. Oft fängt es schon in der Schulzeit an, wenn Kinder krankheitsbedingt öfter in der Schule fehlen oder in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt sind. Bereits in diesem Alter können Nachteilsausgleiche genutzt werden, um trotz Einschränkungen einen guten Schulabschluss zu erreichen. Wenn es um den Berufseinstieg geht, gibt es auch bestimmte Berufe, in denen man aufgrund einer chronischen Erkrankung ausgeschlossen wird, wie zum Beispiel im Polizeidienst.
Sie beraten zu den Themen „Beruf“ und „Arbeiten“ mit CED. Wie sieht diese Arbeit aus?
Frau Schich: Unser Arbeitskreis „Sozialrecht“ berät unsere Mitglieder in sozial- und arbeitsrechtlichen Fragen, insbesondere wenn es um Kündigungen geht. Darüber hinaus sind allgemeine Themen, beispielsweise zum Grad der Behinderung oder den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, Teil der Beratung. Weiter gibt es Unterstützung, bei Anfragen jüngerer Menschen, aus anderen Arbeitskreisen wie Studi CED und Youngsters, die sich gerade zu einem gemeinsamen Arbeitskreis formieren. Sie bestehen aus jungen Menschen in Ausbildung oder Studium, die ihre Erfahrungen und Tipps für den Einstieg in den Beruf teilen.
Frau Jäger: Und dann gibt es noch die Kind-Elterninitiative (KEI). Die KEI ist sicherlich auch für junge Betroffene und ihre Eltern eine Anlaufstelle, um sich über den Umgang mit der CED in der Schule und vorausschauend auch über Möglichkeiten im Berufsleben zu informieren und sich mit anderen Eltern über bereits gemachte Erfahrungen auszutauschen.
Gibt es sinnvolle Maßnahmen, die Unternehmen ergreifen können, um Menschen mit CED in das Arbeitsleben zu integrieren?
Frau Jäger: Zunächst einmal gibt es grundlegende Maßnahmen, die jeder Arbeitgebende ergreifen sollte. Dazu gehören die Schaffung eines freundlichen Klimas am Arbeitsplatz, sowie die Möglichkeit flexibler Arbeitsmodelle, beispielweise durch Gleitzeit oder mobiles Arbeiten. Es ist auch wichtig, auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter*innen einzugehen und offen für individuelle Anliegen zu sein. Während der Corona-Pandemie haben wir gesehen, wie barrierearm viele Menschen mit CED im Homeoffice arbeiten konnten, vor allem wenn sie die Möglichkeit hatten, flexiblere Pausen einzulegen und Zugang zu einer Toilette in der Nähe hatten. Es geht nicht darum, dass der Arbeitgebende alles über die Erkrankung wissen muss, sondern um grundlegende Unterstützung und Flexibilität.
Frau Schich: Eine allgemeine Sensibilisierung für die Erkrankung in der Gesellschaft wäre trotzdem wünschenswert und ist ein Ziel unserer Arbeit. Sie kann jeden von uns treffen und ist zudem sehr schambesetzt. Darum wäre es hilfreich wenn Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber grundsätzlich flexibel und offen für eine individuelle Arbeitsplatzgestaltung wären ohne, dass hierfür teilweise Erklärungen, Atteste oder der Nachweis einer Schwerbehinderung nötig sind.
Für CED-Betroffene wirken, neben der bereits genannten Beispiele, räumliche Dinge wie kurze Toilettenwege, ggf. eine eigene Toilette bzw. der Zugang zur Behindertentoilette aber auch das Arbeiten in Einzelbüros entlastend. Zum Beispiel kann es für manche Betroffene unangenehm sein, in einem Großraumbüro zu sitzen, wenn sie Probleme mit Blähungen haben. Bei Durchfällen muss es sofort möglich sein auf die Toilette gehen zu können. Zusätzlich ist es unangenehm wenn andere Kolleg*innen Gerüche mitbekommen oder sehen, dass man häufiger auf die Toilette muss.
Zusätzlich können Schichtsysteme optimiert werden, durch feste Schichten Einzelner und längere Wechselintervalle. Auch Maßnahmen zur Entspannung sind für alle hilfreich.
Was würden Sie Betroffenen mit CED bezüglich der Offenlegung ihrer Erkrankung am Arbeitsplatz raten?
Frau Schich: Diese Entscheidung muss jede*r für sich selbst treffen, da es sehr darauf ankommt, wie man sein berufliches Umfeld erlebt und wie offen man mit der Erkrankung umgehen kann. Es besteht jedoch immer das Risiko, dass man sich durch zu viel Offenheit gefährdet. Es gibt viele Menschen, die sich schwerer damit tun, ihre CED am Arbeitsplatz offen zu legen. Dafür gibt es verschiedene Gründe und teilweise unterschiedliche Haltungen in den Generationen.
Es ist wichtig zu bedenken, dass der Arbeitgebende auch verständnisvoll damit umgehen muss, dass es sich um eine chronische Erkrankung handelt und dass Fehlzeiten immer wieder auftreten können. Das Verständnis ist nicht immer gegeben, auch unter Kolleginnen und Kollegen nicht. Die Größe des Unternehmens und die Personalstruktur sind auch wichtige Faktoren, die man berücksichtigen sollte. Wenn es sich um einen kleineren Handwerksbetrieb handelt, kann es schwieriger sein, die Einschränkungen durch die Erkrankung zu kompensieren, als wenn es sich um ein größeres Unternehmen handelt.
Wichtig ist es, sich über die rechtlich möglichen Schritte im Klaren zu sein, falls es zu Problemen am Arbeitsplatz kommt. In diesen Fällen gibt es Unterstützung und Beratung durch die DCCV.
Empfehlen Sie die Beantragung eines Grad der Behinderung (GdB) für CED-Betroffene?
Frau Schich: In den meisten Fällen empfehle ich den Betroffenen die Beantragung eines GdB.
Man ist nicht verpflichtet eine Schwerbehinderung oder Gleichstellung bei der Arbeitgeberin oder dem Arbeitgeber anzugeben. Die Angabe kann dennoch sinnvoll sein, weil es bestimmte Nachteilsausgleiche gibt, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schützen und das Arbeitsleben erleichtern sollen. Auch der Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin haben Vorteile. Der erweiterte Kündigungsschutz besteht aber auch ohne, dass die Arbeitgeberin oder der Arbeitgeber Kenntnis über die Schwerbehinderung oder Gleichstellung hat. Wenn eine Kündigung im Raum steht, sollte man jedoch rechtzeitig nachweisen, dass eine Gleichstellung oder die Schwerbehinderung vorliegt.
Gerade junge Menschen in Studium oder Ausbildung profitieren von einem GdB, wenn sie aufgrund der CED eingeschränkt sind und die dadurch bestehende Benachteiligung bestmöglich ausgeglichen werden soll.
Gibt es Berufe, von denen Sie abraten würden oder welche, die sogar besonders gut zu CED passen?
Frau Schich:Grundsätzlich würde ich niemanden von einem bestimmten Beruf abraten. Ich glaube, dass man mit einer CED viele Berufe ausüben kann. Natürlich hängt es vom Verlauf der Erkrankung ab und es kann sein, dass es einige Hürden gibt. Manchmal entwickeln sich dadurch neue Perspektiven. Es gibt tatsächlich Berufe, die gut zur CED passen, wie zum Beispiel Bürojobs, bei denen die Toilettennähe eher gegeben ist. Wenn man später im Job feststellt, dass die Erkrankung die Ausübung der Tätigkeit erschwert, gibt es auch immer noch die Möglichkeit, mit dem Arbeitgebenden zu besprechen, ob es Möglichkeiten gibt, innerhalb des Unternehmens in einem anderen Bereich weiterzuarbeiten. Zusätzlich sind auch Umschulungen möglich.
Vielen Dank für das Interview.
Deutsche Morbus Crohn/Colitis ulcerosa Vereinigung (DCCV)
Die DCCV ist ein deutscher Selbsthilfeverband für Menschen mit CED in Deutschland. Der Verein bietet verschiedene Dienste und Ressourcen an, um Betroffene beim Umgang mit diesen Erkrankungen zu unterstützen.
Eines der wichtigsten Angebote der DCCV ist die Vermittlung von wissenschaftlich fundierten Informationen und Kontakten, die bei konkreten Fragestellungen helfen können und Betroffenen somit bei der Bewältigung ihrer oft schwierigen Lebenssituation helfen. Der Verein behandelt in Arbeitskreisen Themen wie CED und Stoma oder Ernährungstherapie und bietet Betroffenenberatung im sozialrechtlichen und psychosozialen Bereich an. Mitglieder erhalten darüber hinaus auch Rechtsschutz vor deutschen Sozialgerichten. Die DCCV setzt sich außerdem für die Vernetzung von Betroffenen (Peer-to-Peer-Beratung) und die Zusammenarbeit mit Organisationen/Personen/Institutionen ein, die in der CED-Welt involviert sind. Hierzu gehören Ärztinnen und Ärzte, politische Einrichtungen, Selbsthilfegruppen oder Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
5 »Ich hätte noch Fragen«
Weiterführende Informationen
5.1 Weiterführende Adressen
Vereine / Organisationen / Netzwerke
-
Deutsche Morbus Crohn/Colitis ulcerosa Vereinigung (DCCV e.V.)
rehadat.link/dccv -
CHRONISCH GLÜCKLICH e.V.
rehadat.link/chronischglcklich -
Kompetenznetz Darmerkrankungen e.V.
rehadat.link/kompetenznetzced -
Das Netzwerk Autoimmunerkrankter (NIK e.V.)
rehadat.link/nikev -
Talente Inklusive
rehadat.link/talenteinklusive
Aktuelles aus der Forschung
Zum Reinhören
REHADAT zu Gast im Podcast „Ich und mein Crohn“
In Folge #183 des Podcasts „Ich und mein Crohn“ sprechen die Autoren Eva Eisch und Philipp Trögeler zusammen mit Kai Flockenhaus, der Stimme des Podcasts, über die Ausgabe von REHADAT-Wissen sowie die detaillierten Umfrageergebnisse.
5.2 Literaturverzeichnis
- [1] CED im Arbeitsleben. Ergebnisse der REHADAT-Befragung von Menschen mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (kurz CED) zu ihrer beruflichen Situation.(=REHADAT-Umfragen, 13). Köln. (18.10.2023)rehadat.link/ceddatenblatt
- [2] Basiswissen über chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED).[Internetartikel]. (10.09.2024)rehadat.link/basiswissenced
- [3] Das Gastroenterologie-Portal: Morbus Crohn.[Internetartikel]. (10.09.2024)rehadat.link/giportal
- [4] Das Gastroenterologie-Portal: Statistiken CED.[Internetartikel]. (27.09.2023)rehadat.link/statistikced
- [5] Morbus Crohn.Gastroenterologie up2date, 15(03), 299–309. DOI: 10.1055/a-0762-2420 (27.09.2023)rehadat.link/litcedmc
- [6] Incidence and Prevalence of Inflammatory Bowel Disease in the Uk between 2000 and 2016 and Associated Mortality and Subsequent Risk of Colorectal Cancer.United European Gastroenterology Journal (UEG Journal), 7(Supplement 8), 27th UEG Week 2019 Barcelona, Spain, Oral Presentation OP059, 10–188. DOI: 10.1177/2050640619854670 (27.09.2023)rehadat.link/litceduegweek
- [7] S3-Leitlinie Diagnostik und Therapie des Morbus Crohn – Living Guideline.(=AWMF-Leitlinien, Registernummer 021-004), Version 4.1, Stand: 01.08.2021, gültig bis: 31.07.2026. [Link führt zur aktuellen Version der Leitlinie.]. (10.09.2024)rehadat.link/llmrohn
- [8] S3-Leitlinie Colitis ulcerosa. (=AWMF-Leitlinien, Registernummer 021-009), Version 6.1, Stand: 26.04.2021, gültig bis: 30.06.2023 (in Überarbeitung). [Link führt zur aktuellen Version der Leitlinie.]. (10.09.2024)rehadat.link/llcolitisulcerosa
- [9] MSD MANUAL, Ausgabe für Patienten: Morbus Crohn: Symptome, Ursachen, Behandlung.[Internetartikel]. (06.09.2024)rehadat.link/cedsympt
- [10] MSD MANUAL, Ausgabe für medizinische Fachkreise: Colitis Ulcerosa.[Internetartikel]. (09.09.2024)rehadat.link/msdmanprofcu
- [11] MSD MANUAL, Ausgabe für Patienten: Übersicht über chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED).[Internetartikel]. (04.09.2024)rehadat.link/msdmanpatueber
- [12] Validierung der deutschsprachigen Version des „Short Inflammatory Bowel Disease Questionnaire” (SIBDQ).Zeitschrift für Gastroenterologie, 38(4), 277–285. DOI: 10.1055/s-2000-14868 (27.09.2023)rehadat.link/sibdq
- [13] Wegweiser Colitis ulcerosa: Therapie der Colitis ulcerosa.[Internetartikel]. (06.09.2024)rehadat.link/cedtherapie
- [14] Der informierte Patient: Ernährung bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. 20 Fragen – 20 Antworten.[Flyer]. 35. Auflage, Freiburg. (10.09.2024)rehadat.link/ernaehrungced (PDF)
- [15] Morbus Crohn und Colitis ulcerosa in der Hausarztpraxis. MMW – Fortschritte der Medizin, 162(Sonderheft 3), 51–58. DOI: 10.1007/s15006-020-1202-4 (27.09.2023)rehadat.link/litcedhausa
- [16] CED > Schwerbehinderung.[Internetartikel]. (27.07.2023)rehadat.link/cedgdb
- [17] Statistikportal der Rentenversicherung: Rentenzugang.[Website]. (09.07.2024)rehadat.link.erwerbsminderung
- [18] Work-health management interference for workers with chronic health conditions: Construct development and scale validation.Occupational Health Science, 4(4), 445–470. DOI: 10.1007/s41542-020-00073-2 (10.10.2023)rehadat.link/whmi
- [19] Arbeitshilfe Stufenweise Wiedereingliederung.Neuauflage, Frankfurt am Main. (24.08.2023)rehadat.link/prhfstuf (PDF)
Impressum
Ich vertraue auf mein Bauchgefühl
Wie sich die berufliche Teilhabe von Menschen mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen gestalten lässt
REHADAT-Wissen, Ausgabe 13
Herausgeber
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REHADAT
Postfach 10 19 42, 50459 Köln
Konrad-Adenauer-Ufer 21, 50668 Köln
rehadat.de
iwkoeln.de
Autorin & Autor
Eva Eisch, Philipp Trögeler
Fachberatung
- Dr. med. Stefanie Howaldt, Fachärztin für Innere Medizin
- Eva Maria Tappe, Gründerin des Chronisch Glücklich e.V.
Bilder
Die Urheberrechte der nachfolgend genannten Personen und Firmen, die entsprechende Nutzungsrechte für die Verwendung der Bilder eingeräumt haben, sind berücksichtigt:
Jana Sofie Gottert, Stephanie Albrecht, Nadine Reiche, Heike Jäger, Melanie Schich, Schreibtisch XMST (Büromöbel-Experte GmbH), Popello M (Poppel Form und Funktion), Stehsitz SD med (VITAL DINAMIC Deutschland), Fußstütze EFS 90 (Mey Systems GmbH), Tami App (Temedica GmbH)
REHADAT-Wissen
Die Reihe REHADAT-Wissen wird von REHADAT, dem zentralen unabhängigen Informationsangebot zur beruflichen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen, erstellt. REHADAT ist ein Projekt des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln e. V., gefördert durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) aus dem Ausgleichsfonds.
Wir danken der Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Träger der Sozialen Entschädigung (BIH), die den Druck dieser Broschüre ermöglicht hat.
ISSN 2940-1550
Zitiervorschlag
REHADAT (2023): Ich vertraue auf mein Bauchgefühl. Wie sich die berufliche Teilhabe von Menschen mit chronisch-entzündlicher Darmerkrankung gestalten lässt. (=REHADAT-Wissen, Ausgabe 13). Köln. Online abrufbar unter: https://www.rehadat-wissen.de/ausgaben/13-darmerkrankung/ [Abrufdatum].